Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) stellte gleich zwei Expertisen von Sozialwissenschafter Rudolf Bretschneider vor.

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Wien – Es brauche ein Frühwarnsystem für Parallelgesellschaften, denn diese seien ein "Nährboden" für Gewalteskalationen wie zuletzt in Wien-Favoriten. Das sagte zum wiederholten Mal Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) am Dienstag anlässlich der Vorstellung einer Umfrage sowie einer Studie, die sich beide um den sozialen Zusammenhalt in der im Vorwahlkampf befindlichen Bundeshauptstadt ranken.

Die Befragung des Sozialwissenschafters Rudolf Bretschneider von 1.000 Personen bundesweit fand zwischen 9. und 11. Juli statt, Auftraggeber war der Integrationsfonds (ÖIF). In Österreich gebe es Parallelgesellschaften von Migranten und Migrantinnen – dieser Aussage stimmten 70 Prozent der Befragten zu.

Furcht vor negativen Folgen für Zusammenhalt

Eine Woche davor hatten türkische Nationalisten und Rechte in Wien-Favoriten eine Kundgebung kurdischer Frauen gestört. In den Tagen darauf war es bei weiteren Demostörungen zu Gewaltausbrüchen gekommen. Dabei handle es sich um "Konflikte, die ihren Ursprung in den Heimatländern der Migranten haben", meinten 73 Prozent der Befragten. Für 70 Prozent waren "negative Folgen für das Zusammenleben sehr wahrscheinlich".

Für die Integrationsexpertin und Wiener Grünen-Kandidatin Berîvan Aslan sind diese Ergebnisse angesichts der zeitlichen Nähe der Befragung zu den Ausschreitungen nicht überraschend. Die Stadt Wien gehöre weltweit dennoch zu den sichersten Großstädten. Das gelte auch für Favoriten.

"Verherrlichung des Erdoğan-Regimes"

Importiert worden, und zwar "direkt in die Wohnzimmer via türkische Medien", sei in den vergangenen Jahren vor allem die "Kriegsverherrlichung des Erdoğan-Regimes". Jungen Männern mit Ausgrenzungserfahrungen biete das ein "Zugehörigkeitsgefühl", das sie aus der österreichischen Gesellschaft abdriften lasse.

Eine gleichzeitig präsentierte, ebenfalls von Bretschneider im Auftrag des ÖIF durchgeführte Studie ist schon etwas älter. Sie datiert vom ersten Quartal des Jahres. Ihr Fokus: "Soziale Brennpunkte" in Wien. 70 Prozent der 1.000 dafür repräsentativ ausgewählten Bewohnerinnen und Bewohner Wiens meinten, dass es in ihrer Stadt solche Hotspots gebe – mehrheitlich in Gestalt von "Menschen, die von illegalen Suchtmitteln abhängig sind" oder die "Alkohol missbräuchlich verwenden".

Größtes Problem: Gewalt

Auf Platz drei auf der Negativliste rangieren Asylwerber vor Menschen mit Migrationshintergrund und "Menschen in Obdachlosigkeit". Das größte Problem an derlei Plätzen sei Gewalt. Das meinten 75 Prozent. Es folgen Drogensucht (69 Prozent) und Alkoholmissbrauch (65 Prozent).

Mit 73 Prozent am ausgeprägtesten nahmen Bewohnerinnen und Bewohner der Wiener Flächenbezirke zehn, elf, 20, 21 und 22 derlei Hotspots wahr. Zum Vergleich: Nur 59 Prozent der Befragten aus den wohlständigeren Bezirken innerhalb des Gürtels benannten derlei Orte.

Einfluss der FPÖ

Auch darüber wundert sich die Politikwissenschafterin Aslan nicht. Neben sozialökonomischen Gründen sei dafür vielleicht auch der Umstand verantwortlich, "dass die FPÖ in den Flächenbezirken großen Einfluss hat – und nichts unternimmt, um die sozialen Probleme in den Griff zu bekommen".

Integrationsministerin Raab zieht aus den Ergebnissen andere Schlüsse. Ihr "Frühwarnsystem" werde den Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund im Stadtteil, die Frage, welche Vereine dort tätig seien, sowie Faktoren wie Arbeitsmarktbeteiligung und Bildungsniveau berücksichtigen, sagte sie. Darüber hinaus gehe es auch um die "emotionale Ebene", also wie Menschen Integration wahrnehmen würden. (Irene Brickner, 14.7.2020)