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Es ist schon absurd, dass jemand das Geld, das ihm zusteht, nicht haben will. So geschehen in Irland, das nach Ansicht der EU-Kommission zu wenig Steuern von Apple eingehoben habe. 13 Milliarden Euro schwer sei das Geschenk Dublins an den iPhone-Hersteller aus den USA. Doch Brüssel ist mit dem aufsehenerregenden Vorstoß beim EU-Gericht abgeblitzt. Das ist ein herber Rückschlag im Kampf gegen Steuervermeidung, bringt aber auch Chancen mit sich.

Absurd ist freilich nicht nur Irlands Verhalten, sondern auch das vieler anderer Staaten. Nicht nur einschlägige Steueroasen in der Karibik rollen den Konzernen den roten Teppich aus, um Firmensitze oder Produktionsstätten ins Land zu holen. Der Steuerwettlauf nach unten intensiviert sich dadurch und schädigt nicht nur die Allgemeinheit. Leidtragende sind auch mittelständische Unternehmen, die insbesondere von den Tech-Giganten wie Amazon an die Wand gedrängt werden. Ihnen stehen die komplexen Steuervermeidungskonstrukte nicht zur Verfügung; stattdessen werden sie besonders intensiv gemolken.

Die EU-Kommission befindet sich in dieser Situation in einem Dilemma. Bei direkten Steuern hat sie wenig zu melden, der Rat der Mitglieder kommt bei dem Thema wegen der erforderlichen Einstimmigkeit kaum einen Meter weiter. Die Debatte um die EU-Digital- oder Finanztransaktionssteuer hat in den letzten Jahren wunderbar traurig vor Augen geführt, wie hilflos und unfähig diese Gemeinschaft agiert.

Es war ein geschickter Schachzug der damaligen Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, Steuerdumping über das Beihilferecht aushebeln zu wollen, denn auf diesem Gebiet besitzt die Union tatsächlich die notwendigen Kompetenzen und Waffen. Doch dass der Grat zwischen Wettbewerbs- und Steuerrecht eine schmaler ist, war von Anfang an klar. Letztlich konnte die Behörde nicht nachweisen, dass Apple tatsächlich derart hohe und noch dazu illegale Vergünstigungen erhält. Für Vestager ist die Sache ein Rückschlag, aber kein verheerender – immerhin hat sie es versucht.

Für die Union und ihre Bürger hingegen könnte die Niederlage nicht größer sein. EU-Länder dürfen ausgerechnet jene amerikanischen Riesen hofieren, die als Dankeschön dem darbenden europäischen Mittelstand zu Leibe rücken. Google wird somit weiterhin (wie Apple) von Irland aus europäische Werbeträger angreifen, Amazon seine Luxemburg-Konstruktion zur Schwächung des stationären Handels nutzen. Und EU-Länder sekundieren ihnen auch noch bei diesem Feldzug.

Das schreit geradezu nach einer grundlegenden Reform. Eine Ausrede, mit der energisches Handeln in Europa auf die lange Bank geschoben wurde, gilt derzeit noch weniger denn je: das Argument, dass ein neues Steuersystem nur auf globaler Ebene sinnvoll sei. Denn auf dieser Stufe haben die USA längst die Gespräche verlassen, weshalb die Hoffnung auf internationalen Konsens eine Illusion ist. Das erhöht den Druck auf Europa und kann somit auch als Chance begriffen werden. Wenn die Union Wege gegen Gewinnverschiebung und Steuerdumping findet, kann sie nicht nur für mehr Gerechtigkeit sorgen, sondern auch als solidarische, starke Gemeinschaft Flagge zeigen.

Voraussetzung dafür wäre freilich ein Zurückdrängen von Egoismen und Kleinstaaterei. Sollte das gelingen, würde sich der Fall Apple als heilsamer Schock für die EU erweisen. (Andreas Schnauder, 15.7.2020)