Protest gegen Russland in Idlib.

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New York – Im Ringen um eine Fortsetzung der humanitären Hilfe für Millionen Menschen in Syrien zeichnet sich im UN-Sicherheitsrat eine mögliche Einigung ab. Über einen neuen deutsch-belgischen Resolutionsentwurf, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, könnte nach Angaben aus Diplomatenkreisen noch am Samstagnachmittag New Yorker Zeit (Samstagabend MEZ) abgestimmt werden.

Der Text sieht die Offenhaltung von einem Grenzübergang aus der Türkei für Hilfslieferungen über einen Zeitraum von zwölf Monaten vor und entspricht damit in einem Kernpunkt den Forderungen Russlands. Moskau hatte in den vergangenen Tagen mehrere deutsche Vorschläge mit zwei Grenzübergängen zusammen mit China durch Vetos verhindert. Moskau tat dies insbesondere deshalb, weil es als Verbündeter des Assad-Regimes mit-kontrollieren will, wer Hilfen erhält.

2,8 Millionen Menschen von Hilfen abhängig

Hintergrund ist eine seit 2014 bestehende UN-Resolution, die in der Nacht auf Samstag nach sechs Jahren ausgelaufen ist. Sie erlaubte es den Vereinten Nationen, wichtige Hilfsgüter über Grenzübergänge auch in Teile Syriens zu bringen, die nicht von der Regierung kontrolliert werden. Von den Gütern, die diese Punkte passieren, sind westlichen Angaben zufolge etwa 2,8 Millionen Menschen abhängig. Nach russischem Widerstand wurden die einst vier Übergänge Anfang des Jahres bereits auf zwei reduziert – seitdem hat sich die Versorgungslage für einige Regionen Hilfsorganisationen zufolge deutlich verschlechtert.

Russland hatte in den schwierigen Verhandlungen der letzten Wochen eine stärkere Verhandlungsposition und machte deutlich, dass es auch ein Scheitern der Verlängerung der humanitären Hilfe in Kauf nehmen würde – das wollte Deutschland auf jeden Fall vermeiden. Moskau – ein enger Verbündeter Syriens – verfolgt den Ansatz, den Mechanismus schrittweise auslaufen zu lassen. Die Einstellung oder Beschneidung der UN-gesteuerten Hilfe würde die Position von Machthaber Bashar al-Assad nach Einschätzung von Beobachtern stärken.

Diplomaten betonten, dass eine Annahme des neuen Vorschlags noch nicht gesichert sei. Die Resolution bräuchte neun Stimmen der 15 Sicherheitsratsmitglieder, ohne dass es ein Veto eines der ständigen fünf Mitglieder gibt.

Zuvor Resolutionsversuch gescheitert

Davor war im Uno-Sicherheitsrat in der Nacht auf Samstag eine Resolution gescheitert. "Wir sind bereit, rund um die Uhr zu arbeiten, und fordern Andere auf, an die Millionen Menschen in Syrien zu denken, die darauf warten, dass der Sicherheitsrat über ihr Schicksal entscheidet", teilten Deutschland und Belgien daraufhin in einer gemeinsamen Stellungnahmen am Freitagabend mit. In den vergangenen Tagen waren mehrere Resolutionsentwürfe der beiden Länder an den Vetos von Russland und China gescheitert. Offiziell argumentiert Moskau, die bisherige Hilfe müsse wegen des wachsenden Einflusses der syrischen Regierung im Land "schrittweise auslaufen". Moskau schlug in einem letzten Entwurf am Freitagabend die Fortsetzung der humanitären Hilfe über nur noch einen Grenzübergang, Bab al-Hawa, für 12 Monate vor – der Text war für die meisten Mitglieder des Sicherheitsrates nicht annehmbar. Westliche Diplomaten halten zwei Übergänge für essenziell, falls einer von ihnen durch Kämpfe ausfallen sollte.

Hunger als Waffe

Die Welthungerhilfe zeigte sich empört, dass Hilfslieferungen und Hunger in Syrien als Waffen eingesetzt würden. Ein Scheitern der Gespräche lasse "unweigerlich die ohnehin schon katastrophale humanitäre Lage weiter eskalieren und bedroht ganz direkt das Überleben der Menschen". Auch "Save the Children" verurteilte die Blockade im Sicherheitsrat auf das Schärfste. Die Grenzübergänge seien "unverzichtbar".

Der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller forderte, das Auslaufen der Regelung dürfe nicht ohne Konsequenzen bleiben. "Angesichts der dramatischen Versorgungslage der Flüchtlinge muss es zu einem Aufschrei der Weltgemeinschaft kommen, der auch in Peking und Moskau gehört werden muss."

Das Ausbleiben von Hungerhilfen für Syrien hatte im Jahr 2015 dazu beigetragen, dass hunderttausende Menschen aus dem Land in andere Staaten der Welt flüchteten. (APA, red, 11.7.2020)