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Johannes Hahn: Österreich erhält bei den EU-Beiträgen einen Rabatt von 237 Millionen Euro pro Jahr – deutlich mehr als bisher erwartet.
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STANDARD: Ratspräsident Charles Michel hat einen nur leicht modifizierten Vorschlag zu EU-Budget und Wiederaufbaufonds vorgelegt. Ist das ein gutes oder schlechtes Zeichen für den EU-Gipfel?

Hahn: Was den EU-Budgetrahmen von 2021 bis 2027 betrifft, hat er an dem angeknüpft, worüber die Staats- und Regierungschefs beim Budgetgipfel im Februar bereits diskutiert hatten. Das Ganze ist ein evolutionärer Prozess. Der jetzige Vorschlag ist ausbalancierter als vor vier Monaten.

STANDARD: Aber was hat sich verändert? Die 1.074 Milliarden Euro im Budgetrahmen liegen nur um 26 Milliarden unter dem Ansatz der Kommission – nicht viel.

Hahn: Wir haben im Mai einen zusätzlichen Vorschlag zum Wiederaufbauplan gemacht. Seither hat es eine Unmenge von Konsultationen zwischen EU-Vertretern, darunter auch mir, mit den Mitgliedsstaaten gegeben. Nun hoffe ich doch, dass alles so vorbereitet ist, dass es möglich sein wird, in einer Sitzung am Wochenende zu einem Ergebnis zu kommen.

STANDARD: Mit 750 Milliarden Euro für den Wiederaufbau? Gehen Sie davon aus, dass die Grundstruktur außer Streit gestellt ist?

Hahn: Wir haben von Anfang an eine Architektur des Aufbauplans vorgelegt, von der wir wissen, dass sie im Grunde von allen akzeptiert werden kann. Michels Kompromissvorschlag hat das offensichtlich bestätigt. Die Grundstruktur wird bleiben. Doch es wird noch einige Anpassungen geben.

STANDARD: Was hat die Regierungen überzeugt?

Hahn: Zum Beispiel, dass wir den Wiederaufbaufonds nicht mit Beiträgen der Mitgliedsländer finanzieren wollen, sondern über sogenannte EU-Eigenmittel. Am Anfang der Budgetdebatte war davon wenig die Rede. Damals haben viele noch über die Erhöhung der nationalen Mitgliedsbeiträge gesprochen. Mir war von Anfang an klar, dass man die Aufgaben angesichts der Größenordnungen nicht durch höhere Mitgliedsbeiträge finanzieren kann.

STANDARD: Was wäre der Effekt?

Hahn: Die Einführung von neuen Einkunftsquellen wird dazu führen, dass jedes Land in den nächsten Jahren geringere Nettobeiträge in die gemeinsame Kassa zahlen muss bzw. mehr bekommen wird, als das 2020 der Fall war. Michel hat beide Seiten, die Empfänger- und die Geberländer, auf Basis unseres Vorschlags ins Boot geholt. Er hat beim Wiederaufbau das von der Kommission vorgeschlagene Verhältnis von Zuschüssen und Krediten unverändert gelassen.

STANDARD: 500 Milliarden Euro als nicht rückzahlbare EU-Zuschüsse, 250 Milliarden als Kredite?

Hahn: Ja. Das ist die große Diskussion bei den Regierungschefs. Wir haben bereits in unserem Vorschlag klargemacht, dass man Zuschüsse nicht einfach so gratis bekommt, sondern mit ganz klaren Vorgaben. Die Beihilfen sind an Reformpläne des Europäischen Semesters geknüpft, etwas, was von mir persönlich angeregt wurde.

STANDARD: Die "Sparsamen Vier", Österreich, die Niederlande, Dänemark und Schweden, haben das bisher vehement abgelehnt. Gibt es schon einen Deal im Hintergrund?

Hahn: Michels Vorschlag ist für die Verhandlungen eine wichtige Basis. Die weitgehende Übernahme des Kommissionsvorschlags signalisiert, dass das "Needs Assessment" der Kommission, also die Bewertung der Wirtschaftslage der Länder und was sie brauchen, richtig ist. Wir haben uns diese 500 Milliarden nicht aus den Fingern gesogen. Michel bestätigt dies jetzt mit seinem Vorschlag. Aber, ganz wichtig: Das Geld wird für die notwendigen Reformen bereitgestellt. Es wird auch nur nach den jeweiligen Fortschritten ratenweise ausgezahlt.

STANDARD: Ist eine Einigung also möglich?

Hahn: Ja, man muss immer einen Mittelweg finden. Sie dürfen nicht vergessen, dass vor vier Monaten vor der Corona-Krise von einem Wiederaufbaufonds noch keine Rede war. Heute stellt das niemand mehr in Abrede – umso mehr, als unsere Sommerprognose im Juni gezeigt hat, dass der Wirtschaftseinbruch sogar noch dramatischer ist als noch im Frühjahr angenommen. Wir brauchen die Mittel aus dem Wiederaufbaufonds, um die Wirtschaft wieder hochzufahren.

STANDARD: Erwarten Sie eine Einigung in der Nacht auf Samstag?

Hahn: Ich wäre auch zufrieden, wenn es eine Einigung in der Nacht auf Sonntag gäbe. Ja, ich gehe davon aus. Man merkt in den Gesprächen, dass nicht mehr um jede dritte Kommastelle gerungen wird, man diskutiert noch ein paar größere Brocken. Aber ich habe das Gefühl, da ist jetzt ein Zug zum Tor. Diesmal wird alles definitiv von der Krise überlagert, die alle zum Handeln zwingt.

