Sobald Katanas in Videospielen vorkommen, bekomme ich schwitzige Hände. Die Ninja Gaiden-Reihe, Sekiro, Nioh Teil eins und zwei – was haben diese Titel gemeinsam? Richtig, sie prügeln schlechten bis mittelmäßigen Spielern die Eingeweide raus. Als der Titelbildschirm von Ghost of Tsushima also über den Bildschirm flackert und ein Katana im Boden steckend gezeigt wird, sind die Handinnenflächen nass. Bitte nicht schon wieder.

Ghost of Tsushima ist Samurai-Fan-Service pur.
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Aber eins nach dem anderen. Ghost of Tsushima ist auf der real existierenden japanischen Insel Tsushima angesiedelt, in der sogenannten Kamakura-Zeit (1185–1333). Sie gilt als Aufstieg der Shōgune, also des Kriegeradels, und damit auch der Samurai. Denn so einer ist Hauptcharakter Jin Sakai. Der soll zu Beginn des Spiels zusammen mit seinem Onkel und dessen Armee die einfallenden Mongolen abwehren. Die sind aber zu stark und reißen sich kurzerhand die komplette Insel unter den Nagel. Jin, zwischenzeitlich vom Mongolen-Anführer im Zweikampf besiegt, wird von einer Diebin aufgepeppelt und macht sich nun daran, die Insel zurückzuerobern.

Müsste man das Gameplay von Ghost of Tsushima in einem Satz zusammenfassen, dann so: Es ist Assassin‘s Creed. Also aufatmen: Wenn einem das Spiel zu schwer wird, dreht man einfach den Schwierigkeitsgrad runter. Als einsamer Wolf streift man zu Pferde oder zu Fuß durch die Lande, besiegt gegnerische Feindestruppen im offenen Kampf mit dem Katana oder rücklings mit dem Shōtō. Dazu gibt es massig Nebenmissionen zu erledigen, Berge zu erklimmen, Extras zu sammeln, Level aufzusteigen, den Charakter zu verbessern und Rohstoffe für neue Ausrüstung zu suchen. Dabei hat Ghost of Tsushima aber durchaus eigene Stärken.

Auf seiner Reise trifft Jin den einen oder anderen Freund.
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Was ist gelungen?

Die Atmosphäre wäre eine solche. Sucker Punch Productions hat penibel darauf geachtet, den Spieler auf eine Welt loszulassen, die wie in den alten Samurai-Filmen wirkt. Bezeichnend dafür: japanische Sprachausgabe und ein Schwarz-Weiß-Griesel-Filter (Kurosawa-Modus), beides natürlich optional.

Zudem ist die Welt super gestaltet, optisch fallen besonders die stetig von den Bäumen fallenden und vom Wind vor sich hergetragenen Blätter ins Auge. Die Brise, die bereits bei der Ankündigung und in Trailern zu sehen war, dient dem Spieler übrigens als Kompass zum nächsten Ziel und soll die Manifestation von Jins verstorbenem Vater sein. Der bläst nämlich, sobald man ihn denn mit einem Wisch nach oben auf dem Touchpad aktiviert, in die richtige Richtung, und das mit einem Affenzahn.

Besonders die Wälder sehen in Ghost of Tsushima fantastisch aus.
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Auch das Gameplay überzeugt, womit nicht nur das Kampfsystem, sondern der generelle Umgang mit Jin gemeint ist. Das funktioniert nämlich wunderbar. Zwar sind nach einem gewissen Fortschritt fast alle Tasten des Controllers belegt, plus Doppelbenutzung, doch die Funktionen, die man oft braucht, gehen schnell in Fleisch und Blut über.

Dabei spielt vor allem die Dynamik der Kämpfe groß auf und jedem Spieler individuell in die Hände. Ein Mongolen-Lager lieber heimlich als "Geist" ausheben, Gegner aus dem Hinterhalt attackieren und leise wieder ins hohe Gras schlüpfen? Kein Problem. Die Meute doch lieber frontal angehen, einen Gegner zum cool aussehenden Duell, das man schon aus diversen Trailern kennt, herausfordern und den Rest dann mit gezielten Schwüngen und Paraden mit dem Katana erledigen? Ebenfalls kein Problem.

