"Es muss geschraubt werden, so kann das nicht weitergehen", sagt Eva Blimlinger im STANDARD-Interview über Presse- und Publizistikförderung sowie andere Medienförderungen. Zu ändern seien auch die Regeln für Privatradios und das ORF-Gesetz – über die Digitalnovelle im Herbst hinaus. Die Mediensprecherin der Grünen hat sich einiges vorgenommen für die türkis-grüne Medienpolitik nach dem Sommer und die Verhandlungen mit dem Medienbeauftragten von Kanzler Sebastian Kurz, Gerald Fleischmann.

Blimlingers nächste Pläne, Projekte und Forderungen im Überblick:

  • Für Presseförderung will die Mediensprecherin der Grünen neben quantitativen auch qualitative Kriterien. Auch regionale, kostenlose Wochenzeitungen sollen Förderung bekommen.
  • Mit Förderungen, aber auch Änderungen am Privatradiogesetz will sie regionale, vor allem nicht kommerzielle Radios stärken – und bundesweiten Sendern bestehende Vorrechte auf Frequenzen streichen.
  • Die neue Digitalförderung soll auch Onlinemedien zugutekommen.
  • Richtlinien für Medienförderung soll die Förderstelle RTR nicht mehr alleine ausarbeiten – Blimlinger will Kontrolle des Parlaments oder zumindest der Regierung.
  • Forderungen der Privatsender für das ORF-Gesetz sieht sie mehr als skeptisch – Verbot von Rabatten und Zugriff auf ORF-Rohmaterial und das ORF-Archiv etwa. Das ORF-Archiv könnten Privatsender – gegen Geld – ohnehin längst nutzen, wenn der ORF nicht eine "rechtswidrige" Benützerordnung formuliert hätte.
  • "Uniflix", eine Streamingplattform für Universitäten, soll Vorlesungen öffentlich zugänglich machen – auch über den geplanten ORF-Player.
  • Die republikseigene "Wiener Zeitung" will sie gedruckt und online erhalten, ohne die Frequenz zu präzisieren. Die Streichung der Pflichtinserate für Unternehmen sei "so in der Koalition nicht vereinbart". Im Regierungsprogramm steht die Abschaffung "in Papierform".
"Man muss sehr aufpassen, dass da Journalismus gefördert wird und nicht irgendwelche läppische Content-Produktion": Eva Blimlinger über die geplante Digitalförderung.
Andy Urban

"Möchte nicht, dass Medien, die das Hobby von Millionären sind, Steuergeld bekommen."

STANDARD: Das erste halbe Jahr türkis-grüne Medienpolitik war unter dem Eindruck der Corona-Krise vor allem Krisenhilfe mit Sondermedienförderung von 40 bis 50 Millionen Euro, mit den höchsten Förderungen für die "Krone" und "Oe24" in allen Spielarten. Was war denn daran grün?

Blimlinger: Ohne uns hätte es für den nicht kommerziellen Rundfunk, für Onlinemedien, für Wochenzeitungen oder auch für unter die Publizistikförderung fallende Medien wie "Südwind" oder "an.schläge" nichts gegeben und auch keine Förderung für erst im Vorjahr entstandene Medien. Das ist eine klare grüne Handschrift. Zugleich muss man bei diesen Förderungen jedoch immer darauf schauen, wer damit gefördert wird – und wer besser nicht.

STANDARD: Wer sollte besser nicht gefördert werden?

Blimlinger: Ich möchte nicht, dass Medien, die das Hobby von Millionären sind, Steuergeld bekommen.*

STANDARD: Servus TV, ein Medium von Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz, beantragt und bekommt einige Privatrundfunkförderung, heuer mit Sonderdotierung fast 2,9 Millionen Euro.

Blimlinger: Genau. Aber das wollten wir dieses Mal vermeiden. Also haben wir bestimmte Mindest- und Maximalwerte, etwa bei Abonnements, festgelegt, um deutlich zu machen, wer tatsächlich Förderung benötigt.

STANDARD: Also: Förderung für diejenigen, die Förderung brauchen?

