Die Demonstranten fordern den Rücktritt des Ministerpräsidenten Borissow und des Chefanklägers Geschew: Sie sollen Ermittlungen gegen Oligarchen verzögern.

Foto: AFP / NIKOLAY DOYCHINOV

Ein Demonstrant mit offenen Armen gegenüber einer Polizeikette in Sofia.

Foto: AFP / NIKOLAY DOYCHINOV

Sofia – Inmitten der aufgeheizten politischen Stimmung in Bulgarien hat Präsident Rumen Radew die Regierung wegen "mafiösen" Gebarens zum Rücktritt aufgefordert. "Der Mafia-Charakter der Regierung hat Bulgaren jeden Alters und verschiedener politischer Strömungen dazu bewegt, Respekt für das Gesetz zu fordern", sagte Radew am Samstagabend mit Blick auf seit Tagen andauernde regierungskritische Proteste.

Hintergrund sind Razzien in Radews Büros, für die er den konservativen Ministerpräsidenten Bojko Borissow verantwortlich macht. Im Zuge der Razzien waren am Donnerstag ein Anti-Korruptionsbeauftragter und ein Sicherheitsberater des Präsidenten für Befragungen festgenommen worden. Ihre Büros wurden im Rahmen von zwei unterschiedlichen Ermittlungsverfahren wegen Korruption und wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen durchsucht.

Gegenseitige Vorhaltungen

Der von den Sozialisten unterstützte Präsident Radew ist ein vehementer Kritiker von Borissows Regierung, der er "Verbindungen zu Oligarchen" vorwirft. In seiner Fernsehansprache am Samstagabend beschuldigte der Staatschef die Regierung und den Generalstaatsanwalt, sie begingen "Gaunereien", sodass ihr Rücktritt "die einzige Lösung" sei. Im Land formiere sich derzeit ein "Anti-Mafia-Konsens", warnte Radew seine politischen Gegner.

Die Razzien in den Präsidentenbüros hatten massive Proteste ausgelöst. Bei gewaltsamen Ausschreitungen am Rande einer Demonstration in der Hauptstadt Sofia am Freitag wurden zwei Demonstranten und vier Polizisten verletzt. 18 Menschen wurden festgenommen.

Auch am Samstag gingen die Demonstrationen weiter. Am Schwarzen Meer stürmten hunderte Menschen einen nur teilweise für die Öffentlichkeit zugänglichen Strand, um gegen Korruption und Straffreiheit für Regierungsvertreter zu protestieren. Der Strand, der eigentlich auf öffentlichem Grund setzt, wird von einem Borissow nahestehenden Oligarchen genutzt. Ein Aktivist hatte sich jüngst dabei filmen lassen, wie Vertreter der staatlichen Sicherheitsdienste ihn von dort verjagten. Kleinere Kundgebungen gab es auch in drei weiteren Städten. Die Demonstranten riefen Parolen wie "Mafia", "Mörder" oder "Rücktritt". Einige warfen Wasserflaschen und Feuerwerkskörper auf Polizisten, ein Beamter wurde verletzt.

"Kein Blut vergießen"

Borissow rief die Menschen am späten Samstagabend zur Ruhe auf. Die Demonstranten müssten die Polizei respektieren und dürften kein "Blut vergießen", forderte der Regierungschef. Er werde "im Amt bleiben", betonte Borissow weiter und forderte "Stabilität" in einer Zeit, in der sich die Welt in ihrer "fürchterlichsten Krise" befinde.

Bulgarien gilt als das EU-Land, in dem Korruption am weitesten verbreitet ist. Radew rief die EU-Partner auf, in dem Konflikt Stellung zu beziehen. "Die Europäische Union braucht ein demokratisches Bulgarien", betonte er.

Die US-Botschaft in Sofia gab unterdessen in einem ungewöhnlichen Schritt eine Sicherheitswarnung für von den Protesten betroffene Gebiete aus. Zu erwarten sei, dass die Demonstrationen noch mindestens bis zum 16. Juli anhielten. (APA, 12.7.2020)