Die sogenannte "Abtreibungspille" Mifegyne dürfen nun auch niedergelassene Frauenärzte ausgeben.

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Antonia Rauth: [00:00:16] Niedergelassene Frauenärzte dürfen in Österreich künftig die sogenannte Abtreibungspille Mifegyne ausgeben. Mit ihr ist ein nichtoperativer Schwangerschaftsabbruch bis zur neunten Schwangerschaftswoche möglich. Bisher wurde diese Abtreibungspille nur in bestimmten Krankenhäusern und Ambulatorien ausgegeben. Was die Neuerung für ungewollt schwangere Frauen bedeutet und warum ausgerechnet die Frauenministerin nichts dazu sagt, erklärt Beate Hausbichler vom STANDARD. Beate, die sogenannte Abtreibungspille Mifegyne ist in Österreich jetzt deutlich leichter zugänglich. Was genau hat sich denn geändert?

Beate Hausbichler: [00:00:50] Die konkrete Änderung ist die, dass die Mifegyne bisher nur in Krankenhäusern und in jenen Ambulatorien ausgegeben werden durfte, die auch chirurgische Schwangerschaftsabbrüche durchnehmen durften und nicht von niedergelassenen Gynäkologinnen. Da gibt es in Österreich unterschiedliche Möglichkeiten, in einem Krankenhaus oder in einem Ambulatorium einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen. Und dass das jetzt ausgeweitet worden auf alle niedergelassenen Frauenärzte.

Antonia Rauth: [00:01:26] Wie sieht der Schwangerschaftsabbruch mit dieser Pille denn aus? Ist er wirklich so unkompliziert, dass es dafür gar keinen Aufenthalt im Krankenhaus braucht?

Beate Hausbichler: [00:01:33] Nein. Es braucht medizinische Begleitung und die Möglichkeit, irgendwo anzurufen. Aber grundsätzlich ist das sehr gut zu Hause möglich. Der Abbruch läuft in zwei Phasen ab, die erste Phase direkt bei der Ärztin oder beim Arzt, im Ambulatorium oder im Krankenhaus. Da geht es dann darum, dass das Medikament eine hormonelle Wirkung hat und dafür sorgt, dass die schwangerschaftserhaltenden Hormoneffekte gebremst bzw. gestoppt werden. Das hat dann zur Folge, dass die Schwangerschaft sich nicht weiter entwickelt. Die zweite Phase ist die zweite Stufe beim Abbruch, mit einem Medikament, das man nach 24 bis 48 Stunden einnimmt. Und das verursacht dann, dass sich die Gebärmuttermuskulatur zusammenzieht und eine Blutung auslöst, womit man auch das Schwangerschaftsgewebe ausstößt. Bei dieser ersten Phase ist man direkt noch in einer Einrichtung oder bei der Ärztin und bei der zweiten Phase kann man daheim sein. Was sehr wohl sehr wichtig ist, ist, dass einfach einen Arzt oder eine Ärztin hat, die man anrufen kann. Da es durchaus zu Blutungen oder Krämpfen kommen kann. Und hier ist die Nachbetreuung und die Betreuung während des Abbruchs daheim schon schon sehr zentral. Aber im Prinzip geht das sehr gut, dass diese zweite Phase zu Hause durchgeführt werden kann.

Antonia Rauth: [00:03:13] Wird diese Schwangerschaftsabbruch mit Mifegyne dann bald bei jedem österreichischen Frauenarzt oder jeder österreichischen Frauenärztin möglich sein?

Beate Hausbichler: [00:03:21] Na ja, das ist so wie bei anderen Angeboten auch. Man kann nicht in jeder Praxis alles machen lassen. Es gibt Ärztinnen, die sehr wohl direkt ein Blutbild machen und andere nicht. Es sind die Frauenärztinnen und -ärzte nicht verpflichtet, Mifegyne anzubieten in ihrer Praxis. Die dies wollen können es tun. Bei allen ist es nach wie vor wahrscheinlich nicht möglich. Aber ich nehme an einmal deutlich mehr Stellen, wie das jetzt der Fall ist, weil man ja jetzt nur auf die Krankenanstalten und auf die Ambulatorien zurückgreifen kann.

