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Verschwörungstheorien und Fake News sind schon immer allgegenwärtig. Seit Corona entzweien sie sogar Familien oder gute Freunde.

Foto: Getty Images/RgStudio

Frage:

"Meine Eltern sind beide Mitte 60, eigentlich recht offen und gebildet, aber seit Corona wie ausgewechselt. Zuerst hatten sie furchtbare Panik, dass wir nun alle durch das Virus zugrunde gehen, wollten jeden, der sich im Nachbarsgarten getroffen hat, sofort bei der Polizei anzeigen und haben sich komplett isoliert. Und plötzlich, aus heiterem Himmel, existiert Corona gar nicht mehr, wir werden alle nur an der Nase herumgeführt, und Bill Gates will uns einen Chip implantieren. Von einem Extrem ins andere. Meine Eltern und ich können uns kaum mehr über etwas anderes unterhalten, sie scheinen wie besessen zu sein, recherchieren stundenlang im Netz und graben immer wieder weitere Verschwörungstheorien aus. Das geht so weit, dass sie nun auch schon unsere beiden Kinder (zehn und 13) damit nervös gemacht haben. Sie sagen ihnen dann solche Dinge wie: "Lasst euch ja nicht impfen, wenn ein Impfstoff gegen Corona kommt." Mein Mann und ich haben schon mehrmals ernsthaft mit ihnen gesprochen, dass sie das bitte unterlassen sollen. Sie sind aber so voller Panik und fühlen sich verfolgt, dass sie einfach nicht hören wollen. Ich kenne meine Eltern so gar nicht. Ich frage mich nun, wie ich mit ihnen über all diese Themen sprechen kann, ohne dass wir uns jedes Mal total in die Haare kriegen. Wir haben überhaupt keinen Draht mehr zueinander, ich bin nur noch genervt, enttäuscht und traurig. Es ist, als würden sie in einem Paralleluniversum leben. Was kann ich ihnen anbieten? Wie kann ich die Angst nehmen? Was sage ich den Kindern? Habe ich meine Eltern verloren?"

Antwort von Hans-Otto Thomashoff

Die Corona-Zeit ist für die meisten von uns eine Belastung, für manche sogar eine schwere, auch wenn sie selbst nicht von der Krankheit betroffen sind. Das gilt vor allem, wenn die Angst vor der Krankheit das rationale Denken in den Hintergrund drängt. Die Tatsache, dass Ihre Eltern sich abkapseln und sich wechselseitig die Bälle an krausen Theorien zuwerfen, verstärkt eine solche Dynamik und kann bis hin zu einer sogenannten Folie à deux, zu einem geteilten Wahnsinn, führen. Die Angst als Motor für das Verhalten ist gut bei Ihren Eltern zu erkennen. Erst hatten sie die massive Angst, und dann wurde die Angst verleugnet und in Aggression umgewandelt – Aggression darüber, dass böse Mächte ihr Spiel mit ihnen treiben. Dieses Muster zeigt sich im Moment bei vielen Menschen, weil der Umgang mit der Krankheit in der Gesellschaft in vielem irrational war. Denn so wie sich die Faktenlage von Beginn an darstellte, ist das Entscheidende im Umgang mit Corona, Abstand zu halten und sich deshalb auch möglichst nicht mit anderen Menschen in geschlossenen Räumen, insbesondere in engen Räumen, aufzuhalten. Insofern war der Umgang der Politik mit der Krise nicht optimal – was verständlich ist, da keiner sicher wusste, was getan werden musste. Erst wurde mit dem Lockdown überreagiert – man durfte nicht einmal auf einer Parkbank im Stadtpark sitzen –, und jetzt schwingt das Pendel ins Gegenextrem, ist fast wieder alles erlaubt, obwohl die Ansteckungsgefahr nicht anders ist als im März.

Wenn wir Menschen uns nicht auskennen, regiert das Gefühl. Denn das Gefühl ist unsere Entscheidungsinstanz für schnelle Entscheidungen. Der Verstand hingegen braucht Zeit, und er muss mühsam trainiert werden. Ist das Gefühl heftig, dann biegen wir uns im Verstand unsere eigene Logik so zurecht, wie sie das Gefühl wünscht. Genau das zeigt die Reaktion Ihrer Eltern – erst die massive Angst, dann der Wunsch, dass alles vorbei ist, und daraus abgeleitet die Wut über das Geschehene. Der Blick in die Weltpolitik zeigt, dass Ihre Eltern damit nicht alleine dastehen.