STANDARD: Was ist der Unterschied der künftigen Hilfen, wenn man das etwa mit Griechenlandhilfen ab 2010 vergleicht, die von der Bevölkerung als Zwang zum Kaputtsparen erlebt wurden?

Hahn: Der Unterschied ist, dass wir diesen Prozess im Dialog, gemeinsam machen – und nicht top-down. Die Maßnahmen sind an der Wirtschaftslage der Länder orientiert. Diese bringen selbst ihre Vorschläge ein, wo sie bei Reformen ansetzen wollen, um ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern. Wir als Kommission bewerten das. Der entscheidende Punkt ist, dass die Reformen vom betroffenen Mitgliedsstaat ausgehen sollen, daher auch mehr Akzeptanz da sein wird. Es wird so sein, dass die Länder Projekte vorlegen. Dann gibt es eine erste Zahlung, der dann weitere Auszahlungen folgen, die aber gebunden sind an Fortschritte bei den damit verbundenen Reformen.

STANDARD: Stärkt das die Rolle der EU-Kommission?

Hahn: Wir werden als Kommission die Möglichkeit haben, nachhaltige Reformen mit Geld zu unterstützen. Ein wichtiges Element ist die Machbarkeit auf nationalen Ebenen. Das ist jetzt ein guter Anlass, Investitionen zu tätigen, die Modernisierung der Wirtschaft voranzutreiben. Das passt gut zu unseren Prioritäten, dem Green Deal und zur Digitalisierung. Wir sollten den Wiederaufbau als Chance verstehen, um uns fitter für die Zukunft, widerstandsfähiger gegenüber künftigen Krisen zu machen. Das EU-Budget ist ja eine Art von Anschubfinanzierung.

STANDARD: Bundeskanzler Sebastian Kurz hat das bisher nicht so gesehen. Haben Sie ihn schon überzeugen können, oder wird er der Stolperstein beim EU-Gipfel?

Hahn: Nein. Ich glaube, niemand wird der Stolperstein sein. Niemand will am Ende für ein Scheitern verantwortlich sein, das dann ein gesamteuropäisches Scheitern wäre, mit allen Konsequenzen. Wenn ich mit Regierungschefs und zuständigen Ministern rede, sagen viele, das ist zwar nicht hundertprozentig das, was wir erwartet haben, aber es geht in die richtige Richtung. Auch der Bundeskanzler hat sich mit diesen Fragen beschäftigt und zu einer Auffassung gefunden, die letztlich zu einem tragfähigen Kompromiss führen wird.

STANDARD: Was kann Österreich an Vorteilen erwarten?

Hahn: Österreich liegt in der gefühlten Mitte Europas, hat nach Deutschland die meisten Nachbarn. Das bedeutet, dass es bei allen gemeinschaftlichen europäischen Themen ein besonderes Interesse haben müsste, weil es davon am meisten profitiert oder beeinträchtigt wird. Eine Einigung wäre, so gesehen, ganz wesentlich für Österreich, es ist in vielen Fragen in einer Sandwichposition. Nehmen wir die Klimasituation. Wenn wir Klimaschutz in Norditalien oder bei unseren östlichen Nachbarn verbessern wollen, ist es gut, wenn dort investiert wird. Davon profitieren gleichzeitig auch die Unternehmen in Österreich, die sich auf Green Technology spezialisiert haben. Bei der Digitalisierung gilt das Gleiche.

STANDARD: Wobei die Finanzierung von allen EU-Staaten kommt.

Hahn: Natürlich. Wir werden die Klimaziele nur global erreichen können, in gemeinsamer Anstrengung, nicht mit einzelnen Mitgliedsländern. Das ist der Grund, warum wir bei der Finanzierung des Wiederaufbaus auf neue Maßnahmen und Einnahmen setzen wollen, wie den Grenzausgleichsmechanismus, eine CO2-Abgabe bei Importen nach Europa.

Hahn: "Österreich ist in vielen Fragen in einer Sandwichposition."
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STANDARD: Was haben die Österreicher davon?

Hahn: Italien ist für Österreich nach Deutschland der zweitwichtigste EU-Exportmarkt. Jedes Jahr kommen drei Millionen italienische Touristen nach Österreich. Österreich muss in höchstem Ausmaß daran interessiert sein, dass sich die wirtschaftliche Lage in den Nachbarländern verbessert. Es profitiert zudem auch direkt vom Wiederaufbaufonds, ohne einzahlen zu müssen.

STANDARD: Michel hat bestätigt, dass es für die "Sparsamen Vier" zusätzlich doch Rabatte bei den EU-Beiträgen geben soll. Ist das fix?

Hahn: Diese waren am Beginn der Verhandlungen noch nicht vorgesehen, das ist jetzt aber klargelegt.

STANDARD: Stimmt es, dass Österreich 237 Millionen Euro Rabatt bekommt, Niederlande etwa 1,5 Milliarden, Schweden 800 Millionen?

Hahn: Von der Tendenz her stimmt das, wobei Österreich mit Dänemark zu vergleichen ist, das 197 Millionen Euro erhält.

STANDARD: Sehr still in der Debatte sind die Osteuropäer. Warum?

Hahn: Objektiv gesehen können sie zufrieden sein mit dem, was auf dem Tisch liegt.

STANDARD: Könnte der Wiederaufbaufonds an der Finanzierung über EU-Abgaben scheitern?

Hahn: Ich hoffe, dass es beim Volumen von 500 Milliarden Euro für Zuschüsse bleibt. Der Druck ist sehr hoch, dass das über neue Eigenmitteln läuft, weil sonst die Mitgliedsländer zahlen müssten. (Thomas Mayer, 14.7.2020)