Finanzminister Genot Blümel (ÖVP) steht an der Spitze der Wiener Liste und im Fokus der Kritik seiner Gegner.

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Wer in Wien kandidiert, wolle dort auch mitgestalten. So kurz und knapp war die Ansage von Gernot Blümel, Finanzminister und gleichzeitig Spitzenkandidat der Türkisen bei der Gemeinderatswahl. Am Mittwoch präsentierte der Chef der Stadt-ÖVP die Liste für die Wahl am 11. Oktober. "Das Ziel ist es, ein Regierungsamt bekleiden zu können. Ob das möglich ist, werden die Wählerinnen und Wähler entscheiden", sagte Blümel an der Donau.

Dabei wird im laufenden Vorwahlkampf derzeit von vielen Seiten infrage gestellt, ob Blümel seinen Ministerposten tatsächlich für einen Sitz in der Wiener Stadtregierung tauschen würde. "Zuerst wird gewählt, dann gezählt, dann verhandelt und dann entscheiden sich die anderen Themen", sagte Blümel. Dieses Vorgehen gelte auch für die Entscheidung, ob er seinen Job als Finanzminister aufgeben werde.

FPÖ-Spitzenkandidat und Vizebürgermeister Dominik Nepp bezeichnete Blümel daraufhin in einer Aussendung als einen "Kurzarbeit-Wiener" und sein Antreten als eine "Scheinkandidatur", wenn er nicht nach der Wahl nach Wien wechsle.

Keine Zeit für Wien

Seine Unschlüssigkeit diesbezüglich ist allerdings nicht die einzige Kritik an Blümels Antreten. Auch seine aktuelle "Doppelbelastung" sorgt in der Hauptstadt für Unmut. Als Finanzminister ist Blümel in der aktuellen Coronavirus-Krise gefragt, gleichzeitig soll er den türkisen Wahlkampf anführen. "Hat der Finanzminister mitten in einer der schwersten Wirtschaftskrisen der Zweiten Republik überhaupt gebührend Zeit für den Wiener Landtags- und Gemeinderatswahlkampf?", fragte etwa SPÖ-Landesparteisekretärin Barbara Novak in einer Aussendung. Es sei vielmehr ein "doppelter Nutzen" für die Stadt, setzte Blümel dem entgegen. Und: "Das ist mir Wien wert."

Den Bonus, den Blümel in seiner Doppelfunktion sieht, will er auch gleich beziffern: Im Kampf gegen das Coronavirus habe die Bundesregierung einen "Schutzschirm" gespannt, von dem Wien "maßgeblich" profitiere. Eine halbe Milliarde Euro für Kurzarbeit sei beispielsweise nur den Wiener Unternehmen zugutegekommen. 238 Millionen Euro habe die Hauptstadt von der Gemeindemilliarde erhalten. Und: 330.000 Wiener Kindern sei der Kinderbonus ausbezahlt worden. Es sei ihm ein Anliegen, dass der größte Ballungsraum Österreichs – Wien – gut durch die Krise komme.

Gute Werte

Mit Prognosen hält sich Wiens ÖVP-Chef zurück. Er freue sich zwar über die Umfragewerte, könne diese aber nicht ganz glauben, sagte er. Für ihn seien die Werte "nicht realistisch". Mehr als 20 Prozent wird der ÖVP derzeit prognostiziert. Bei einer für den STANDARD durchgeführten Umfrage des Linzer Market-Instituts gaben sogar 25 Prozent an, der ÖVP ihre Stimme zu geben. Damit wäre diese 2,5-mal so stark wie bei der Wahl 2015. "Wir starten von einem sehr niedrigen Niveau", gab Blümel zu bedenken.

