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"Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, eine zivile Regierung": Dafür haben die Sudanesen und Sudanesinnen 2019 ihre Revolution gemacht.

Foto: REUTERS/Mohamed Nureldin Abdallah

Inmitten der Corona-Krise bekommen die Sudanesen und Sudanesinnen ein Stück der von ihnen – zumindest von jenen, die die Revolution 2019 mitgetragen haben – verlangten Reformen. Am Wochenende verkündete Justizminister Nasredeen Adbulbari in Khartum die Abschaffung von einigen bei Hardlinern beliebten islamistischen juristischen Versatzstücken: den öffentlichen Auspeitschungen, dem Alkoholverbot für Nichtmuslime und dem Apostasiegesetz, das den Abfall vom Islam mit dem Tod bedroht.

Damit zusammenhängend ist auch der Bann der Praxis des "Takfir" zu sehen: Dabei wird ein Muslim, der wirklich oder vermeintlich islamische Bestimmungen verletzt, zum Nichtmuslim erklärt und damit den Fanatikern zum Abschuss freigegeben. Zuvor verbot die Regierung bereits die weibliche Genitalbeschneidung (FGM), die zwar nicht genuin islamisch ist, aber von manchen Muftis als zumindest islamisch erwünscht bezeichnet wird.

Nicht über Nacht

In einem Land wie dem Sudan, das dreißig Jahre unter einem kleptokratischen Militärregime lebte, das sich mit einem islamischen System zu legitimieren versuchte, werden solche Reformen nicht über Nacht greifen. Die Corona-Einschränkungen erschweren es, dafür öffentliches Bewusstsein zu wecken und die Neuigkeiten bis zum letzten Dorfrichter zu tragen. Und andere wirtschaftliche und soziale Probleme, die schon vor Corona da waren – und die Revolution mit ausgelöst haben –, sind für die meisten Menschen noch dringlicher.

Aber die Justizreform ist dennoch ein wichtiger und kühner Schritt von Regierungschef Abdalla Hamdok, der auch einige Minister sowie den Polizeichef und dessen Vize austauschte, die von vielen als dem alten Regime nahestehend empfunden wurden. Hamdok bemüht sich natürlich auch darum, die internationale Gemeinschaft von seinem Reformkurs zu überzeugen. Dieser wurde auch am 25. Juni bei einer Sudan-Konferenz in Berlin bekräftigt, die die deutsche Regierung gemeinsam mit EU und Uno ausrichtete und die 1,8 Milliarden US-Dollar an finanziellen Zusagen an den Sudan einbrachte.

Druck durch die Terrorliste

Das Washington Institute for Near East Policy forderte vor wenigen Tagen auch die USA auf, sich mehr zu engagieren. Die US-Regierung hat den Sudan noch immer nicht von der Terrorismusliste gestrichen, was Hamdok bei vielen Vorhaben hemmt. Washington will dadurch den Druck auf die sudanesischen Militärs aufrechterhalten, den Weg der Kooperation mit den Zivilisten bis zu den geplanten Wahlen 2022 weiterzugehen. Vor allem die Person des Vizechefs des interimistischen "Souveränen Rates" macht viele misstrauisch: Es ist der frühere Darfur-Warlord Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemeti, Gründer der mörderischen Janjaweed-Milizen.

Derzeit brodelt es wieder im Sudan. Ende Juni und Anfang Juli setzten sich zehntausende Menschen in Khartum und anderen Städten über die Corona-Vorschriften hinweg und strömten auf die Straßen: Es war der Jahrestag vom "Marsch der Millionen" vor einem Jahr, der wesentlich mithalf, dass der Sudan heute eine gemischte militärisch-zivile Übergangsverwaltung hat. Die Militärjunta, die im April 2019 Langzeitmachthaber Omar al-Bashir gestürzt hatte, musste erst dazu gezwungen werden, die Macht zu teilen: Das Konstrukt besteht aus einem von den Militärs geleiteten, aber beidseitig besetzten "Souveränen Rat", der Präsidentschaft, sowie der vom international angesehenen Technokraten Hamdok geführten Übergangsregierung.

Vor allem in Darfur kommt es in den letzten Tagen zu Unruhen, die von den Sicherheitskräften teilweise mit Gewalt beantwortet wurden, wobei es auch Tote gab. Gespräche mit Rebellengruppen aufzunehmen war einer der ersten Schritte von Hamdok gewesen. Trotz vielversprechender Ansätze kommt man im Friedensprozess jedoch nicht wirklich weiter. Omar al-Bashir wurde zwar wegen Korruption vor Gericht gestellt, aber Gerechtigkeit für die Opfer des Darfur-Konflikts, der ab 2003 nach Uno-Schätzungen bis zu 300.000 Todesopfer forderte, ist nicht in Sicht.

Gerechtigkeit muss warten

Eher vage hatte die Regierung in Aussicht gestellt, dass Bashir der Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag (ICC) unterworfen werden könnte. Der ICC hat bereit 2009 und 2010 zwei Haftbefehle wegen Kriegsverbrechen in Darfur ausgestellt. Prozeduren zur Auslieferung laufen jedoch keine – und in Corona-Zeiten wird der ICC auch nicht so schnell in den Sudan kommen, was als mögliche Lösung angesehen wurde.

Aber die revolutionären Kräfte verlangen nicht nur die Verfolgung der Verbrechen des im April 2019 gestürzten Regimes, sondern auch der während der Revolution verübten Angriffe auf die Demonstranten und Demonstrantinnen, vor allem auf ein Sit-in in Khartum am 3. Juni 2019. Auch dafür wird Hemeti von vielen verantwortlich gemacht.

Und dann gibt es auch noch Covid-19: Realistische offizielle Zahlen gibt es kaum, oft – etwa in Norddarfur Anfang Juni – ist noch die Rede von gehäuften Todesfällen, vor allem unter Alten, aufgrund einer "mysteriösen Krankheit". Das sudanesische Gesundheitssystem ist der Pandemie in keiner Weise gewachsen. (Gudrun Harrer, 16.7.2020)