Tag zwei nach Bekanntwerden einer Bilanzaffäre in Mattersburg, wo die Commerzialbank in der Nacht auf Dienstag geschlossen wurde: Betroffenheit unter Kunden und Bevölkerung, Rätseln über Art und Ausmaß der mutmaßlichen Manipulation. Derzeit dürften noch nicht einmal Ermittler und Bankenaufsicht ganz verstehen, welchen Umfang der burgenländische Bilanzskandal hat.

In Mattersburg ist eine Banken- und Fußballkrise ausgebrochen.
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Insider erklären den Fall so: Der zurückgetretene Bankchef Martin Pucher, zugleich Präsident des SV Mattersburg, soll wegen hochtrabender Geschäfte, Zuwendungen an den Fußballklub und strengerer Anforderungen betreffend Kapitalpuffer vom rechten Weg abgekommen sein. Daher habe die Commerzialbank Aktiva bei anderen Banken vorgetäuscht, lautet diese Version, die an den Fall Wirecard erinnert. Bestätigen sich diese Informationen, dürfte die Malversation beträchtlich sein: Mehr als die Hälfte der Bilanzsumme und somit gut 400 Millionen Euro könnten verschwunden sein – besser gesagt: sie hätten nie existiert –, hieß es zunächst.

Freitagfrüh war bereits von bis zu 500 Millionen Euro die Rede, die laut Befürchtungen der Finanzmarktaufsicht fehlen könnten.

Hohe Zinsen verbucht

Ein Blick in die Bilanz der Bank des Jahres zeigt jedenfalls, dass allein gegenüber Kreditinstituten Forderungen in Höhe von 315 Millionen Euro ausgewiesen wurden. Was dann etwas stutzig macht: Die Banken, die sich in Mattersburg Geld geliehen haben sollen, hätten demnach fünf bis sechs Prozent Zinsen für die Kredite bezahlt. Es sollen, so erzählen Eingeweihte, aber auch Darlehen mit einer 20-prozentigen Verzinsung gewährt worden sein. Zumindest auf dem Papier.

Doch eine Fährte verfolgen die Ermittler – die Finanzmarktaufsicht hat Anzeige bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft erstattet: Wie wurden die Gelder für den Fußballklub verbucht? Der Bundesligist verfügt über ein Jahresbudget von 6,5 Millionen Euro, das erscheint manchen Experten als überdimensioniert. Geprüft wird nun, ob Gelder anstatt als Kredit an Unternehmen in den SV Mattersburg gesteckt wurden.

"Pucher kooperiert"

Pucher soll sich wegen dieser Vergehen selbst angezeigt haben. Angeblich hat er bei einem Gespräch den Prüfern einen Zettel in die Hand gedrückt, mit dem er sich selbst belastet. Laut seinem Anwalt stehen unrichtige Angaben seines Mandanten im Raum. Advokat Norbert Wess zum STANDARD: "Pucher kooperiert vollumfänglich und wird alles so rasch wie möglich vorlegen." Für den Ex-Banker und Ex-Fußballpräsidenten gilt selbstredend die Unschuldsvermutung. Die Bank wurde übrigens öfters durchleuchtet: Die Finanzmarktaufsicht schickte die Nationalbank-Prüfer schon 2015 und 2017 ins Burgenland, im März des heurigen Jahres dann noch einmal.

Martin Pucher kooperiert mit den Behörden, sagt sein Anwalt.
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Besonders betroffen von der Liquidation der Commerzialbank sind jene von 13.500 Kunden, die dort höhere Summen liegen haben. Die mittelburgenländische Gemeinde Hirm etwa, die ein Gros des Gemeindebudgets bei der Bank angelegt hat.

Die Gemeinde Hirm gehört zu den Geschädigten.

Der Technologiekonzern Frequentis und der Veranstalter Barracuda bangen um jeweils mehr als 30 Millionen Euro, die Energie Burgenland um fünf Millionen. Barracuda veranstaltet u. a. Konzerte wie Nova Rock und das Frequency-Festival. Wie sich der drohende Ausfall auf diese Events auswirken wird, will das zur internationalen Ticketgruppe CTS Eventim zählende Unternehmen nicht sagen. Meldungen, wonach die Konzerte vor dem Aus stünden, quittierte ein Sprecher mit: "kein Kommentar". Bilanz frisiert, Kunden rasiert, könnte man sagen.

Kleine Kunden brauchen Geduld

Auch kleinere Kunden brauchen in den kommenden Tagen viel Geduld und gute Nerven. Denn mit dem Zahlungsstopp der FMA sind bis auf Weiteres keine weiteren Einzahlungen, Abhebungen und Überweisungen mehr möglich. Damit gibt es weder einen Zugriff auf das Geld, Konto, Sparbuch, noch werden Daueraufträge – für Miete oder Versicherungen – durchgeführt. Betroffenen Kunden wird geraten, möglichst rasch ein Konto bei einer anderen Bank zu eröffnen und Zahlungsströme umzuleiten. Die Bank Burgenland etwa hat diesbezüglich schon ein Service für die Kunden eingerichtet.

Es gelte jetzt, Schritt für Schritt zu klären, wie viel werthaltiges Geld tatsächlich in der Bank steckt, heißt es aus der Finanzmarktaufsicht (FMA). Betont wird, dass die gesicherten Einlagen – also jenes Geld, das auf Sparbüchern, Gehalts-, Pensions-, Studenten-, Girokonten liegt – bis zur Höhe von 100.000 Euro pro Person abgesichert sind.

Einlagensicherung zahlt

Vertreter der Einlagensicherungsgesellschaft sind bereits vor Ort aktiv, Auszahlungen sollen innerhalb der nächsten sieben Werktage erfolgen. Damit die Pensionsauszahlung im August sichergestellt ist, stellt die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) die Anweisungen für Personen, die ihr Konto bei der Commerzialbank gehabt haben, vorübergehend auf eine Barauszahlung um. Die Umstellung erfolgt automatisch, davon betroffen sind rund 1800 Pensionisten.

Für die Einlagensicherung, die schon bei der Ex-Meinl-Bank Anglo Austrian zum Handkuss kam, ist das der zweite Schadensfall in kurzer Zeit. (Renate Graber, Bettina Pfluger, Andreas Schnauder, 17.7.2020)