Anton Innauer macht sich Gedanken.

Foto: SPORTS.Selection / Herbert Benedik / APA

Anton Innauer lehnt es ab, hysterisch zu sein. Natürlich wird sich Corona massiv auf den Spitzensport auswirken. Wobei der kommerzielle Überbau heftiger wackelt als das Fundament. Der 62-jährige Skisprung-Olympiasieger von 1980 befürwortet einen Lärmrückgang.

STANDARD: Wie lange hält der Spitzensport die Pandemie noch aus?

Innauer: Wir sind im Winter noch mit einem blauen Auge davongekommen. Bei den letzten Wettkämpfen hat es begonnen, seither ist alles in Warteposition. Veranstalter, Sponsoren, Medien. Ich weiß auch nicht, wie es mit dem ZDF weitergeht, ob ich Skisprung-Experte bleibe. Was passiert im Herbst? Kommt die zweite Welle? Es herrscht überall Unsicherheit. Der Spitzensport hält Corona schon aus. Der aufgeblasene Spitzensport, den wir überall haben, der wird Probleme bekommen.

STANDARD: Veranstaltungen finden, falls überhaupt, ohne Zuschauer statt. Wie wird man mit diesem Bedeutungsverlust fertig?

Innauer: Ich habe in einer Zeit Spitzensport betrieben, in der kaum einer Bedeutung hatte, nur wenige viel Geld verdient haben. Das ist ein Faszinosum, da wird es philosophisch und grundsätzlich. Der Spitzensport wird nicht aussterben, er hängt ja nicht unbedingt von der Zahl der Zuschauer ab. Die komplette Eventisierung, die totale Kommerzialisierung, die werden leiden. Und das ist vielleicht gar nicht schlecht. Der Sport in seinem Kern, der bleibt. Menschen, die sich nach klar reglementierten Voraussetzungen fair messen wollen, die wird es immer geben. Sport verbindet sogar in Kriegszeiten.

STANDARD: Ist eine Normalisierung gar nicht so wünschenswert?

Innauer: Ich bin nicht repräsentativ fürs Extreme. Ich bin mittlerweile am Rande, nicht im Kernbebereich des Spitzensports. Ich berate ein paar Sportler und Sportlerinnen, bin Fernsehexperte und im Marketing tätig. Wie schnell es geht, wenn man Menschen Sicherheit suggerieren kann, das merkt man eh jetzt. Sobald man weniger Masken sieht, vergisst man schnell, dass es eigentlich vernünftig wäre, welche zu tragen. Gibt es einen Impfstoff, wird sich alles normalisieren, dann fällt man in die alten Gewohnheiten zurück.

STANDARD: Haben Sie Respekt vor oder Mitleid mit Fußballern, die in leeren Stadien spielen? Das betrifft Cristiano Ronaldo genauso wie einen österreichischen Zweitligakicker. Ist das Virus auf eine suspekte Weise gerecht?

Innauer: Da relativiert sich die Gerechtigkeit. Die Fußballer sind als Erste sofort wieder raufgefahren. Nicht wegen der Fans, wegen der Fernsehverträge. Es geht dabei um Fußball als Geldmaschine, das ist der Motor. Erst dann kommt die systemstabilisierende Symbolik fürs Volk.

STANDARD: Schafft die Pandemie Emotionen ab?

Innauer: Ja, das ist ein interessanter Befund. Sie führt einerseits zu einer gesunden, andererseits zu einer ernüchternden Distanzierung von manchen Dingen. Ein Fußballmatch fasziniert durch Begeisterung und Verzweiflung der Fans, die sogar Eintritt für ihren Beitrag bezahlen. Emotionen lassen sich schwer künstlich herstellen, nur verstärken.

STANDARD: In Ermangelung von Wettkämpfen wird sozusagen in den sozialen Netzwerken gesportelt. Dominic Thiem, der einstige Liebling, wurde fast zum Buhmann. Okay, er hat Fehler gemacht, bei der Adria Tour Regeln gebrochen. Einige Aussagen in Interviews waren auch nicht gerade nobelpreisverdächtig. Sein australischer Tenniskollege Nick Kyrgios sprach ihm via Twitter Intelligenz ab. Sind die sozialen Medien die neuen Arenen, die neue Gerichtsbarkeit?

Innauer: Die Gerüchtebörsen, den Tratsch, die böse Nachrede hat es immer gegeben. Jetzt ist das alles digitalisiert und multipliziert in einem Ausmaß, das besorgniserregend ist. Und es ist in Stein gemeißelt, nicht auszuradieren.

STANDARD: Sie beraten ja auch Sportler. Würden Sie Thiem empfehlen, manchmal zu schweigen?