Bei der Wien-Wahl 2015 erzielte die ÖVP ihr historisch schlechtestes Ergebnis. Nur 9,2 Prozent der Hauptstädter votierten für die Volkspartei. Von dieser Ausgangslage wolle man einen "großen Sprung" nach oben machen. Auch interne Zahlen der Türkisen würden darauf hinweisen, allerdings läge man da nur bei 17 bis 18 Prozent. "Ich glaube Umfragen erst, wenn sie sich in Stimmen umgewandelt haben", sagte Blümel. Das Ziel: "Wir wollen die Partei mit dem meisten Zugewinn sein."

Etablierte Kandidaten

Hinter Blümel reiht die ÖVP etablierte Gesichter: Landesgeschäftsführerin Bernadette Arnoldner gefolgt von Stadtrat Markus Wölbitsch und Seniorenbund-Präsidentin Ingrid Korosec. Auf Platz fünf folgt der ehemaligen Radio- und Fernsehmoderator Peter L. Eppinger, die "Stimme der türkisen Bewegung" (Blümel). Klubobfrau Elisabeth Olischar findet sich auf Platz sechs vor Manfred Juraczka, der 2015 als Spitzenkandidat das ÖVP-Wahldesaster mitzuverantworten hatte.

In welche Richtung es inhaltlich bei den Türkisen gehen wird, ließ man am Mittwoch offen. Noch sei niemandem nach Wahlkampf zumute, sagte Stadtrat Wölbitsch.

Disput mit Wien

Das Auslassen konkreter Themen, die die ÖVP bei der Wahl in Wien spielen will, überrascht. Denn eigentlich ist die ÖVP schon seit mehreren Wochen, wenn nicht Monaten damit beschäftigt, sich für die Wahl in Stellung zu bringen. Während des Lockdowns wurde parteipolitisch über die Öffnung der Bundesgärten für die Anrainer gezankt. Die zuständige Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) wollte justament nicht auf die Forderung der Wiener SPÖ eingehen, die zeitweilige Schließung rückgängig zu machen. Erst nach Wochen konnte sich die Stadtregierung durchsetzen.

Es blieb nicht bei der einmaligen Schützenhilfe des Bundes im Vorwahlkampf. Es folgten mahnende Worte von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), dass Wien auf die Unterstützung der Polizei bei der Rückverfolgung von Infektionsketten zurückgreifen solle. Nach den Unruhen in Favoriten ritt er mit Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) aus, um der Stadt das Zulassen von Parallelgesellschaften anzukreiden.

"Damit will die ÖVP ehemalige FPÖ-Wähler ansprechen", sagt Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle. Tatsächlich gibt es hier einen großen Teich, in dem gefischt werden kann. Bei der Wahl 2015 kamen die Blauen mit Heinz-Christian Strache als Spitzenkandidat auf über 30 Prozent. Die FPÖ ist in der Zwischenzeit zerbröselt. Zwar tritt Strache mit einer eigenen Liste an, kämpft aber damit, überhaupt den Einzug in den Gemeinderat zu schaffen.

Bad Cops im Bund

Nehammer nehme man seine Rolle als Vertreter einer Law-and-order-Politik eher ab als Blümel, erklärt Stainer-Hämmerle. Nicht umsonst gab es Gerüchte über einen Wechsel auf Platz eins in Wien. Diese wurden mit der Listenfixierung aber ausgeräumt. Es werde interessant sein, zu beobachten, so die Politologin, wie Blümel in der Rolle funktionieren werde, denn: "Er ist nicht ein Politiker der markigen Sprüche." Nicht auszuschließen sei, dass die ÖVP bis zum Wahltag eine Doppelstrategie fährt: Die Bundespolitiker spielen die Bad Cops, etwa Richtung Integration, Blümel setzt auf "Feel good".

Nicht unbeabsichtigt soll die Wahl der Location für die Listenpräsentation gewesen sein. Blümel will sich für das "Leben am Wasser" einsetzen. In der Vergangenheit tat er das zum Beispiel bereits damit, dass er eine Surfwelle am Brigittenauer Sporn forderte. (Oona Kroisleitner, Rosa-Winkler Hermaden, 15.7.2020)