Seit Jahren entwickelt sich die Wiener Innenstadt zur Shopping-Mall internationaler Großkonzerne. Wir fischten uns drei Traditionsgeschäfte heraus, die wohl zu den Letzten ihrer Art im Stadtzentrum gehören, und fragten nach ihren Zukunftsaussichten.

Schirmgeschäft, Robert Suchanek: "Die Rettung läge in der Qualität"

Heribert Corn

"Als meine Tante und mein Onkel fragten, ob ich Interesse hätte, ihr Geschäft zu übernehmen, war ich noch als Postbus-Fahrer unterwegs. Das ist jetzt 16 Jahre her. Meine Frau und ich hatten damals ein kleines Kind, und wir dachten uns, das Geschäft würde besser zu unserem Leben passen. Seine Wurzeln reichen bis in das Jahr 1917 zurück. Früher befand sich auch eine Schirmfabrik im Haus. Außerdem gab es insgesamt fünf Filialen. Erhalten ist nur dieses Geschäft mit seiner 60er-Jahre-Einrichtung. Der Grund liegt darin, dass es die typischen Einkaufsstraßen in den äußeren Bezirken nicht mehr gibt. Ich arbeite hier mit meiner Frau, einer Teilzeitverkäuferin und einer älteren Dame, die kleinere Näharbeiten erledigt. Wir haben insgesamt 4000 Schirme im Angebot, verkaufen aber auch Regenbekleidung, Handschuhe und Stöcke. Außerdem bieten wir Service und Reparatur an.

Früher galt ein Schirm als ein Accessoire so wie ein Hut oder Handschuhe. Das Image des Schirms hat sich gewandelt. Aber was uns mehr und mehr zugutekommt, ist, dass viele Kunden, auch jüngere, genug von billiger Ware aus Fernost haben und vermehrt das Bedürfnis nach Qualität verspüren. So ein Schirm ist ein interessanter Gegenstand. Aber wer befasst sich schon mit seinem Aufbau und seiner Mechanik?

Die Entwicklung des ersten Bezirks beobachte ich natürlich mit Argwohn. Dass die kleinen Fachhändler in den Zentren aussterben, dieses Problem haben viele Städte. Der Grund liegt wohl im Fehlen der Nachfolger. Ich glaube auch nicht, dass einer meiner beiden Söhne hier einsteigen wird. Klar täte es mir sehr leid, denn die Kunden sind ja da. Den Lehrberuf Schirmmacher gibt es übrigens gar nicht mehr. Und da wäre noch ein Problem, das ich für diese Art von Geschäften sehe. Umso weniger Fachhändler existieren, desto weniger können auch heimische Produzenten von Qualitätsware überleben. Einerseits bin ich froh, dass ich wenig Konkurrenz habe, andererseits bekomme ich gewisse Produkte nicht, weil es sich nicht rentiert, sie in kleinen Stückzahlen zu produzieren. Ich denke, die einzige Möglichkeit, Gebiete wie die Wiener City zu retten, wäre, auf Qualität zu setzen. Auf Qualität von regionalen Produkten. Dafür müssten natürlich auch die Kunden ein größeres Bewusstsein entwickeln. Es ist eigenartig, aber nach dem Wiederaufsperren nach dem Corona-bedingten Schließen fragten viel mehr Kunden nach der Herkunft unserer Produkte, um die heimische Industrie zu unterstützen."

Schirmfachgeschäft Brigitte, Franz-Josefs-Kai 27 (beim Schwedenplatz), 1010 Wien


Schneiderzubehör, Heidi Hartinger: "Ich bin doch kein Zoo"

"Der Ursprung des Geschäftes geht auf meine Großeltern zurück. Ursprünglich lag das Geschäft um die Ecke. Seit 1956 befinden wir uns in der Spiegelgasse. Einst arbeiteten hier sieben Angestellte. Seit zwölf Jahren beschäftige ich lediglich eine Teilzeitkraft. Ich selbst bin seit 45 Jahren dabei. Zu finden gibt es bei mir 15.000 Artikel, von allen möglichen Scheren über Schulterpölster bis hin zu Stecknadel-Magnetschälchen.

Das Geschäft ist im Originalzustand. Das gefällt den Menschen, denn Vintage ist en vogue. Das war nicht immer so. Noch vor zehn Jahren empfanden diese Gestaltung viele als unmodern und verstaubt. Damals lief es auch wirtschaftlich nicht besonders gut. Das hat sich ge ändert, denn auch wir profitieren vom Trend zum Selbermachen und dem wachsenden Bewusstsein für Nachhaltigkeit. Viele Kunden schätzen die Vielfalt und die Beratung, die sie hier auch in kleinen Belangen finden. Die Seele des Geschäftes würde ich mit Beständigkeit beschreiben.