Doch wie reagieren? Weil die Gefühle Ihrer Eltern offenkundig stark sind, werden all Ihre Beschwichtigungen nichts fruchten. Sie werden ihnen ihre Angst nicht nehmen können, denn die Psyche von Menschen lässt sich kaum gegen ihren Willen ändern – ich spreche da aus meiner Erfahrung als Psychiater. Vermeiden Sie das Thema. Reduzieren Sie den Kontakt, und ja, bedauerlicherweise, halten Sie im Moment Ihre Kinder fern von der Verrücktheit, bis sich die Lage wieder beruhigt haben wird. Dann werden auch Ihre Eltern wieder weitgehend die alten sein, also verloren haben Sie sie nicht, denn es kann und darf vorkommen, dass man auch einmal unterschiedlicher Meinung ist. Und erklären Sie Ihren Kindern, dass und warum Sie anderer Meinung sind als die Großeltern, mit den dazugehörigen plausiblen Gründen, und geben Sie ihnen klare Antworten auf ihre eigenen Fragen, sodass sie selbst das Gefühl bekommen, sich auszukennen. (Hans-Otto Thomashoff, 16.7.2020)

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
Foto: Alexandra Diemand

Antwort von Linda Syllaba

Ihre Eltern sind erwachsene Leute, das waren sie bereits, als Sie erst geboren wurden. Ihre Eltern dürfen selbst entscheiden, was sie glauben, für gut und richtig halten. So wie Sie. Sie müssen ja nicht immer einer Meinung sein. Konflikte zu haben ist ja auch nicht weiter schlimm, sogar etwas ganz Natürliches. Wo Menschen zusammenkommen, gibt's früher oder später Differenzen, weil es unterschiedliche Denkweisen, Meinungen, Wünsche und so weiter gibt.

Wenn es Ihnen an Toleranz für die Herangehensweise Ihrer Eltern fehlt und Sie deshalb keinen "Draht mehr finden", Sie genervt und vor allem enttäuscht sind, empfehle ich Ihnen anzuerkennen, dass Sie immer schon in einem "Paralleluniversum" gelebt haben. Jeder hat so seine höchstpersönliche Wirklichkeit, wo das real ist, was man fokussiert und woran man eben glauben will. Ob Sie Ihre Eltern "verlieren", hängt also auch von Ihnen selbst ab. Es gibt Möglichkeiten, auch mit Menschen völlig anderer Überzeugung weiter in gutem Kontakt zu bleiben. Corona hat bei vielen Menschen Seiten zutage gebracht, die vorher nicht sichtbar waren. So ist das mit Krisen, sie katapultieren einen aus der Komfortzone. Das kann einen selbstverständlich ängstigen. Wie man damit umgeht, ist individuell verschieden. Auch das hat sich vielfach gezeigt.

Es ist übrigens nicht Ihre Aufgabe, den Eltern ihre Angst zu nehmen. Schon gar nicht unaufgefordert! Sie müssen auch gar nichts anbieten, außer vielleicht Ihre Akzeptanz dafür, dass Ihre Eltern nach Antworten suchen auf Fragen, die sie sich bisher nicht gestellt haben. Das ist definitiv aufwühlend für Ihre Eltern, und man kann ja tatsächlich allerhand im Internet finden, wenn man da mal loslegt. Ich bin mir ganz sicher, dass Ihre Eltern weiterhin das Beste für Sie und Ihre Enkelkinder wollen. Also sind deren Verhaltensempfehlungen ganz bestimmt guter Absicht, auch wenn sie nicht Ihrer Meinung entsprechen.

Ihre eigentliche Aufgabe ist es, für sich selbst und Ihre Gegenwartsfamilie gut zu sorgen. Das bedeutet – wenn Sie es nicht anders schaffen, sich von Ihren eigenen Eltern angemessen zu differenzieren, und nicht wollen, dass Ihre Eltern Einfluss auf Ihre Kinder nehmen –, dass Sie den Kontakt unterbinden müssen. Und genau das sagen Sie dann auch Ihren Kindern. (Linda Syllaba, 16.7.2020)

Linda Syllaba ist diplomierte psychologische Beraterin, Familiencoach nach Jesper Juul und Mutter. Aktuelles Buch: "Die Schimpf-Diät" (2019).
Foto: Bianca Kübler Photography