Antonia Rauth: [00:04:04] Wie schwierig ist es denn eigentlich, im Moment in Österreich eine Abtreibung vornehmen zu lassen? Oft heißt es ja, dass das gerade im Westen und im ländlichen Raum viel schwieriger ist als z.B. in Wien oder in anderen großen Städten.

Beate Hausbichler: [00:04:16] Ja, das hab ich vorhin schon angesprochen. Die Möglichkeit, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen, hängt in Österreich leider schon noch von dem ab, wo man lebt und wie viel Geld man hat. Und das ist natürlich keine sehr niederschwellige Möglichkeit für alle Frauen. Wenn man in Wien lebt, kann man zwischen mehreren Ambulatorien auszuwählen und Krankenhäusern. Wenn man zum Beispiel im Burgenland, Vorarlberg oder in Tirol lebt, gibt es kein einziges öffentliches Spital, das Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, was auch den Effekt hat, dass man angewiesen ist auf Ärztinnen und Ärzte, die das durchführen. Dass man dann auch die Schwierigkeit hat, dass man, wenn es zum Beispiel. hochpreisig ist ein Angebot, das man sich nicht aussuchen kann. Wenn dann ein Arzt zum Beispiel 900 Euro verlangt, hat man keine Möglichkeit auszuweichen auf ein anderes Angebot, sodass man einfach auch mehr zahlen muss. Die Möglichkeit, im Österreich einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen, ist sehr stark von finanziellen Mitteln abhängig und davon, wo man lebt. Und mitunter muss man auch sehr weit fahren.

Antonia Rauth: [00:05:26] Die Kosten hast du jetzt schon angesprochen. 900 Euro beispielsweise klingt ja schon nach sehr viel Geld. Was kostet denn die Mifegyne zum Beispiel? Und zahlt ja auch die Krankenkasse etwas hinein?

Beate Hausbichler: [00:05:36] Die Kosten sind nach wie vor unterschiedlich. Es gibt chirurgische Eingriffe um 600 Euro, und die medikamentösen Eingriffe kosten meistens ungefähr gleich viel. Die Krankenkasse übernimmt nichts. Das ist ja eine sehr langjährige Forderung von Feministinnen und Frauenrechtlerinnen, dass auch ein Schwangerschaftsabbruch auf Krankenschein möglich ist. Das ist mit dieser Änderung jetzt nicht der Fall. Da muss man auch zahlen. Es ist aber auch unterschiedlich. Es gibt Ambulatorien, die verlangen weniger, wenn die Schwangerschaft noch sehr wenig fortgeschritten ist, und verlangen dann mit dem Fortschritt mehr. In der achten Woche zum Beispiel weniger als in der zwölften Woche, wo nur mehr ein chirurgischer Eingriff möglich ist. Das sollte man vielleicht auch dazusagen. Ein medikamentöser Schwangerschaftsabbruch ist nur bis zur neunten Schwangerschaftswoche möglich, also in der frühen Schwangerschaft. Es ist diese Zeit, wo generell noch sehr viele Fehlgeburten stattfinden bei Frauen. Man schätzt, dass vor der zwölften Schwangerschaftswoche cirka 30 bis 40 Prozent der Frauen Fehlgeburten haben. Und der Schwangerschaftsabbruch über ein Medikament ist im Prinzip sehr ähnlich wie ein spontaner Abort.

Antonia Rauth: [00:06:56] Jetzt hat das Thema Schwangerschaftsabbrüche ja auch immer eine sehr große politische Dimension. Es gab auch auf diese Erleichterung zum Zugang zur Mifegyne jetzt schon einige Reaktionen aus der Politik. Wenig Freude damit haben, vielleicht nicht ganz überraschend, Teile der ÖVP. Wer in der Volkspartei hat denn etwas gegen leichteren Zugang zu Mifegyne? Und wie lautet da konkret die Kritik?

