Erholung pur: Vor dem Kunsthistorischen Museum ertönt momentan die Klanginstallation "Esile rüf" von Ayse Erkmen – Beethovens "Für Elise" retour gespielt. Im Inneren hört man nur die Schritte vereinzelter Kunsttouris auf dem Parkettboden.
Foto: KHM-Museumsverband

Eine Suite mit fast kitschigem Canaletto-Blick über die barocke Parkanlage und die Dächer Wiens. Die Destination verfügt über royalen Charme und ist gut angebunden – ach ja, Kunst gibt es auch. Viel braucht man für den Urlaub im Museum nicht einzupacken, hierher reist man mit leichtem Gepäck. Einzig eine dünne Überbekleidung sei empfohlen, denn während die Sonne draußen auf den Asphalt brennt, bleibt es in den Sälen der Kunstpaläste schön kühl.

Mit dem "Kurzurlaub im Belvedere" wirbt das seit Anfang Juli wieder eröffnete Museum: Slogans wie "Nach Auvers mit van Gogh" oder "An den Attersee mit Klimt" sollen das einheimische Publikum sowie vereinzelte Touristen aus den Nachbarländern in diesem sonst weitgehend touristenarmen Sommer locken. Das ist zwar kein Geheimtipp für ansässige Kunstinteressierte, dennoch wärmstens anzuraten. Üblicherweise quellen zu dieser Jahreszeit Massen aus Reisebussen und sammeln sich zu mit Schirmen und Selfiesticks bekrönten Menschentrauben, um sich dann durch die Schausammlung des Schlosses Belvedere zu schieben. Heuer herrscht ein unaufdringlicher Andrang.

Hat man den kurzweiligen Check-in erledigt, sollte man den ansonsten verstellten Kuss von Gustav Klimt aufsuchen – denn mit dem goldenen Schmusepaar ist man nun alleine. Während der Schließzeit wurde das Bild – so wie die gesamte Schausammlung – umgehängt und mit Neuankömmlingen von Erika Giovanna Klien und Greta Freist sowie den Leihgaben Freundinnen und Mädchen im Grünen von Klimt erweitert. Durch das luftigere Arrangement gibt es jetzt mehr Platz. Passend zu den einzelnen Besuchenden, die davor verweilen.

Neu arrangiert: Die Schausammlung im Oberen Belvedere wurde luftiger gehängt, auch "Der Kuss" von Gustav Klimt – mit ihm kann man jetzt alleine sein.
Foto: Ouriel Morgensztern, Belvedere, Wien

Once in a lifetime?

Vergleicht man die Besucherzahlen mit dem Vorjahr, konnte alleine in der ersten Juliwoche ein Rückgang von 78 Prozent im Oberen Belvedere verzeichnet werden. In einem "normalen" Juli wird das Museum zu etwa 91 Prozent von Touristen besucht. Nun kommt der Großteil der Gäste aus Österreich. Es war eine fragile Einnahmen-Balance, die durch die Corona-Krise, die wochenlange Schließung und die vorerst ausbleibenden Touristenmassen, ins Wanken geraten ist.

Den großen Museen warf man vor, sich zu lange auf Besuchende aus dem Ausland konzentriert und dabei jene aud dem Inland vergessen zu haben. Dem widerspricht Belvedere-Generaldirektorin Stella Rollig: Man habe sich im Haus auch vor der Krise stets um einheimisches Publikum bemüht.

Die Situation in den anderen großen Museumstankern der Stadt ist ähnlich: Das Kunsthistorische Museum spricht von einem "Bruchteil" der gängigen Besuche, und die Albertina misst – bis auf ein starkes Eröffnungswochenende in der Albertina modern – 80 Prozent weniger Publikum. Nun versucht man dennoch, mit speziellen Vermittlungsprogrammen auf das in Österreich lebende Publikum zuzugehen. Es wird deutlich, wie dringend die Museen und auch die Stadt die Touristen brauchen und welch großen Wirtschaftsfaktor sie darstellen. Was ihr Fernbleiben verursacht, wird sich an den finanziellen Folgen zeigen, die den Einrichtungen drohen.

Egoistisch gesehen – sehr, sehr geil!

