Der Riesenbilch von Sizilien neben einem Gartenschläfer – einem seiner engsten heutigen Verwandten.
Illustration: James Sadler, University of York

Im Museum von Palermo ist dem Biologie-Studenten Jesse Hennekam von der Hull York Medical School ein Steinblock ins Auge gestochen, der in den 1970er-Jahren bei Straßenbauarbeiten ans Licht gekommen war und offensichtlich einige Knochenfragmente eines zunächst nicht identifizierbaren Tiers enthielt. Hennekam erhielt die Erlaubnis, den Brocken für Untersuchungen auszuleihen. Mikrotomografische Analysen ergaben schließlich, dass es sich um die Überreste eines recht stattlichen Nagetiers handelt.

Leithia melitensis, erstmals Ende des 19. Jahrhunderts anhand von Fragmenten beschrieben, war ein Nagetier aus der Familie der Bilche. Dazu gehören heute eher putzige als imposante Tiere wie der Siebenschläfer oder die Haselmaus. Der Riesenbilch, der vor etwa zwei Millionen Jahren auf Sizilien lebte, hatte hingegen die Größe einer Hauskatze. Aus den Mikro-CT-Scans der Bruchstücke von fünf verschiedenen Schädeln konnte Hennekam einen virtuellen ganzen erstellen. Und der war zehn Zentimeter lang – so groß wie der ganze Körper eines durchschnittlichen Bilchs von heute.

Inselgigantismus und Inselverzwergung

Hennekam und sein Doktorvater Philip Cox sprechen von einem typischen Fall von Inselgigantismus: Im isolierten Lebensraum einer Insel können Tiere über Generationen hinweg zum Mehrfachen der Größe ihrer Verwandten auf dem Festland heranwachsen. Leithia melitensis war damit auch nicht allein, den Forschern zufolge gab es auf Sizilien auch Riesenschwäne und Rieseneulen. Und dazu ... mehrere Arten von stark eingeschrumpten Elefanten. Der bekannteste davon, der Sizilianische Zwergelefant, hatte eine Schulterhöhe von weniger als einem Meter und war ein Beispiel für das ebenso häufig auftretende Phänomen der Inselverzwergung.

Auf den ersten Blick wirkt es paradox, dass derselbe Lebensraum zwei scheinbar gegensätzliche Trends auslösen soll. Allerdings kann man es sich auch eher als einen Trend weg von den Extremen vorstellen: Weder sind jemals Elefanten auf Mausgröße geschrumpft noch Mäuse auf die Dimensionen von Elefanten angeschwollen – es war ein Treffen in der Mitte.

Dieser virtuelle Schädel konnte aus den Fragmenten von fünf verschiedenen rekonstruiert werden.
Foto: Jesse Hennekam, University of York

Die begrenzten Nahrungsressourcen auf einer Insel sorgen dafür, dass riesenhafte Spezies an Größe verlieren müssen, um zu überleben, sagt Cox. Derselbe Faktor trägt auch dazu bei, dass ehemalige Winzlinge zu wachsen beginnen können – für sie ist mehr als genug da. Allerdings spiele hier noch ein weiterer Faktor hinein, nämlich die lokale Population von Raubtieren. In diesem Punkt sind die Zusammenhänge laut Cox noch nicht ganz klar: Wachstum könnte eine Folge davon sein, dass es kaum oder gar keine Räuber gibt, vor denen man sich verstecken muss. Denkbar wäre aber auch eine Art Rüstungswettlauf mit Beutegreifern, die ihrerseits immer größer werden.

Wie genau der Riesenbilch aussah, wollen die Forscher aus dem Schädel nicht schließen. Sie verweisen dabei auf das größte Nagetier unserer Zeit, das südamerikanische Capybara. Trotz dessen Zugehörigkeit zu den Meerschweinchen sieht das bis zu 1,3 Meter lange Tier nicht einfach wie ein eingezoomtes Meerschweinchen aus, sondern hat etwas andere Proportionen. Zum Teil sind diese den Anforderungen eines 70 bis 90 Kilogramm schweren Körpers geschuldet, zum Teil aber auch der semiaquatischen Lebensweise von Capybaras. Auch beim Riesenbilch sei denkbar, dass er einen vollkommen anderen Lebensstil hatte als Siebenschläfer oder Haselmäuse. (jdo, 15.7.2020)

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Aktuell das Maximum im Nagetier-Größenspektrum: ein Capybara oder Wasserschwein. Den Allzeitrekord unter den Nagern hält Josephoartigasia monesi, das bis vor zwei Millionen Jahren in Südamerika lebte, drei Meter lang wurde und eine Tonne auf die Waage gebracht hätte.
Foto: AP Photo/Tobu Zoo