Beate Hausbichler: [00:07:20] Die ÖVP hat ein sehr kompliziertes bis sehr schwieriges Verhältnis zum Schwangerschaftsabbruch. Da gibt es einen sehr katholisch-konservativen Flügel, der auch in klar dezidierten abtreibungsgegnerischen Zusammenhängen auftritt, wie zum Beispiel beim Marsch des Lebens beispielsweise. Da ist der Familiensprecher der ÖVP, Norbert Sieber, vor einigen Jahren auch auf der Bühne aufgetreten. Und beim Marsch des Lebens, der sie ganz klar gegen jegliche Abtreibungen positioniert, ist auch Gudrun Kugler, die ÖVP Abgeordnete, immer wieder zu sehen. Beim letzten Marsch des Lebens haben sie zwar nicht auf der Bühne gesprochen, aber wie gesagt, das ist auch schon vorgekommen. Es gibt diesen Flügel in der ÖVP, der sich wirklich über verschiedenste Aktionen und Vereine sehr klar positioniert, dass Abtreibung im Prinzip abgeschafft werden sollte. Offiziell argumentiert wird immer damit, dass die Frauen besser beraten werden sollten, ergebnisoffen. Wobei das bei einer Beratung ja immer so sein sollte – in beide Richtungen. Ob das eine katholisch konservative Seite wirklich bieten kann, ist höchst fragwürdig. Aber diesen Flügel in der ÖVP gibt es schon sehr lang, und der andere Flügel ist der, der eigentlich nichts dazu sagt, wie auch die Frauenministerin. Das ist ja ganz interessant. Die eine Seite sagt: "Wir wollen uns um die Frauen kümmern, so dass sie die Möglichkeit sehen, ein Kind zu bekommen", was natürlich auch eine sehr verklausulierte Botschaft ist. Aber der andere Flügel sagt einfach nichts dazu. Es ist auch interessant, weil die Frauenministerin ja eine ÖVP Politikerin ist. Und die Mifegyne jetzt bei niedergelassenen Ärztinnen zuzulassen, das ist eine langjährige frauenpolitische Forderung, die jetzt endlich umgesetzt wurde. Dass jetzt dazu eine Frauenministerin praktisch nichts sagt, ist wirklich eine erstaunliche Sache. Eigentlich ein zentrales Thema für eine Frauenministerin – das Recht auf einen legalen Schwangerschaftsabbruch.Das ist eine der wichtigsten Forderungen und wichtigsten Themen der Frauenbewegung in fast jedem Land der Welt. Und das gilt heute genauso wie vor vierzig Jahren. Dass da die Frauenministerin nichts sagt finde es schon auch ein starkes Signal.

Antonia Rauth: [00:10:03] Wie würdest du denn dieses Schweigen jetzt einordnen? Ist es stille Zustimmung zu dem, was die Partei sagt? Oder kann man schon annehmen, dass Susanne Raab auch hinter dieser Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Österreich steht?

Beate Hausbichler: [00:10:16] Ja, das ist eine sehr gute Frage. Es ist vermutlich sogar beides. Letztendlich ist es so, dass es in einem liberalen, demokratischen Staat mittlerweile die Mehrheitsmeinung gibt, dass ein Schwangerschaftsabbruch, ohne ungewollt schwangere Frauen in Gefahr zu bringen, einfach dazugehört. Das ist einfach weitgehend unumstritten, dass das eine wichtige Errungenschaft ist, auf die wir auch sehr gut achten müssen. Das wissen auch große Teile der ÖVP. Trotzdem hat eine konservative Partei natürlich immer eine große Anhängerschaft, die katholisch sozialisiert ist und sich auch nach wie vor im katholischen Glauben in der katholischen Institution verankert fühlt. Und die katholische Kirche stellt sich natürlich klar gegen Abtreibung. Das zeigt ganz gut, in was für einem Dilemma eine konservative Partei, die sich doch in gewissen Teilen modern geben will, steckt. Da kommt man insofern nicht raus, und einfach nichts zu sagen, finde ich zeigt ganz gut dieses Dilemma, dass man niemanden verärgern will. Man will die sehr konservativen Leute nicht verärgern, in denen das Thema Hürden für Frauen ungewollt Schwangere auf die Seite räumt bzw. das gutheisst. Auf der anderen Seite möchte man aber auch nicht halbwegs liberale und progressive Wählerinnen vergraulen, indem man sich auf einen gesellschaftspolitischen Stand der 50er, 60er Jahre begibt. Es ist schwierig, und es scheint, die beste Lösung für Raab scheint zu sein, einfach nichts zu sagen.

