Hoch an der Wand hängt ein Poster der Sex Pistols. Da drüben schaut Morrissey vom Cover, daneben David Bowie. Auf dem Tresen liegen Singles, Bücher und Buttons, Babystrampler lassen die Ramones und den Rock 'n' Roll hochleben. Regale mit CDs und LPs zerteilen den Raum, der einem Labyrinth aus Klassikern und Neuerscheinungen gleicht. Wobei das mit den Neuerscheinungen zurzeit beschwerlich ist. Mittendrin steht Sylvia Benedikter und ringt sich ein Lächeln ab.

Benedikter betreibt in Wien den Plattenladen Recordbag. Es ist ein etablierter und gut sortierter Shop, keine 50 Meter entfernt von der Mariahilfer Straße im sechsten Bezirk. Hell und freundlich angelegt, bietet er alles, was Musikfreaks lebenswichtig ist. Als Frau ist sie die Ausnahme in einem männlich dominierten Fach.

Sylvia Benedikter betreibt den Store Recordbag nahe der Mariahilfer Straße. Es ist einer von gut zwei Dutzend Plattenläden in Wien. Zwei Jahre lang verstellten große Baustellen den Blick auf ihr Geschäft in der Kollergerngasse 4, nun prüft sie die Corona-Krise. Nur eines ist sicher: "Aufgegeben wird nicht."
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Läden wie diese sind spezialisiert und zäh, gut zwei Dutzend gibt es in Wien. Sie haben viele der ihnen in Aussicht gestellten Tode überlebt, dem Streamingzeitalter trotzen sie erfolgreich. Dieses beschleunigt zwar den Niedergang der CD, gleichzeitig gibt es aber eine Renaissance der Schallplatte. Musikliebhaber greifen heute wieder so oft zu Vinyl wie zuletzt in den 1990ern. Man spricht von einem Boom, wenngleich auf kleiner Flamme. Aber immerhin so groß, dass Plattenläden und ihre Kunden voneinander leben konnten. Dann kam Corona, und es erwischte die Plattenläden wie so viele Kleinunternehmen.

Ein Face-to-Face-Geschäft

Seit Mitte April hat Benedikter wieder geöffnet. Doch Touristen, wie sie auf der Mahü sonst zu Tausenden shoppen, sind ihr als Laufkundschaft weggebrochen, und aus diversen Härtefallfonds hat sie satte 500 Euro erhalten. Eher Schmerzensgeld für die Nerven, die sie die Bürokratie gekostet hat. Ihre Einkünfte aus dem Onlinehandel sind gering, nicht alles, was der Shop bietet, steht online. "Das war nie mein Tool", sagt sie. Sie betreibt ihren Laden als Face-to-Face-Geschäft. Eines, in das Musikliebhaber kommen, stöbern, das soziale Rundherum um das Erlebnis Musik genießen. Mit der Wiedereröffnung allein ist nicht alles wieder gut.

Großer Aufwand

Da ist einmal der Record Store Day. Der findet normalerweise am dritten Samstag im April statt; heuer fiel er wegen des Lockdowns aus. Nachgetragen wird er, auf drei Termine aufgeteilt, im August, September und Oktober. Klingt gut, verdreifacht aber die Arbeit, wohl aber nicht den Umsatz. Zwar ist der die kleinen, unabhängigen Plattenläden komplimentierende Tag der umsatzstärkste des Jahres, doch alle dafür bestellten Ausgaben müssen bezahlt werden. Was sich nicht verkauft, bleibt den Läden als Minus erhalten. Hinzu kommt, dass man noch nicht weiß, wann was zu welchem der drei Termine erscheint. Sie muss Kundenwünsche nun dreimal statt einmal mit dem Angebot abgleichen, das ist mit einem Record Store Day schon ein Riesenaufwand. Sie macht es natürlich trotzdem. Dabei gibt es viele Unsicherheiten.

Probleme mit Distributoren

Denn die Lieferketten funktionieren wegen Corona nicht wie üblich. Es gibt weniger Flüge, Alben aus den USA verspäten sich, in vielen deutschen Lagern herrscht Kurzarbeit, zudem ist der Vertrieb dort deutlich schlechter geworden. "Was mich als Spezialistin auszeichnet, kann ich jetzt oft nicht bieten, da ich nicht alles bestellen kann."

Was das für sie bedeutet, ist ihr anzumerken. "Aufgegeben wird aber nicht." Hilfreich wäre, wenn die Senkung der Mehrwertsteuer für Gastronomie, Kultur und Medien, der Steuersatz für Bücher auf fünf Prozent, auch für Tonträger als Kulturvermittler gelten würde.

Aus dem Büro der Staatssekretärin Andrea Mayer heißt es dazu: "Bücher unterliegen normalerweise dem ermäßigten Steuersatz von zehn Prozent, Platten und CDs der Normalbesteuerung von 20 Prozent. Die Berücksichtigung dieser Kategorie bei der vorübergehenden Senkung hätte daher gröberer Eingriffe in die Systematik des Umsatzsteuergesetzes bedurft."

Für Konstantin Drobil ist jeden Tag Record Store Day. Er will nicht jammern, aber natürlich hat Corona seinen Umsatz massiv reduziert.
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Benedikter tröstet sich mit dem Zusammenhalt der Geschäftsbetreiber und der Loyalität der Kunden. Das hebt auch Konstantin Drobil hervor. "Viele haben in der Krise bemerkt, dass man nicht immer bei Amazon kaufen muss. Man kann auch bei heimischen Shops bestellen."

Drobil betreibt den Plattenladen Substance in der Westbahnstraße im siebenten Bezirk. Er will nicht jammern, sagt er, aber natürlich habe er massive Umsatzeinbrüche zu verzeichnen. "Zu unserer Kundschaft zählen viele Künstler, Einpersonenunternehmen, die leisten sich im Moment weniger." Auch er vermisst die Laufkundschaft, die vor Konzerten auf dem Weg in die Stadthalle seinen Laden entdeckt. Aufgeben ist aber kein Thema. Für Drobil ist jeden Tag Record Store Day. Seine Welt ist die Platte, und die wird sich weiterdrehen. (Karl Fluch, 14.7.2020)