Blimlinger: Um möglichst die bestehende Medienvielfalt zu sichern, auch wenn der Werbemarkt auf allen Ebenen einbricht.

STANDARD: "Addendum", ebenfalls ein Projekt von Dietrich Mateschitz, trägt doch zum Beispiel einiges zur Vielfalt der Inhalte und Meinungen bei. Uns fallen wahrscheinlich einige Medien ein, die viel Medienförderung bekommen und weniger qualitätsvolle Inhalte haben.

Blimlinger: Natürlich, fraglos. Aber da aus unserer Sicht dort genug Kapital vorhanden ist – wir sind ja auf dem freien Markt –, kann sich das selbst erhalten.

"Man würde sonst Medien bestrafen, die schon sehr lange online sind"

STANDARD: Nach den vielen Sonderförderungen wegen der Corona-Krise soll im zweiten Halbjahr noch eine neue, zusätzliche Digitalförderung kommen mit heuer 18, zumindest aber jährlich 15 Millionen Euro, laut Kanzler-Medienbeauftragten Gerald Fleischmann für Print- und Rundfunkmedien für digitale Transformation.

Blimlinger: Wir verhandeln da noch. Wir wollen unbedingt, dass neben Print und Rundfunk auch Onlinemedien gefördert werden.

STANDARD: Welche digitale Transformation brauchen denn schon digitale Onlinemedien?

Blimlinger: Man würde sonst Medien bestrafen, die schon sehr lange online sind, außerdem ist der digitale Transformationsprozess niemals abgeschlossen. Es ist ja nicht so, dass es, wenn einmal digitalisiert ist, damit erledigt ist. Die müssen ihre Infrastruktur auch stetig erneuern. Wenn ein Printmedium keine Mittel dafür hatte – oder den Einstieg ins Digitale verschlafen hat –, bekäme es nach bisherigem Stand relativ viel Förderung – und jene, die schon digital unterwegs sind, nichts. Das finden wir nicht nachvollziehbar.

STANDARD: Was wird da eigentlich konkret gefördert? Laut Kanzleramt Projekte in den Bereichen Barrierefreiheit von Portalen, Jugendschutz, IT-Sicherheit, Ausbildung, Infrastruktur, Inhalte. Das klang doch recht allgemein.

Blimlinger: Man muss sehr aufpassen, dass da Journalismus gefördert wird und nicht irgendwelche läppische Content-Produktion. Barrierefreiheit ist uns sehr wichtig – und da haben die privaten kommerziellen Rundfunksender einen hohen Nachholbedarf, obwohl sie dazu schon lange verpflichtet sind. Da sind die nicht kommerziellen Sender vorbildlich. Sie könnten auch rückwirkend dafür gefördert werden.

STANDARD: Was soll im Bereich IT-Sicherheit gefördert werden? Da soll es eine Art Meldesystem geben?

Blimlinger: Da muss man sehr auf Datenschutz und die Datenschutzgrundverordnung achten und nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Ein Meldesystem ist angedacht, aber man muss schauen, was das wirklich bedeutet. Der bisherige Entwurf verweist häufig auf Richtlinien, die die Förderstelle RTR ausarbeiten soll. So unterliegen diese Richtlinien aber keiner parlamentarischen Kontrolle. Wir wollen entweder einen parlamentarischen Beschluss, das ist vielleicht überbordend. Oder sie sollen wie eine Verordnung behandelt werden – die nach unserer Koalitionsvereinbarung immer die Zustimmung beider Regierungspartner braucht.

STANDARD: Sollte man das bei den übrigen Medienförderungen, die über die RTR laufen, ähnlich handhaben?

Blimlinger: Das wäre wünschenswert. Beginnen wir einmal bei der neuen Digitalförderung.

STANDARD: Das Regierungsübereinkommen verspricht, Medienförderungen grundsätzlich zu evaluieren, zu überprüfen. Sollte man sich die unterschiedlichen Förderungen nicht einmal gesamthaft betrachten und womöglich reformieren?

