Foto: Hirnkost Verlag

Dafür, dass man sich in Deutschland (oder eigentlich im ganzen deutschsprachigen Raum) so gerne mit seinem Umweltbewusstsein brüstet, ist das SF-Subgenre Climate Fiction hier bislang gar nicht mal soooo dicht besetzt. Die Herausgeber des "Exodus"-Magazins sind da jetzt in die Bresche gesprungen und haben erstmals einen Titel als gebundenes Buch herausgegeben. Der Band "Der grüne Planet" enthält 23 Kurzgeschichten von ebenso vielen Autoren (zu viele, um auf jeden einzeln einzugehen) und bietet die übliche Anthologie-Ausbeute: eine Mehrzahl im Bereich von ok bis gut, ein paar, die es nicht über ein "naja" hinausschaffen – und dann jene erhofften, die das Buch zu einer lohnenden Anschaffung machen. Wär ja auch noch schöner, wenn die Bäume, die für dieses Buch gefällt werden mussten, umsonst gestorben wären!

Alles im Plan

Zu meiner großen Freude habe ich vorab in der Autorenliste gesehen, dass ich endlich mal wieder was von Heidrun Jänchen zu lesen bekommen würde – und prompt hat sie in gewohnter Qualität abgeliefert (die Formulierung Terror mit tümlicher Volksmusik werde ich übrigens beizeiten schamlos klauen). Klar im Gedanken und klar in der Formulierung, zeichnet Jänchen in "Mietnomaden" anhand kurzer Schlaglichter ein Bild der globalen Klimakatastrophe und der von ihr ausgelösten Massenmigration – eine Migration, die sich bis ins Weltall fortsetzen wird. In der Geschichte schwingt ein recht ernüchternder Blick auf das Wesen der Intelligenz an sich mit; aber immerhin bleibt ein Rest an Hoffnung auf Besserung.

Wesentlich kürzer im Geschäft und mir jetzt doch schon zweimal hintereinander positiv aufgefallen ist Tino Falke. Sein "Millennial Mammut Crash Derby 3000" ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich ein Autor hingesetzt und überlegt hat, wie er aus einer vorgegeben Prämisse (hier eben Klimawandel) etwas anderes als das Erwartbarste machen kann. Und so lesen wir von einer ökologisch durch und durch vernünftigen Zukunftsgesellschaft, in der sich allerdings ein neuer Modesport breitmacht: Stockcar-Rennen mit rekonstruierten Benzin-Autos aus unserer Ära. Der Hype um diese Dreckschleudern nimmt groteske Züge an und zeigt auch schon bald die erwartbaren Umweltfolgen. Doch just die halsbrecherischste Rennfahrerin von allen verfolgt einen raffinierten Plan, um das zu ändern.

Einen Plan hat auch die tragische Titelfigur in Friedhelm Schneidewinds "Die Eisbergpiratin". Diese ordentlich düstere Geschichte ist in einer Zukunft angesiedelt, in der ein erbitterter Machtkampf um Eisberge als Wasserressourcen geführt wird. Und just wenn man glaubt, bis zum Boden des Abgrunds geblickt zu haben, nimmt das Ganze noch einmal eine extrafinstere Wendung. Beeindruckend, wenn auch zu kurz: Ich würde sehr gerne den Roman lesen, für den diese Geschichte nur das Exposé wäre.

Mehr Platz zum Atmen bitte!

Und schon ist wieder das Zauberwort Länge gefallen. Denn nicht nur die Autorenliste von "Der grüne Planet" erinnert mich an diverse Bände des Verlags p.machinery, der SF-Anthologienfabrik Nummer 1 im deutschsprachigen Raum. Ich stelle auch dasselbe Phänomen fest: Die Zahl der beteiligten Autoren ist sehr hoch, die Länge der Geschichten dafür im Schnitt ziemlich kurz. Und trotzdem haben es sich die meisten nicht nehmen lassen, den Kontext ihrer jeweiligen Welt in Infodumps wiederzugeben, die im Verhältnis zur Kürze der Erzählung überproportional wirken.

Das gilt in der einen oder anderen Form etwa für die Beiträge von Kai Focke, Monika Niehaus, Karlheinz Schiedel, Marianne Labisch oder Wolf Welling. Das Gegenbeispiel: "Der Klang des sich lichtenden Nebels" von Christian Endres, eine Geschichte um einen Mann, der sich durch die postapokalyptische Wildnis schlägt, um seine – überraschende – Mission zu erfüllen. Zugegeben, mit dem Thema Klimawandel hat die Erzählung höchstens vage zu tun, aber wenigstens bleibt Endres die ganze Zeit in der Situation. Dafür ist eine Kurzgeschichte da.

