Pläne der Stuttgarter Polizei, die in Standesämtern die Abstammung von Verdächtigen prüfen will, sorgen für Kritik.

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Berlin/Stuttgart – Die Pläne waren schon am Donnerstagabend verkündet worden, und hatten zunächst nur geringes Echo hervorgerufen. Die Stuttgarter Polizei will nach Angaben ihres Präsidenten Frank Lutz die Abstammung von Verdächtigen mit deutschem Pass durchsuchen, um Vorfahren mit Migrationshintergrund zu finden. Mithilfe der Landesämter solle dabei deutschlandweit "Stammbaumrecherche" betrieben werden, zitierte jedenfalls die "Stuttgarter Zeitung" Lutz. Ein Sprecher stellte am Sonntag zwar nicht die Pläne zur Überprüfung von Migrationshintergründen in Abrede, sagte aber, er könne sich an die Wortwahl nicht erinnern.

Am Sonntagabend stellte sich nach dem Abhören des Tonbandmitschnitts der Sitzung laut Frankfurter Allgemeine Zeitung heraus, dass Polizeipräsident Lutz nicht von "Stammbaumrecherchen", sondern von "bundesweiten Recherchen bei Standesämtern" gesprochen hat. Das sei, so Lutz laut FAZ, "nicht primär" eine Polizeiaufgabe, sondern solle helfen, die Migrationshintergründe einzelner Tatverdächtiger festzustellen. Die Polizei teilte mit, gemeint seien bei den Ausführungen von Lutz nur die Eltern gewesen.

Lutz hatte auf Antrag der CDU über den aktuellen Entwicklungsstand zu den Ausschreitungen von vor drei Wochen gesprochen. Er begründete die Pläne mit dem Interesse der Öffentlichkeit, ob Personen, die als Deutsche in Polizeimitteilungen aufscheinen, nicht vielleicht doch Vorfahren aus dem Ausland haben könnten. Jens Lauer, der Sprecher des Polizeipräsidiums, sagte laut "Stuttgarter Zeitung" ebenfalls, der Plan habe mit der "Schwere des Delikts" zu tun, und damit, dass "ganz Deutschland auf den Fall blickt".

"Deutsche erster und zweiter Klasse"

Während der Sitzung hatten Lutz schon einige Abgeordnete kritisiert. "Wie viele Generationen muss man in Stuttgart leben, um als Bürger dieser Stadt anerkannt zu werden", fragte etwa der Stadtrat der Grünen Marcel Roth. Nun, mit einigen Tagen Verspätung, gibt es auch Kritik aus der deutschen Bundespolitik. Als "Rassismus pur" bezeichnete der Vorsitzende der Linken-Fraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, das Vorhaben. Wenn jemand mit derartigem Gedankengut Polizeipräsident werden und bleiben könne, müsse das auch bei Oberbürgermeister Fritz Kuhn und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (beide Grüne) die Alarmglocken läuten lassen.

Auch der Chef der Jusos, Kevin Kühnert, nahm die Politik in die Pflicht. Er empfinde es als verstörend, dass sich drei Tage nach den Aussagen noch niemand aus der Landespolitik dazu zu Wort gemeldet habe. Der Generalsekretär der FDP in Nordrhein-Westfalen, Johannes Vogel, schrieb auf Twitter, Lutz' Ausführungen zeigten, dass man von "Deutschen erster und zweiter Klasse" ausgehe. "Dieses Gift muss raus aus den Köpfen!" Der Stammbaum von Verdächtigen habe mit der Aufklärung von Straftaten nichts zu tun.

Die Landesregierung Baden-Württemberg distanzierte sich am Sonntag via Twitter vorsichtig von den Plänen. Die Feststellung von Lebens- und Familienverhältnissen sei bei polizeilichen Ermittlungen ein üblicher Vorgang. Der Begriff der Stammbaumforschung sei dafür aber "fehl am Platze". Die Polizei im Bundesland arbeite professionell und korrekt, fügte sie an.

Die Parolen bei den Ausschreitungen in Stuttgart vor drei Wochen hatte sich vor allem auch gegen die Polizei gerichtet, entzunden hatten sie sich an einer Drogenkontrolle. Bei der folgenden Randale, an der sich 400 bis 500 Personen beteiligten, waren Schaufenster eingeschlagen und Geschäfte ausgeraubt worden. Mehrere Polizeibeamte wurden verletzt. Von den Festgenommenen hatte rund die Hälfte einen deutschen Pass, Bilder von den Ausschreitungen legen nahe, dass auch Menschen ohne Migrationshintergrund beteiligt gewesen waren.

Die genauen Hintergründe der Ausschreitungen sind noch immer nicht klar, ein politischer Hintergrund wird bisher nicht angenommen. Dass man selbst, etwa durch rassistisches Verhalten, Anlass zu Protest gegeben habe, hat die Polizei stets dementiert. Bei erneuten Zusammenstößen – vor allem Raufhandel zwischen Betrunkenen – gab es in der Nacht auf Samstag kleinere Zusammenstöße. Die Polizei war vorsorglich mit einem Großaufgebot von 200 Einsatzkräften am Ort des Geschehens. (mesc, 12.7.2020)