Auf einer individuellen Ebene gesehen, bietet sich hier aber eine einmalige Gelegenheit: Die im Lande verbleibenden Heimattouristen können die Stadt in den nächsten Monaten aus einer neuen Perspektive erkunden – und sie mit ihren Kunstschätzen weitgehend für sich haben.

"Endlich hat man Platz und muss sich nicht anstellen", erklärt eine ältere Frau vor dem KHM auf dem Maria-Theresien-Platz. Seit Wochen reist sie immer wieder extra aus Wien-Umgebung an, um die Sammlung in Ruhe zu besichtigen. Früher sei das Haus so überfüllt gewesen – ein Besuch sei für "uns Wiener" gar nicht mehr möglich gewesen, findet sie.

Neben vereinzelten italienischen, tschechischen und deutschen Touristen teilt man sich diese Destination mit einem Publikum aller Altersstufen aus Wien und den Bundesländern, das durch die großen Säle der Gemäldegalerie schlendert und sich darin ideal verteilt. Sogar verlorengeht.

Außer den knarrenden Holzböden vernimmt man kaum andere Geräusche. Menschen sitzen vertieft auf samtenen Sofas und drücken sich still Audioguides an die Ohren. Zwar wird es bei Brueghel und den niederländischen Meistern etwas voller, dafür erschreckt man in den schmalen Seitengängen fast, sobald jemand entgegenkommt. In diesem Domizil stresst niemand – der Alltagsstress ist schnell vergessen.

Augen auf: Zwischen den einzelnen Kunststationen sollte man nicht eilig an öffentlicher Kunst vorbeihuschen.
Foto: Kaja Clara Joo

Als Flaneurin durch Wien

In diesem Modus kann man die Reise fortsetzen – oder auch etwas aufpeppen: Tourt man dann zwischen den musealen Urlaubszielen Wiens umher, sollte man diese Chance voll auskosten und die Stadt mit dem Blick einer Bummlerin von Welt erkunden. Nicht gehetzt von Ort zu Ort eilen, sondern aufmerksam spazieren. Ja, flanieren sollte man durch Wien! Als wäre man zum ersten Mal hier! Verlaufen Sie sich in den kleinen Gassen! Auf diese Weise kommt man nicht nur an allerhand öffentlicher Kunst vorbei, man nimmt sie auch als solche wahr.

So können aufmerksame Flaneure die Installation Twins von Roland Reiter in der MQ Art Box im Museumsquartier entdecken, ohne blind an der riesigen Vitrine vorbeizuhuschen. Immerhin verschmelzen da zwei goldverspiegelte Autokarosserien miteinander. Oh, und was ist das? In der Tonspur-Passage kann man seelenruhig Wolfsgeheule von Valie Export lauschen. Am Graben im ersten Bezirk läuft man der gepiercten Zungen-Skulptur von Alexandra Bircken über den Weg. Und verirrt man sich doch auch außerhalb des innerstädtischen Radius, gibt einem die Aktion von Katharina Cibulka auf einem Baugerüst auf der Linken Wienzeile 168 eine feministische Botschaft mit auf die Reise.

Last stop: Unbedingt auch in kleineren Unterkünften (Kunsträumen) absteigen!
Foto: Eva Würdinger

Hat man die großen Kunstdestinationen und alles, was einem auf der Durchreise dorthin so begegnet, besichtigt, sollte man abschließend unbedingt noch in ein paar kleineren Unterkünften absteigen. Beispielsweise im Kunstraum Niederösterreich bei der Herrengasse. Dort spannen in der aktuellen Schau Durst sieben zeitgenössische Künstlerinnen den Bogen zwischen Vampirismus, kultureller Aneignung und der Ausbeutung der Umwelt. Ein Skelett und echtes Blut gibt es auch zu sehen!

Falls man dann immer noch nicht abreisen möchte, kann man gegenüber in den schattigen Gastgarten des Café Central einkehren. Dort gibt es neben österreichischer Küche aktuell auch genügend Platz. Freien Blick auf vorbeifahrende Fiaker und andere flanierende Touris hat man auch. (Katharina Rustler, 16.7.2020)