"Wissenschaft als Kommunikation in der Metropole Wien" betitelt die renommierte Wissenschaftshistorikerin Marianne Klemun vom Institut für Geschichte der Universität Wien ihre druckfrische Edition der Tagebücher Franz von Hauers der Jahre 1860 bis 1868 bei Böhlau. Die privaten Aufzeichnungen geben Einblick in die Welt eines großen Wissenschafters aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, man erfährt Privates, wie auch Details über den wissenschaftlichen Betrieb. Der 1822 geborene Franz von Hauer, Paläontologe und Geologe, war seit der Gründung der k. k. Geologischen Reichsanstalt 1849 durch Direktor Wilhelm von Haidinger (1795–1871) deren Vizedirektor, ab 1. Dezember 1866 dann deren Direktor, ehe er ab 1885 als Generalintendant (bis 1896) an das k. k. naturhistorische Hof-Museum wechselte.

Die Aufzeichnungen Franz von Hauers mit Einblicken in die Welt des vielbeschäftigen Wissenschafters.
Foto: Geologische Bundesanstalt

Ein Blick auf den 17. Oktober 1861, ein Donnerstag, zeigt Hauers dicht gedrängtes Tagesprogramm, das von einer Einkaufstour in der Wiener Innenstadt mit seiner Frau Louise unterbrochen war: "Früh an dem Artikel f. d. Wiener Zeit[un]g geschrieben. – In die Anstalt, Beer preßt mich zu einem Vortrage an einem der Damen-Abende in der Gartenbau-Gesellschaft ich sage zu. – Brief von Jokely – Ich antworte sogleich. – An den Kreidefossilien gearbeitet. – Nachmittag mit Louise i. d. Stadt, Einkäufe gemacht, dann Akad[emie] Sitz[un]g. Abermals eine Haidinger’sche Meteoriten-Abhandlung vorgelegt. 2ten Bd. Novarawerk vom Kriegs-Ministerium erhalten."

Die Chronologie des Tagesgeschäfts als "Checklistkaskade"

Dazu Klemun: "Das Tagebuch (Notizbuch) begleitet wie ein Sieb Arbeitsprozesse und Absprachen in Zeit und Raum. Es dient als Destillat des Tages dem Autor zur Stütze für die Selbstkontrolle und stellt eine Investition in die Zukunft dar. Wie an einer Checklistkaskade arbeitet Hauer seine Tagesgeschäfte im Buch chronologisch entsprechend ihrer Erledigung ab." Wenn Hauer von der "Anstalt" spricht, meint er seine Dienststelle, die k. k. Geologische Reichsanstalt, die sich damals im Palais Rasumofsky (3. Wiener Gemeindebezirk, Rasumofskygasse 23) befand. Joseph Georg Beer (1803–1873) war Botaniker und Generalsekretär der k. u. k. Gartenbau-Gesellschaft. Der Geologe Johann Jokely (1826–1862) hatte seinen Arbeitsschwerpunkt in Böhmen und die hier angesprochene Sitzung in der Akademie (der Wissenschaften) war der allwöchentliche Treffpunkt der Wissenschafter in der Akademie mit Sitz am Universitätsplatz, der seit 1949 Dr.-Ignaz-Seipel-Platz heißt. An den Sitzungen, die an Donnerstagen stattfanden, wurden neue Forschungen präsentiert ("vorgelegt") und diskutiert. In dem hier erwähnten Novara-Werk, beschreibt Karl von Scherzer (1821–1903) in drei Bänden die Weltumseglung der SMS Fregatte Novara in den Jahren 1857 bis 1859.

Versteckte Notizzettel in Bittners Bosnientagebuch

Hauer war es auch, der als Direktor am 1. März 1880 ein Vorwort zu den "Grundlinien der Geologie von Bosnien-Hercegovina" schrieb, den Erläuterungen zur geologischen Karte, die im Sommer 1879 die drei Geologen Edmund von Mojsisovics (1839–1907), Emil Tietze (1845–1931) und Alexander Bittner (1850–1902) vor Ort erarbeitet hatten. Die kleinformatigen Tagebücher Bittners geben Einblick in seine geologische Kartierungstätigkeit am Balkan. Bittner war, ebenso wie seine beiden Kollegen in den jeweiligen Arbeitsgebieten, alleine unterwegs. Sein mit Bleistift geschriebenes Tagebuch beginnt am 7. Juni 1879 mit der Anreise ("Früh 7 Uhr mit Eilzug der Südbahn nach Agram") und enthält vor allem geologische Notizen. Am vorderen und hinteren Umschlag befinden sich Laschen, hinter denen zahlreiche Notizzettel versteckt sind. Es überwiegen Kostenaufstellungen für Packpferde und deren Futter. Auffallend ist ein hektographierter Programmzettel mit einer Liste von acht Musikstücken, die den Vermerk tragen: "Visegrad, 6. Juli 1879".

Das Tagebuch Alexander Bittners mit der vorderen Einstecklasche.
Foto: Geologische Bundesanstalt
Der "versteckte" Programmzettel vom 6. Juli 1879 aus Bittners Tagebuch.
Foto: Geologische Bundesanstalt

An diesem Tag gab man in der Stadt, die im Südosten Bosniens nahe der serbischen Grenze an der Drina liegt, unter anderem den Walzer "I bin a wer" des heute weitgehend vergessenen und 1883 verstorbenen Komponisten Heinrich Strobl. Es finden sich aber auch bekanntere Namen, wie jener von Franz von Suppè. Zur Aufführung gelangte die Ouvertüre zu dessen Operette "Zehn Mädchen und kein Mann". Interessanterweise enthält Bittners Tagebucheintrag vom Sonntag den 6. Juli 1879 keinen Hinweis auf das Konzert und so werden wir nie erfahren, ob es ihm gefallen hat. Oder vielleicht wollte er auch in dem Tagebuch mit ausschließlich dienstlichen Einträgen ganz bewusst keinen Einblick in seine privaten Unterhaltungen geben.

Tietzes unleserliche Handschrift

Im Zuge der Arbeit am Buch "Abenteuer Wissenschaft", in dem es ein Kapitel "Aus Expeditionstagebüchern" gibt, stieß ich auf Emil Tietzes Tagebücher. Tietze, Jahrgang 1845, der 1879 Rosa Hauer, die Tochter seines Direktors geheiratet hatte, war bereits von 1873 bis 1875 in Persien gewesen. Seine dort verfassten Tagebücher sind kaum größer als eine Zigarettenschachtel, also ideal zum Einstecken, aber derart unleserlich geschrieben, dass er später selbst seine eigenen Tagbücher in leserlichere Schrift übertrug.

Tietzes originale persische Aufzeichnungen, schwer leserlich.
Foto: Geologische Bundesanstalt
Tietzes Transkription seiner Aufzeichnungen, leicht leserlich.
Foto: Geologische Bundesanstalt

Tietze, der ab 1901 Direktor der k. k. Geologischen Reichsanstalt wurde, war bis zu seinem Lebensende 1931 sehr eitel. So wollte er bei seinem Nachruf eine vollständige Liste all seiner Publikationen haben, die Mehrkosten beim Druck sollten seine Erben tragen. Und so ist auch sein Anliegen verständlich, dass seine Aufzeichnungen auch von späteren Generationen gelesen werden können. Die leichtere Lesbarkeit ist jedenfalls zu bestätigen. (Thomas Hofmann, 17.7.2020)