Der reisende Dichter ruhte natürlich bisweilen: "Goethe in der Campagna" von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein.

Foto: Klassik Stiftung Weimar

Mit einer Schau über Goethes italienische Reise trifft das Ferdinandeum in Innsbruck unverhofft auch einen Nerv der Corona-Zeit. Die Sehnsucht nach Italien ist größer denn je, und sie orientiert sich wie einst bei Goethe mehr am Ideal als an der Wirklichkeit. Der Markusplatz ohne Menschen, die Uffizien ohne Warteschlangen, Rimini ohne Remmidemmi und Rom nur mit Römern? Muss man gesehen haben. Die ganz Eiligen fuhren deshalb gleich nach der Grenzöffnung Mitte Juni Richtung Süden, im Kopf ein Idealbild von Italien ohne ihresgleichen, sprich: ein Italien ohne Touristen.

Der Corona-bedingte Ausnahmezustand war natürlich noch nicht abzusehen, als das Ferdinandeum eine Ausstellung über Goethes Italienische Reise geplant hat. Seine Nachwirkungen passen jetzt aber in die Erzählung. Denn auch in der "Hommage an ein Land, das es niemals gab", so der Untertitel, geht es letztlich um die Suche nach dem Ideal und um die Widersprüche zwischen Wunsch und Wirklichkeit.

Als der deutsche Dichterfürst im September 1786 per Postkutsche von Karlsbad aus in Richtung Brenner rumpelte, um den ihm zur Last gewordenen Verpflichtungen im Weimarer Staatsdienst zu entfliehen, hatte er jede Menge vorgefertigter Bilder im Kopf. Und wollte sie sich vor Ort bestätigen lassen. Darin unterschied er sich kaum von heutigen Reisenden, bloß waren die Informationsquellen seinerzeit andere.

Neu sehen

Am Italien-affinen Weimarer Hof bot sich für Goethe die Möglichkeit für kulturelle Studien, mit Volkmanns Historisch-kritischen Nachrichten hatte er den Standard-Reiseführer der Zeit im Gepäck. Und sah sich dann in Venedig von den Gondeln "wie eine alte Bekanntschaft" begrüßt. "Es ist mir wirklich auch jetzt nicht etwa zumute, als wenn ich die Sachen zum erstenmal sähe, sondern als ob ich sie wiedersähe."

All dem stellen die Kuratoren Peter Assmann, Johannes Ramharter und Helena Pereña die italienische Realität des 18. Jahrhunderts entgegen. Italien war ein in unzählige Staatsgebilde zersplittertes geografisches Gebiet, das von Goethe ersehnte Arkadien sowohl als Mythos wie auch als reale Landschaft eigentlich ein griechisches Importprodukt. Letztlich hat Goethe also auch eine ganze Menge Klischees fortgeschrieben, als er mit dem rund 25 Jahre nach seiner ersten Italien-Reise veröffentlichten Bericht über das "Land, wo die Zitronen blühn", nördlich der Alpen einen Hype auslöste, der bis heute nachwirkt.

Selbstfindungstrip

Die posthume Vermarktung hat daran freilich auch ihren Anteil. Gezeigt wird unter anderem Tourismuswerbung aus den 1930er-Jahren: Auch in der Zeit des italienischen Faschismus rüttelte man mit Goethe-Zitaten eifrig am Zitronenbaum.

Für Goethe selbst war die Italien-Reise so etwas wie ein Selbstfindungstrip, auf dem er sich sogar als bildender Künstler neu entdecken wollte. Am Ende hat das Talent dafür nicht gereicht. In Rom bewegte er sich in Künstlerkreisen: Angelika Kauffmann war hier als gefragte Porträtmalerin tätig, Johann Heinrich Wilhelm Tischbein schuf mit dem Dichter, der in der römischen Campagna fläzt, sein berühmtestes Gemälde. Zu sehen ist die Kopie von Reinhold Ewald aus der Klassik-Stiftung Weimar.

Geheimdienst überwacht

Zu den in der Sammlung des Ferdinandeum reichlich vorhandenen Italien-Darstellungen gesellen sich zahlreiche Leihgaben. Man erfährt Anekdotisches – Goethe, der streckenweise unter absurden Pseudonymen reist, wird in Rom von österreichischen Geheimdienstlern überwacht – und stößt auf zeitgenössische Kontrapunkte. Simona Obholzers große simple Linie auf gefaltetem Karton bringt die Horizonterweiterung, die der reisende Goethe zweifellos erfuhr, am schönsten auf den Punkt.

Peter Assmann hat den Palazzo Ducale in Mantua geleitet, bevor er im Herbst als neuer Direktor der Tiroler Landesmuseen angetreten ist – mit dem erklärten Anliegen, die kulturellen Beziehungen über den Brenner hinweg zu intensivieren. Jetzt gibt es einen ersten Hinweis darauf, und immerhin führte Goethes italienische Reise ja auch durch Tirol.

Sonderlich interessiert hat sich der Dichter für diesen Streckenabschnitt allerdings nicht. Er blieb das, was er bis heute für viele Italien-Reisende ist: eine Transitroute. Was man im Ferdinandeum offensichtlich nicht so einfach auf sich sitzen lassen mag: Wie zum Beweis dafür, was es hier für den passionierten Mineraliensammler Goethe alles zu entdecken gegeben hätte, hängt ein ganzes Arsenal an Gesteinsproben an der Museumswand.