Den Weg von Spielberg nach Budapest darf Sebastian Vettel mit einem ungewohnten Gefühl antreten. Schon vor dem dritten Saisonrennen der Formel 1 am Sonntag liegen die Hoffnungen von Ferrari in Trümmern – doch der Deutsche ist ausnahmsweise mal frei von jeder Schuld. Ganz offiziell.

"Ich war ein dummer Idiot", sagt Charles Leclerc, "anders kann man es nicht ausdrücken."
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"Ich war ein dummer Idiot", sagt sein Teamkollege Charles Leclerc, "anders kann man es nicht ausdrücken." Der höfliche, smarte, schnelle Monegasse hatte am Sonntag mit einem Rammstoß gegen Vettel in der ersten Runde Ferraris Rennen ruiniert. Und Leclerc, seit Monaten der Liebling im Ferrari-Universum, bekommt erstmals zu spüren, wie es sich auf der anderen Seite anfühlt.

"Leclerc versenkt Vettel mit einem verrückten Manöver und stürzt Ferrari in eine tiefe Krise", schrieb die Gazzetta dello Sport am Montag. Der Corriere della Sera urteilte: "Vom Phänomen zum Problem: Leclerc, ein Pilot mit Talent und Intelligenz, verliert den Kopf und reißt die ganze Scuderia in den Abgrund."

Mit vielen Fehlern hatte sich eigentlich Vettel in die Position des Sündenbocks gebracht – dass er Ende des Jahres gehen muss, festigte diesen Status. Nun ist aber erst einmal Leclerc an der Reihe, das hysterische Ferrari-Umfeld neigt eben zur Zuspitzung. Doch von den wirklichen Problemen der Scuderia lenkt all das nur ab. Denn eigentlich ist alles viel schlimmer.

"Es bringt jetzt nichts, die Schuld zu verteilen", sagt Teamchef Mattia Binotto mit Blick auf seine Piloten. Er weiß, dass selbst zwei fehlerfreie Fahrer mit dem SF1000 im Moment nicht um Siege kämpfen könnten – sie hätten sogar Probleme, das Podest zu erreichen. Schon das Regen-Qualifying in Spielberg am Samstag war entlarvend. Während die Mercedes, Red Bulls und auch die McLarens sicher auf der Strecke lagen, schlingerten die roten Autos teilweise hoffnungslos. Ferrari war nicht wettbewerbsfähig, "nicht nur gegen unsere großen Rivalen, sondern auch gegen andere, die bis gestern stets hinter uns lagen", räumte Binotto ein.

Im Stehen macht der SF1000 durchaus gute Figur. Doch seine Performance auf der Strecke sorgt für Kopfzerbrechen bei Ferrari.
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Aerodynamik? Antrieb?

Galt bislang vor allem der Motor als Schwachstelle, zeigt sich nun immer deutlicher, wie weit auch das Auto von der Spitze entfernt ist. Die Aerodynamik wird Ferrari bis ins neue Jahr beschäftigen, noch verfahrener ist die Lage in Sachen Antrieb. Dort hatten die Italiener 2019 einen Sprung gemacht, in Sachen Endgeschwindigkeit und Beschleunigung ließ das rote Auto plötzlich sogar Mercedes stehen. Kurz durften sich Maranellos Ingenieure feiern lassen, dann wurde langsam klar, dass nicht alles mit rechten Dingen zuging. Ferrari hatte wohl mit dem Benzinfluss getrickst, dem Motor mehr Sprit zur Verfügung gestellt als erlaubt, das unterstellte die Konkurrenz.

Der Weltverband FIA widmete sich dem Fall, nannte kein offizielles Ergebnis – doch seit Abschluss der Untersuchung im Winter fährt Ferrari nur noch hinterher. Und steckt nun in der Sackgasse. Denn die Formel 1 hat im Zuge der Corona-Krise die Entwicklungsmöglichkeiten am Motor auch für 2021 eingeschränkt.

Ferrari wird seine Probleme so bald nicht lösen können. Am Ende laufen alle Stränge bei Binotto zusammen. Der 50-Jährige, ab 2016 technischer Direktor und seit Anfang 2019 Teamchef, verantwortet ein aerodynamisch unausgewogenes Auto und einen Motor, der nur im Graubereich des Reglements überzeugte. Die Piloten sind das kleinste Problem. (fri, sid, 13.7.2020)