Tausende Bulgaren fordern mehr Rechtsstaatlichkeit für alle Bürger. Der Staatschef und die US-Botschaft unterstützen die Proteste.

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Sie protestieren gegen den Einfluss der Politik auf die Justiz, für Umweltschutz und dagegen, dass sich Reiche über das Gesetz stellen und öffentliches Gut missachten. Seit einer Woche bereits demonstrieren tausende Bulgaren in mehreren großen Städten gegen die Regierung von Premier Bojko Borissow. Und es werden jeden Tag mehr. Der Regierungsschef hat am Mittwoch, angesichts der Demo-Welle, seinen Finanz- und seinen Innenminister zum Rücktritt aufgefordert. Die Proteste wurden dennoch am Abend in mehreren Städten fortgeführt.

Unterstützung bekommt die Protestbewegung von der US-Botschaft in Sofia, die meinte, dass "jede Nation ein Justizsystem verdient, das unparteiisch und der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet ist". Niemand stehe über dem Gesetz, so die Botschaft. Gemeint war damit wohl der Politiker und Oligarch Ahmed Dogan. Auslöser der Proteste war ein Video vom 8. Juli, das den Oppositionspolitiker Hristo Ivanow zeigte, als er von einem öffentlichen Strand an der bulgarischen Schwarzmeerküste in der Nähe von Burgas von privaten Sicherheitsleuten vertrieben wurde. Dieser Strand befindet sich neben der Luxusvilla von Dogan, der die Partei "Bewegung für Rechte und Freiheiten" gründete und offensichtlich die Nutzung des Strandes durch Bürger verhindern will. Nach der Veröffentlichung des Videos versuchten hunderte Bürger zu dem Strand zu gelangen. Doch obwohl es sich um öffentliches Eigentum handelt, riegelte die Polizei das Gebiet ab.

Machtkampf

Aber nicht nur die zuvorkommende Behandlung Dogans bringt die Leute auf die Straße. Im Hintergrund geht es um den innenpolitischen Machtkampf zwischen dem konservativen Borissow und Staatspräsident Rumen Radew, einem Sozialdemokraten, der die Proteste unterstützt. Nach den Vorfällen an der Schwarzmeerküste sagte Radew, dass es keinen Grund dafür gebe, dass die Polizei das Gebiet rund um die Villa von Dogan bewacht.

Am nächsten Tag wurde daraufhin das Büro des Staatspräsidenten Radew von der Staatsanwaltschaft untersucht. Ein Sekretär und ein Berater des Staatschefs wurden festgenommen. Beobachter denken, dass dies damit zu tun hat, dass Radew den mächtigen Dogan kritisiert hatte. Generalstaatsanwalt Iwan Geschew wies diesen Vorwurf zurück. Doch Radew verlangt den Rücktritt Geschews, der auch von vielen Demonstranten als verlängerter Arm von Premier Borissow gesehen wird. Geschew hatte zudem zu Beginn des Jahres den Staatspräsidenten abhören lassen.

Die täglichen Demos werden nun auch von Umweltschützern unterstützt, die anlässlich des Falls Dogan kritisieren, dass einflussreiche Leute die Schwarzmeerküste verbauen können. Kritik gibt es auch am Pandemiemanagement der Regierung.

Polizeigewalt

Ebenso wie in Serbien sorgt auch in Bulgarien die Polizeigewalt gegen Demonstranten für Erschütterung. In Sofia wurde etwa der Jus-Student Ewgeni Marchew so geschlagen, dass er ins Spital musste. Und wie in Belgrad behauptet auch die Regierung in Sofia, dass die Proteste vom Ausland aus gesteuert seien.

Borissow war bereits Juni unter Druck geraten, als Fotos veröffentlicht wurden, die ihn auf einem Bett schlafend zeigten – auf dem Nachtkasterl daneben lagen eine Pistole und Geldbündel. (Adelheid Wölfl, 15.7.2020)