Auf der Insel Mallorca werden Sicherheitsabstände nicht eingehalten und Masken werden kaum getragen.

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Nur einen Monat nach der "großen Öffnung" der Grenzen zu den Nachbarländern samt Rücknahme strikter staatlicher Maßnahmen gegen Covid-19 kehrt in Österreich Ernüchterung hinsichtlich Corona ein. Das Land kippt gerade in Phase Nummer drei im Umgang mit dem Virus.

Phase eins – Angst – war im Frühjahr, als die Pandemie nach Europa kam. Die Zahl an Infizierten stieg furchterregend schnell an. Die Regierung sperrte Land und Wirtschaft rigoros zu und rutschte damit ins Umfragehoch.

Mitte Juni, in Phase zwei, folgte das Aufatmen, die Welle an Infektionen schien vorbei. Unter dem Druck der Wirtschaft hob man die meisten Zwangsmaßnahmen wieder auf und ließ sich feiern – leider etwas vorschnell, wie sich zeigt. Nun taucht alle paar Tage ein neuer Corona-Cluster auf, zuletzt in einem Schlachthof in Horn. Es werden Kindergärten geschlossen, Bezirke unter Quarantäne gestellt.

Die Zahl der Infizierten steigt nicht spektakulär, aber so, wie Virologen das Entstehen der "zweiten Welle" vorausgesagt haben: Sie kommt langsam, aber sicher. Das spüren viele schon. Zwei Beispiele: In heimischen Supermärkten sah man zuletzt kaum noch Leute mit Masken, als wäre Corona vorbei. Auf Mallorca wurde eine Corona-Party mit hunderten Teilnehmern gefilmt, die sich aufführten wie einst die Kampffeierer beim Saufen in Ischgl.

Daher gehen jetzt Sorge und Ärger um. Eine Minderheit von Verantwortungslosen verunsichert die Mehrheit. Und die Gesellschaft wirkt bei der Frage, wie man den Schutz der Menschen am besten gestalten könnte oder muss, gespaltener denn je. Die einen rufen bereits wieder nach mehr Verboten, nach klaren Vorgaben durch Regierungen in Bund und Land, nach Behörden und sogar der Polizei, die den Bürgern enge Vorgaben machen, sie kontrollieren, bei Verstößen auch Strafen verhängen.

Die anderen beschwören die Freiheit, lehnen die dauernde Gängelung durch die Regierung ab, fordern mehr Vorsicht vom Einzelnen und Rücksicht auf andere, die man gefährden könnte. Sprich: mehr Eigenverantwortung.

Beide Konzepte für sich allein funktionieren offenbar nicht – weder der staatsgläubige Zugang der strengen Regelungen noch das liberale Verständnis, dass freie Menschen sich schon richtig und vernünftig verhalten würden. Das ist nicht nur in Österreich so, sondern quer durch Europa. Nicht zufällig führen Belgien und Frankreich die Maskenpflicht in Geschäften wieder ein, wie das hierzulande auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner fordert.

Europa wird zu Recht als Hort der Freiheit der Bürger, der Grundrechte gepriesen. Aber es gibt in der Corona-Krise eine Krise der Eigenverantwortung, wenn sogar die einfachsten freiwilligen Verhaltensweisen zum Schutz aller – Abstand halten, Mundschutz, Hände waschen – von zu vielen ignoriert werden. Man wird also um neue Verbote und Gebote kaum herumkommen, EU-weit angepasst. Noch wichtiger wäre es, die Aufklärung voranzutreiben. Da müssen wir alle kräftig nachbessern, Regierung und Zivilgesellschaft. (Thomas Mayer, 15.7.2020)