Entlang der Eisenbahngleise zwischen Kötschach und Hermagor herrschte dieser Wochen ungewohnt reges Treiben. Rücken und Köpfe tief gebeugt, ausgerüstet mit Arbeitshandschuhen, Sonnencreme und Gartenschere zupfen freiwillige Helfer Unkraut. Meter für Meter arbeiten sie sich vor. 30 Kilometer sind zu bewältigen. Mittlerweile haben sie drei Viertel der Gailtalbahn von Gestrüpp befreit. "So schnell wächst da nichts mehr nach", sagt Herwig Ertl, Kärntner Greißler und ein Botschafter der Slow-Food-Bewegung. Genugtuung klingt aus seiner Stimme.

300 bis 350 Tonnen an Glyphosat werden in Österreich jährlich verkauft. Mehr als 85 Prozent davon bringen die Landwirte aus.
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Ein privater Verein will die idyllische Bahntrasse neu beleben. Wuchernde Wildpflanzen stören dabei. Der Einsatz von Glyphosat sollte ihnen wie fast überall entlang der Eisenbahnnetze den Garaus machen. Doch durch umliegende Gemeinden ging eine Welle der Empörung. Ertl goss diese durch tausende Unterschriften in harte Zahlen und brachte die Verantwortlichen an einen Tisch.

Statt Chemie gespritzt wird nun Unkraut gejätet. Sport- und Jugendvereine, Musikkapellen wie ganze Familien fanden sich als Paten und nahmen im Tausch gegen eine Draisinenfahrt 500 bis 1000 Meter Vegetation in Angriff. "Wer was kritisiert, muss halt auch Alternativen anbieten", sagt Ertl.

Keine Dauerlösung

Landwirte beobachten das kollektive schweißtreibende Zupfen mit Anerkennung. An eine Dauerlösung glaubt ein ansässiger Getreidebauer freilich nicht. "Kaum ist ein Kilometer fertig, sprießt es hintan schon wieder von Neuem." Auch den Engagiertesten vergehe da bald die Lust am Zugfahren.

Er selbst verbannte Glyphosat von seinem Acker. An ein flächendeckendes Verbot für den umstrittenen Unkrautvernichter glaubt er dennoch nicht. "In einzelnen Bereichen bleibt dieser unverzichtbar, so ehrlich muss man sein."

Glyphosat ist das meistverkaufte Pestizid der Welt. Billig, effizient und hoch wirksam begann vor gut 20 Jahren sein Siegeszug von Nord- über Südamerika bis nach Europa. Seine Wirkstoffe verhindern Fotosynthese: Die Pflanze verdorrt. Als Totalherbizid tötet es Unkraut wie Nutzpflanzen. Resistent dagegen sind nur gentechnisch veränderte Sorten. In Hand von Chemieriesen wie Monsanto war es unter der Marke Roundup der Wegbereiter für die Industrialisierung der Landwirtschaft. Bei Mais, Soja, Raps und Rüben öffnete es die Tore für Gentechnik.

Bauern gerieten aufgrund der Patente und Lizenzgebühren in finanzielle Abhängigkeit. Gefährliche Nebenwirkungen des Pflanzengifts, das im Verdacht steht, krebserregend zu sein, brachten es in der Bevölkerung in Verruf. An den Börsen sorgte es für Cash, bis Monsanto in den USA mit Schadenersatzklagen überschwemmt wurde. Bayer verleibte sich Monsanto ein und unterschätzte dabei das Prozessrisiko. Ende Juni kaufte sich der deutsche Konzern mit zehn Milliarden Euro von den Klagen frei. Doch ein US-Bezirksrichter äußerte Zweifel am Vergleichsvorschlag für zukünftige Klagen. Bayer zog folglich jüngst den Antrag für einen Teil des Ablasshandels zurück, die Aktie sackte ab.

Politischer Drahtseilakt

In Österreich ist Glyphosat ein Politikum. ÖVP wie auch FPÖ riskieren seinetwegen halsbrecherische Spagate auf höchster Ebene. 300 bis 350 Tonnen werden davon hierzulande, abhängig von der Witterung, jährlich verkauft. 2017 etwa waren es 329, rechnete die Agentur für Ernährungssicherheit vor. 85 bis 90 Prozent davon fließen in die Landwirtschaft. Der Rest dient der Unkrautvertilgung im kommunalen Bereich und in Privatgärten. Gemeinden bedienen sich seiner ebenso wie die Betreiber von Straße und Bahn. Die ÖBB gelten mit 2,7 Tonnen im Jahr als größter Einzelverbraucher. Genaue Zahlen gibt es nicht. Die Abnehmer werden in keiner Datenbank erfasst, die Anwendung liegt in der Kompetenz der Länder.