Innauer: Das steht mir erstens nicht zu, und zweitens habe ich wirklich nur am Rande mitbekommen, was er gesagt hat. Er ist ein hervorragender Tennisspieler. Mein Interesse an den sozialen Medien ist überschaubar, ich bin diesbezüglich eher Verweigerer. Spitzensportler, die ihre ganze Energie in das Vorwärtskommen investieren, sind mit der Komplexität mancher Fragen und Themen überfordert. Manchmal wäre es viel klüger, jemanden anzurufen, statt ihm seine Meinung für alle sichtbar über Twitter zu kommunizieren, da kommt bisweilen nichts Gescheites raus. Oder der Beraterstab dahinter ist nicht groß genug. Die Topleute sind nicht gescheiter, sondern stecken in einem besseren System. Was in die Öffentlichkeit geht, was sie twittern, wird vorher geprüft. Als Fan oder Zuseher weiß man daher nicht, ob das selbst gedacht oder eine zurechtgestylte Meinung ist.

STANDARD: Verlangt man von Sportlern zu viel? Sind sie mit ihrer Vorbildfunktion überfordert? Wer extrem schnell schwimmt oder hoch springt, muss ja kein Einstein und Weltretter sein.

Innauer: Ja. Der Sport ist eine Art produktive Einseitigkeit, die ganz bewusst im Alter körperlicher Hochleistungsfähigkeit eingegangen wird und sich komplett auf die Entwicklung einer Spezialdisziplin konzentriert.

STANDARD: Siegt Thiem, ist er eh wieder der Liebling, oder?

Innauer: Noch einmal. Ich habe nicht mitgekriegt, dass er zum Buhmann geworden ist. In Belgrad saßen die Leute dicht beisammen, die aktuellen örtlichen Regeln ließen das zu. Das kann im doppelten Sinne ansteckend sein. Von der Begeisterung der Menge mitgerissen zu werden, kann jungen Menschen passieren und ist keine medizinische, sondern eine soziopsychologische Infektion.

STANDARD: Leiden Profisportler unter Corona stärker als andere Berufsgruppen? Ihr Tag ist nicht mehr so strukturiert, es gibt keine kurzfristigen Ziele, Wettkämpfe werden abgesagt. Ihre Klientin Stephanie Brunner weiß nicht einmal, ob es einen alpinen Ski-Weltcup gibt.

Innauer: Sportler haben diese Thematik immer. Tennisprofis sind die Ausnahme, sie fliegen das ganze Jahr von Kontinent zu Kontinent. Die Zuversicht, warten zu können, und zu glauben, dass es weitergeht, gehört dazu. Wer garantiert etwa einem Skifahrer, der im Sommer hart und abseits der Öffentlichkeit trainiert, dass er sich nicht im Herbst verletzt und den Winter vergessen kann? Corona hat die Lage nur verschärft.

STANDARD: Sponsoren zahlen hohe Summen ein, Fernsehanstalten gehen für den Erwerb von Übertragungsrechten an oder über das Limit. Wird angesichts der globalen Wirtschaftskrise dieses Kartenhaus nun zusammenbrechen?

Innauer: Es wird vieles passieren. Firmen werden Leute entlassen, in Konkurs gehen, andere werden die Gehälter drücken. Verbände werden wenig einträgliche Veranstaltungen absagen. Neue werden auftauchen. Einige werden profitieren, groß abräumen, etwa Amazon. Sponsoren werden sich verabschieden oder geschickt nachverhandeln. Es ist ja nicht die erste Krise, die manche Übertreibungen im Sport zurechtrückt. Der kommerzielle Überbau wird heftiger als das Fundament wackeln.

STANDARD: Ist es nicht skurril, dass ausgerechnet zwei Formel-1-Rennen in Österreich als die Wiederauferstehung des Weltsports betrachtet werden?

Innauer: Ich betrachte es nicht als Wiederauferstehung.

STANDARD: Wie gehen Sie mit Corona um?

Innauer: Mir ist es nicht wurscht, und ich habe das Gefühl, dass wir einiges zu lernen haben, keiner alles weiß. Meine relative Entspanntheit liegt an meiner Herkunft vom Berg und an meiner Introvertiertheit. Ich kann mich gut reduzieren, mit weniger zurechtkommen. Als Berufstätiger habe ich Reserven, bin in einer Situation, die schwierig, aber erträglich ist. Weil ich schon viele Rückschläge erlebt habe, werde ich nicht hysterisch. Ich nehme die positiven Seiten wahr, weil mir Natur etwas bedeutet, genieße den Lärmrückgang. Leute konzentrieren sich auf Näherliegendes, auf Menschlicheres, zum Beispiel auf ihr eigenes Sport- und Bewegungsverhalten. (Christian Hackl, 13.7.2020)