Wir haben uns früh dafür entschieden, eher das Katana im offenen Kampf in die Hand zu nehmen, weil die Animationen von Jin schön anzuschauen sind. Da sitzt jeder Schwertschwung, jede Parade, lediglich die Kletteranimationen hätten noch etwas Feinschliff vertragen können.

PlayStation

Und dass dieser zweigleisige Spielstil in die Story eingewoben wurde, ist ebenfalls nett. Immer wieder wird Jin vorgehalten, seine hinterhältigen Taktiken seien eines Samurai nicht würdig ("Only cowards strike from the shadows"), doch nur als titelgebender Geist könne er die Insel befreien.

Das alles führt zu einer Suchtspirale. Die launigen Kämpfe warten an jeder Straßenecke, das nächste Level-up ist schnell verdient, die nächste Ausrüstung quasi schon im Inventar. Oft ist aber die angesprochene Ausrüstung rein kosmetischer Natur, was uns nicht gestört hat, anderen dafür aber sauer aufstoßen könnte.

Was ist nicht gelungen?

Die Geschichte von Ghost of Tsushima ist zwar interessant, da sie auf realen Begebenheiten beruht, man kommt aber nicht umhin zu sagen, dass besonders die Nebengeschichten oft mit dem Holzhammer daherkommen. Rache, Verteidigung der Heimat, verlorene Familienmitglieder – das ist alles nicht wirklich subtil, aber zu verkraften.

Ob im offenen Kampf ...
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Kommen wir zum angesprochenen Assassin’s Creed-Vergleich. Der springt dem Spieler, der die Reihe kennt, sofort ins Auge und geht auch so schnell nicht wieder weg. Die Parallelen sind gravierend, und diese Kritik muss erwähnt werden, immerhin bekam das geleakte Material von Assassin’s Creed: Valhalla dafür gerade gehörig einen auf die Nase. Auf der anderen Seite funktioniert das System eben gut, die Suchtspirale haben wir bereits angesprochen. Wer allerdings glaubt, Ghost of Tsushima würde das Rad neu erfinden, der irrt sich.

... oder rücklings im Dunkel der Nacht: die Art und Weise ist dem Spieler überlassen.
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Beispiel gefällig? Die Missionen: Auch hier hält sich die Kreativität in Grenzen, meist müssen Mongolen erledigt und ein Gebiet befreit werden. Aber auch die unsäglichen Verfolge-minutenlang-einen-NPC-ohne-entdeckt-zu-werden-Quests sind dabei, die an Langeweile wohl kaum mehr zu überbieten sind.

Die Gewalt sollte ebenfalls angesprochen werden. Ja, wo mit scharfen Klingen zugeschlagen wird, entstehen Wunden, logisch. Und natürlich lässt sich das Blut auch ausschalten, aber uns stört eine andere Sache. Der Spieler heilt Jin mit einer Ressource namens Entschlossenheit. Diese wird beispielsweise durch gelungene Paraden aufgebaut. Nun gibt es manche Gegner, die, nachdem sie offiziell besiegt sind, über den Boden davonkriechen. Mit einem Tastendruck lässt sich ihr "Leid beenden", so steht es dabei. Jin nimmt also sein Katana und stößt dem am Boden liegenden Gegner in den Rücken. Dafür gibt es Entschlossenheit, und es hat damit einen spielerischen Vorteil.

Dieses Feature, wenn man es denn so nennen will, hätte es nicht gebraucht. Es gibt genug andere Möglichkeiten, als Spieler Entschlossenheit zu erlangen, diese Art der Gewaltinszenierung – und die auch noch mit positiver Konsequenz – wirkt überheblich.

In unserer Testversion gab es noch den ein oder anderen Fehler, auch Bugs haben sich hier und da eingeschlichen. Die sollten aber mit dem angekündigten Day-One-Patch behoben sein.

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Fazit

Wer Assassin’s Creed und japanische Geschichte mag, der kommt um Ghost of Tsushima nicht herum. Alle anderen sollten sich dem etwas eintönigen Missionsdesign und den hier und da plumpen Nebengeschichten bewusst sein. Das polierte Bewegungsmuster und die Atmosphäre können Spieler aber in eine Spirale der "Ach, eine Mission noch"-Endlosigkeit verschlingen. Insgesamt ist Ghost of Tsushima also ein gutes, wenn auch nicht meisterliches Spiel geworden. (Thorben Pollerhof, 14.7.2020)