Antonia Rauth: [00:11:58] Das heißt aber ausgegangen ist dieser Impuls, den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen auf diese Art zu erleichtern, definitiv nicht vom Frauenministerium?

Beate Hausbichler: [00:12:07] Nein, sondern von den Grünen, vom Gesundheitsministerium. Das Thema ist wieder aufgekommen, wie wir in den ersten Wochen während des Corona-Lockdowns Schwierigkeiten hatten, bei verschiedensten Problemen in Spitälern zu gehen und auch bei ungewollten Schwangerschaften. Da ist dieses Thema der Abgabe der Mifegyne wieder aufgeploppt, weil man einfach gesagt hat: "Das ist für ungewollt Schwangere eine sehr, sehr schwierige Situation." Es wird einem ständig gesagt, man soll nicht in Spitälern gehen, wegen Corona. Auch Ambulatorien, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, haben teilweise geschlossen gehabt. Und da ist dieses Thema wieder auf die Agenda gekommen, dass es die Mifegyne auch bei niedergelassenen Ärztinnen geben soll. Da hat bestimmt das grüne Gesundheitsministerium den maßgeblichen Anstoß gegeben und nicht die Frauenministerin.

Antonia Rauth: [00:13:04] Rechnest du damit, dass diese Neuerung des leichtere Zugangs zu Mifegyne die gesellschaftliche Debatte rund um Schwangerschaftsabbrüche wieder anheizt? Und wäre das in deinen Augen vielleicht sogar wünschenswert?

Beate Hausbichler: [00:13:15] Diese Debatten um Abbrüche finden meistens vor solchen Maßnahmen, vor Gesetzesänderungen, vor Liberalisierungen statt. Wenn sie durchgeführt sind, quasi Alltag sind, dann sind sie meistens kein Thema. Das war zum Beispiel bei der "Pille danach" auch so. Das ist eine Notfall Verhütung, die in Österreich relativ spät rezeptfrei ausgegeben wurde. Das ist über zehn Jahre her. 2009 gab es vorher auch eine relativ große Debatte. Dass Frauen das verantwortungslos einsetzen würden, einfach nicht verhüten würden und dann in die Apotheke gehen und sich dieses Notfall Verhütungsmittel holen würden. Sicher wird die Ausgabe von der "Pille danach" angestiegen sein, aber die Debatte ist dann nachher im Prinzip ausgeblieben. Man hat gesehen, das funktioniert. Das verhindert ungewollte Schwangerschaften, und dann war es auch wieder gut, so dass das meistens eher im Vorfeld passiert. Wenn das dann beschlossen und umgesetzt ist, dann ist es meistens ruhig. Bei der Fristenregelung ist nicht ganz so, die ist nach wie vor Debatte. Aber auch deshalb, weil sich in Österreich mit vielen Jahrzehnten Schwarz-Rot einfach ein Kompromiss zu einer Situation festgezurrt hat, die immer wieder aufflammt. Aber das ist eine Grundsatzdebatte um Schwangerschaftsabbrüche, die immer wieder hochkocht. Und es sind weniger die Details. Es geht immer um die Fragen: Will man es Frauen schwer machen, einen Abbruch durchzuführen? Traut man ihnen zu, dass sie das allein autonom entscheiden? Oder soll man stärker reglementieren und den Fokus darauf setzen, dass die Frauen Kinder austragen. Das ist die grundlegende Debatte dahinter und ich denke, diese Detailfragen muss man immer auch abklopfen auf diese beiden Fragen.

(red, 13.7.2020)