Ich darf viele Stammkunden zählen, auch jüngere. Doch, ja, die meisten sind Frauen, es gibt aber vereinzelt auch Männer, die zum Beispiel geschieden wurden und auf der Suche nach Nähzeug sind, um sich einen Knopf anzunähen. Glauben Sie mir, ich bekomme viele Geschichten zu hören.

Im Großen und Ganzen bin ich zufrieden, ich hatte mehrere Möglichkeiten, mich ‚rauskaufen‘ zu lassen. Aber Geld ist nicht immer alles. Die Entwicklung der Innenstadt gefällt mir natürlich gar nicht. Das Individuelle verschwindet, viele Großstädte ähneln sich vor allem im Zentrum immer mehr. Auch die Touristenhorden, die vor Corona durch mein Geschäft zogen, erlebte ich als sehr irritierend. Die kommen, fotografieren und zischen wieder ab. Ich bin doch kein Zoo. Darum darf man hier auch nicht mehr fotografieren.

Ich fürchte, die ganze Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Die Gestaltung der Mieten macht es unmöglich. In 15, 20 Jahren wird es diese ‚Originale‘ in der Innenstadt nicht mehr geben. Ich bezahle noch einen guten alten Mietzins. Wenn ich in den Ruhestand gehe, wird wohl auch dieses Geschäft, so wie es jetzt ist, untergehen. Das ist das traurige Schicksal vieler alter Geschäfte. Ich sehe keine Lösung. Schön wäre es natürlich schon, wenn jemand mein Geschäft übernehmen wollte. Er oder sie müsste aber unbedingt die Einrichtung belassen."

Schneiderzubehör und Kunstpelze Hartinger, Spiegelgasse 13, 1010 Wien


Schreibwarenhändler, Gerhard Binder: "Ich arbeite rund um die Uhr"

Heribert Corn

Vor allem Notizbücher und Schreibgeräte aller Art kaufen die Leute wie verrückt. Nachdem wir nach der Zwangsschließung wegen Corona wieder aufsperrten, waren die Kunden ganz heiß auf Briefpapier. Unglaublich. Unterm Strich kann ich mich nicht beschweren, obwohl viele Kollegen aus meiner Zunft in der Innenstadt zusperrten. Dass es bei mir gut läuft, liegt aber nicht nur in der wiederaufkommenden Sehnsucht nach analogem Schreiben, sondern auch am Umstand, dass ich fast rund um die Uhr arbeite. Und was noch wichtiger ist: Ich stehe mit meinem Sohn im Geschäft. Er ist 30 und wird das Geschäft eines Tages übernehmen. Das ist fix. Er ist auch ein Arbeitstier. Die Mietkosten halten sich in Grenzen. Früher zahlte ich zwar noch den Friedenszins, aber 32 Euro für den Quadratmeter sind verkraftbar. Ich spreche von insgesamt 65 Quadratmetern.

Das Geschäft und sein Name gehen auf eine Firma zurück, die 1845 in der Roten turmstraße gegründet wurde. Ein Bombenangriff war der Grund, warum man hierher in die Wollzeile übersiedelte. Damals wurde vor allem Buchhalter-Bedarf abgedeckt. Das Sortiment hat sich erst in den 80er-Jahren grundlegend geändert. Ich begann 1984 für die Firma zu arbeiten, und zwar in einer dazugehörigen Druckerei im 21. Bezirk. Übernommen habe ich das Geschäft 2014. Mittlerweile führen wir 18.000 Artikel.

Klar ist es eine heikle Geschichte, wie sich der erste Bezirk entwickelt. Das Pro blem liegt an den meist viel zu hohen Mieten und den fehlenden Nachfolgern. Vielen ist auch der Aufwand, ein solches Geschäft zu führen, zu groß. Den Rest erledigt der Brutalokapitalismus. Weiters glaube ich, dass das Einfahrverbot noch mehr Geschäften Kopf und Kragen kosten wird. Letzte Woche erst war ein Kunde von auswärts im Geschäft und meinte, er käme sicher nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln von Melk in die Wollzeile. Dennoch kann ich mir vorstellen, dass mein Sohn auch in 30 Jahren noch hier herinnen steht. Wenn’s so weiterrennt."

König & Ebhard, Wollzeile 17, 1010 Wien

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