"Show, don't tell" nennt sich im Englischen die Devise, es dem Leser zu ermöglichen, eine Geschichte (und speziell in der SF die ganze dazugehörige Welt) allein aus dem Geschehen heraus zu verstehen, ohne ihn mit Erklärungen für Dummies abzufüttern. Das eingestreute "Schon damals, bevor die Klimakatastrophe die Welt aus den Angeln gehoben hatte" in Uwe Hermanns "Die Tage nach dem Lärm" beispielsweise braucht niemand. Wir können uns den Hintergrund ganz aus dem fantastischen Bild erschließen, das Hermann für seine Geschichte gefunden hat: einen Haushaltsroboter, der in einer Ruine immer noch seinen längst sinnlos gewordenen Routinen nachgeht. Eine fiese Pointe gibt's übrigens auch noch.

Wenn Autoren erzählen (lassen)

Mehrere Autoren setzen auf die Strategie, den Erklärteil über die Variante einzubauen, dass irgendein Erzähler seinem Publikum davon berichtet, wie das damals so war mit der Klimakatastrophe. Was bei mir unwillkürlich die Frage auslöst, warum man mich nicht gleich zum eigentlichen Geschehen transportiert statt zu einem, der irgendwann später irgendetwas dazu sagt. Diese Strategie geht nur dann auf, wenn für die Erzählung-in-der-Erzählung eine originelle Form gefunden wird.

Das gelingt etwa Erik Simon in "Vom Dramp", in dem eine neue Eiszeit herrscht, die Menschen wieder auf steinzeitlichem Niveau leben und ein Schamane/Lehrer seinem Schüler in witzig verklausulierter Sprache das vergangene Anthropozän zu erklären versucht. Hat einen Moment gedauert, bis der Groschen fiel, was ein "Dramp" ist! Komplett anders gelöst, aber ebenfalls gelungen ist der Info-Einbau in Werner Zilligs "Apoikiai". Hier recherchiert ein Redenschreiber für eine künftige Kanzlerin (es kann nicht immer noch dieselbe sein), wie ein Buch in Afrika eine zivilisatorische Revolution ausgelöst und so letztlich die Welt gerettet hat. Für mich eine der bestgeschriebenen Stories in diesem Band.

Ohne Filterung durch einen zwischengeschalteten Berichterstatter kommt "Das Ende der Party" von Mitherausgeber Olaf Kemmler aus, die vielleicht am stärksten in klassischer SF-Tradition erzählte Geschichte im Band. 32 Milliarden Menschen bevölkern hier bereits den Planeten und feiern ungebrochen ihren allesverschlingenden Konsum. Doch als man einer Warnung zum Trotz auch das letzte Stückchen Regenwald rodet, wird die Party mit einem überraschenden Feuerwerk beendet.

Gettin' strange!

Die Bandbreite der Ideen und Erzählweisen in "Der grüne Planet" ist groß, da ist auch Platz für Seltsames. Anne Grießer etwa lässt in "Quallengeflüster" ein paar Medusen in einem Tümpel über Massenaussterbeereignisse philosophieren. Der erste Satz der Geschichte klingt, als würde er eher einen Witz einleiten – und letztlich ist das Ganze auch nicht mehr als ein Ulk. In Hans Jürgen Kuglers "Das vegetarchische Manifest" wiederum sind es Pflanzen, die sich angesichts des bevorstehenden Untergangs der Menschheit feixend die Ranken reiben. Einziges Manko: Erst lesen wir vergnügt das irgendwie bekannt wirkende botanische Manifest, dann folgt eine Erklärung, wie menschliche Wissenschafter die "Sprache" der Pflanzen entschlüsselt haben. Effektvoller wäre es vielleicht gewesen, die beiden Teile in umgekehrter Reihenfolge zu bringen.

Der seltsamste Beitrag von allen ist aber wohl "Carbonized" von Rainer Schorm. Der Plot an sich ist noch ganz konventionell: Menschen kehren vom mehr schlecht als recht kolonisierten Mars zur Erde zurück, um nachzuschauen, ob man dort doch noch leben kann. Allerdings transportiert die Geschichte eine krude Theorie zu Kohlendioxid, die mit der Wissenschaft nicht vereinbar ist. Hat mich an Woody Allens Film "Der Schläfer" erinnert, in dem der Protagonist 200 Jahre in der Zukunft aufwacht – in einer Zeit, in der man unter anderem "erkannt" hat, wie falsch die Medizin unseres Zeitalters lag und dass Rauchen in Wirklichkeit gut für die Lunge ist. Nur dass das bei Allen parodistisch gemeint war.

Strange im positiven Sinne ist schließlich meine persönliche Lieblingsgeschichte in diesem Band, "Hitzekoller 3000 – Im Banne der weißen Sirene" von Frank Neugebauer. Völlig irre Bilder heraufbeschwörend und sprachlich überbordend, als hätte Neugebauer in derselben Autorenklasse wie Michael Marrak und der frühe Frank Hebben die Schulbank gedrückt! Jahrhunderte nach den Weltklimakriegen ist die Erde eine Höllenwelt, die der Venus schon erschreckend ähnlich sieht. In einem letzten Refugium leben noch ein paar Menschen, und die schicken eine Expedition zu einer seltsamen Insel aus, auf der ein noch seltsameres weibliches Wesen bereits auf sie wartet. Und wir dachten, die Erderwärmung wäre schon das Schlimmste gewesen ...