Doch der Druck der Öffentlichkeit für ein Totalverbot steigt. Wer dem zuwider handelt, setzt seine Popularität aufs Spiel. Das weiß auch Sebastian Kurz. Der VP-Bundeskanzler schlug sich 2017 medienwirksam auf die Seite der Glyphosat-Gegner, wissend, dass dies bei den Bauern auf unfruchtbaren Boden fällt, erinnert sich Helmut Burtscher. Der Umweltchemiker bei der Umweltorganisation Global 2000 analysiert seit Jahren politische und wirtschaftliche Verstrickungen rund um das Pestizid.

Signalwirkung

Das Verbot wurde also kurzerhand an eine Machbarkeitsstudie geknüpft und auf die lange Bank geschoben. Ein Formalfehler der Übergangsregierung verhinderte, dass es heuer im Jänner in Kraft trat. Nun soll der 19. August die Weichen für den weiteren Einsatz des Herbizids in Österreich stellen. An diesem Tag erwartet Österreich ein Schreiben der EU-Kommission. Sein Inhalt wird trotz sperriger Formulierung Signalwirkung auf weitere EU-Länder haben, in denen Widerstand gegen die von Chemie gespeister Landwirtschaft wächst. Und er bereitet den Boden für 2022 vor. In diesem Jahr will die EU über eine weitere Zulassung von Glyphosat in Europa entscheiden.

Knapp zwei Monate haben Gegner und Befürworter bisher Zeit gehabt, Brüssel ihre Stellungnahmen zu übermitteln. Äußern sich Kommission und Mitgliedsstaaten zum Antrag der Österreicher auf einen Totalausstieg nicht oder belassen es bei einer Bemerkung, ist der Weg dafür theoretisch frei.

Hält Brüssel das Vorhaben der Österreicher in einer ausführlichen Stellungnahme für EU-widrig, wird es schwieriger. Der Vorstoß des Landes Kärnten scheiterte daran: Aus einem Total- wurde 2019 ein Teilverbot. Mit der Folge, dass zumindest Privatanwender die Finger davon lassen müssen. Auch rund um Schulen etwa ist das Herbizid dort nun tabu.

Viele Wege zur Verbannung

Rotes Licht aus Brüssel würde Bayer stärken, die EU-Verdrossenheit in Österreich jedoch erhöhen, glaubt Burtscher. Möglichkeiten, Glyphosat national zu verbannen, sieht er dennoch weiterhin genug. "Eine davon sind Ökoförderungen. Knüpft man sie ans Glyphosat-Verzicht, wird der Verbrauch um mehr als 90 Prozent sinken."

Sebastian Theissing-Matei, Experte bei Greenpeace, erinnert zudem an Luxemburg. Das Land hat heuer als erster Staat der EU allen Produkten, die Glyphosat enthalten, die Zulassung entzogen. Flankiert wurde der Schritt von mehr Forschungsgeld und Förderungen für ökologische Alternativen.

Dass es möglich sei, ohne das Pestizid wirtschaftlich zu reüssieren, lebe der biologische Landbau vor, sagt Theissing-Matei. Für die Übergangszeiten müsse es Unterstützung geben. Letztlich hänge jedoch alles vom politischen Willen Österreichs ab – trotz der gesetzlichen EU-Vorgaben, "und es ist kein Geheimnis, dass die ÖVP gegen ein Glyphosat-Verbot ist."

Ringen um Alternativen

In der Landwirtschaft wischt man Bedenken gegen das Pestizid nicht von Tisch, verweist aber auf keineswegs harmlose Wirkstoffe in anderen chemischen Unkrautvernichtern. "Wir brauchen eine Kombination aus einem Teilverbot und zusätzlichen Auflagen", betont Adolf Marksteiner, Experte in der Landwirtschaftskammer.

Einzelne Bierbrauer etwa verpflichten Bauern dazu, beim Anbau von Gerste von Glyphosat abzusehen. Ähnlich halten es große Molkereien bei Milchlieferanten. Breit zum Einsatz kommt es etwa unter Weinstöcken und Obstbäumen, um Unkraut und damit für Früchte schädliche Insekten fernzuhalten. Als Erntebeschleuniger auf Getreide darf es in Österreich nicht mehr gespritzt werden. Wobei Schlupflöchern nicht fehlen. Zur Bekämpfung von Unkraut ist es eine Woche vor der Ernte Burtscher zufolge sehr wohl zulässig.

Entlang der Gailtalbahn will es Ertl nächstes Jahr neben bloßer Körperkraft mit Heißwasser versuchen. Diese Methode sei noch nicht ausgereift, bedauert er. Die Region biete sich dafür aber auf jeden Fall versuchsweise an. (Verena Kainrath, 14.7.2020)