25 Jahre nach dem Genozid in Srebrenica ist es angebracht, die Ereignisse im gesamteuropäischen Bewusstsein zu verankern.

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Die systematische Vertreibung und Ermordung von Menschen mit muslimischen Namen in Bosnien-Herzegowina begann bereits 1992 und war das Ergebnis jahrelanger, organisierter, medial gesteuerter Muslimenfeindlichkeit von Rechtsradikalen, die an die Macht gekommen waren. Der Genozid in Srebrenica drei Jahre danach war abzusehen, trotzdem hat man ihn nicht verhindert: ein Totalversagen Europas und der Weltgemeinschaft.

25 Jahre danach ist es angebracht, die Ereignisse im gesamteuropäischen Bewusstsein zu verankern, gerade weil Muslimenfeindlichkeit sich heute im konservativen Mainstream breitmacht. Die Massengewalt rund um Srebrenica 1995 zeigt, wohin eine Hasskampagne führen kann – nämlich zur Ausrottung. Das ist nicht spezifisch für den Balkan. Gruppenbasierte Menschenfeindlichkeit, sei es nun wegen der Hautfarbe oder der Namen, gibt es überall – in den USA, siehe George Floyd, oder auch im niederösterreichischen Weikendorf, wo der Bürgermeister nicht wollte, dass eine muslimische Familie ein Haus kauft.

Bezug zu aktuellem Terror

Rechtsradikale Attentäter der letzten Jahre beriefen sich übrigens auf die Hatz auf Muslime in Bosnien-Herzegowina in den 1990er-Jahren. Die Live-Übertragung seines Anschlags unterlegte der Christchurch-Attentäter Brenton Tarrant mit einem Kriegslied, das den Schwerverbrecher Radovan Karadžić verherrlicht, der den Genozid in Srebrenica politisch zu verantworten hat. Auch der Massenmörder Anders Behring Breivik verehrte rechtsradikale serbische Paramilitärs und stellte Bosnien-Herzegowina als eine unhaltbare, unnatürliche Gesellschaft dar, weil sie multikulturell ist.

Populistischer, minderheitenfeindlicher Nationalismus ist heute in manchen Staaten in der EU noch immer oder schon wieder eine Herrschaftsressource. Gerade die Österreicher sollten sich hingegen der Vielfalt in der Geschichte ihres Staates bewusst werden und sie wertschätzen.

Nach dem Ende der Imperien Österreich-Ungarn und Osmanisches Reich versuchten Nationalisten in Mittel- und Südosteuropa diese postimperiale ethnische und religiöse Heterogenität zu nivellieren. Damals begann der Homogenisierungswahn, der in der Idee von "ethnisch reinen" Staaten weiterwirkt. Die Muslime wurden als "postimperiale Subjekte" auch im Zweiten Weltkrieg Ziel nationalistischer Gewalt. In Ostbosnien töteten die Tschetniks im Jahr 1942 laut dem Südosteuropa-Historiker Oliver Jens Schmitt rund 100.000 Muslime.

Besondere Verantwortung Österreichs

In Österreich gibt es eine besondere Verantwortung, sich für Aufklärung über diese Geschichte der europäischen Muslime und für die Bekämpfung von Rassismus einzusetzen, weil Bosnien-Herzegowina 40 Jahre Teil von Österreich-Ungarn war und weil viele Bosnier im Krieg 1992 bis 1995 in Österreich Zuflucht vor den mordenden Rassisten in ihrem Land nahmen.

Es gibt keine Versöhnung, solange es keine Anerkennung dieser Fakten gibt. Deshalb darf man nicht zulassen, dass die Verbrechen im Bosnienkrieg weiterhin geleugnet oder verharmlost werden. Nationalisten in Bosnien-Herzegowina und in Serbien verhindern bisher ein Gesetz, mit dem Leugnung unter Strafe gestellt würde. Stattdessen werden Kriegsverbrecher glorifiziert. Deshalb sollten sich wenigstens die EU-Staaten für ein Leugnungsgesetz – analog zum Verbotsgesetz – einsetzen und die politischen Akteure vor Ort wegen deren Rassismus konfrontieren. Das sind wir den Opfern von Srebrenica schuldig. (Adelheid Wölfl, 12.7.2020)