Blimlinger: Damit beginnen wir im Herbst.

"Wir sollten auch Frequenzen regionaler Sender absichern"

STANDARD: Und was kommt – nach Ihren Vorstellungen?

Blimlinger: Wir sollten uns das Thema breiter ansehen. Im Radiobereich etwa sollen regionale und lokale Sender einerseits gefördert und damit abgesichert werden, vor allem nicht kommerzielle Sender gilt es zu stärken, das kostet ja nun wirklich kein Eckhaus. Wir sollten aber auch ihre Frequenzen absichern. Derzeit bevorzugt das Privatradiogesetz bundesweite Privatsender, denen neu auszuschreibende Frequenzen zuzuordnen sind, wenn sie zur Verdichtung bundesweiter Lizenzen dienen. Das gefährdet lokale und regionale Radios. Bei Regionalmedien sollten wir uns die Vertriebskosten ansehen und womöglich den Vertrieb anders organisieren. Und dann sollte man noch einmal schauen, wie das mit der Förderung von Volksgruppenradio ist, das ja in den 2000er-Jahren eingestellt worden ist.

STANDARD: Regionalmedien meint auch die kostenlosen regionalen Wochenzeitungen wie jene der RMA? Bisher bekommen Gratistitel keine Presseförderung.

Blimlinger: Ja. Die sind wichtig für regionale Information. Die Zustellung ist für sie ein großes Problem.

STANDARD: Vielleicht ein Fall für digitale Transformation?

Blimlinger: Da ist der Umstieg auf digital schwierig. Sie sind vor allem für ein älteres Publikum wichtig. Ich glaube, dass Presse- und Publizistikförderung und Privatsenderförderung, kommerziell wie nicht kommerziell, zu kurz greift, das muss gesamthaft angeschaut werden.

STANDARD: Eine gemeinsame, neutrale Organisation für Zeitungszustellung wird immer wieder diskutiert – aber etwa eine Mediaprint mit "Krone" und "Kurier" wird ihren Wettbewerbsvorteil im Vertrieb nicht gern mit "Österreich" teilen.

Blimlinger: Ein solcher gemeinsamer Vertrieb wäre eine Möglichkeit. Aber auch Russmedia in Vorarlberg wird vermutlich ungern die "Krone" zustellen.

"Daran muss geschraubt werden, so kann das nicht weitergehen"

STANDARD: Wird nun an den bestehenden Medienförderungen geschraubt?

Blimlinger: Es muss daran geschraubt werden, so kann das nicht weitergehen. Die Presseförderung ist etwa an die Auflagezahlen gebunden – da müssten zum Beispiel Digitalabos berücksichtigt werden. Aber auch damit würde man ein von Anfang an unzulängliches System nur reparieren.

STANDARD: Was wäre ein zulängliches System?

Blimlinger: Eines, das qualitative und quantitative Kriterien vorsieht.

STANDARD: Zum Beispiel Beteiligung am Presserat, interne Maßnahmen zur Qualitätssicherung ...

Blimlinger: Genau. Und für die Förderung müssen Medien etwa fünf von acht Kriterien erfüllen, darunter kann auch die Auflage sein. Diesem Diskussionsprozess muss man sich stellen, auch diejenigen, die jetzt von der Presseförderung profitieren. Auch die Publizistikförderung muss man sich anschauen. Aber man kann natürlich eine "Kronen Zeitung" nicht demselben Förderregime unterwerfen wie "Tagebuch" oder die "an.schläge".

STANDARD: Da wäre noch die Privatrundfunkförderung.

Blimlinger: Österreich ist das einzige Land der Welt, wo kommerzielles Privatfernsehen eine staatliche Förderung bekommt.

STANDARD: In der Schweiz etwa werden Privatsender gefördert.

Blimlinger: Aber regionale Sender. Ist Puls 4 regional? ATV?

Beim Zugang zum ORF-Archiv "ist rechtlich eigentlich alles längst geregelt"

STANDARD: Im Herbst soll ein neues ORF-Gesetz kommen.

Blimlinger: Das ist ein bisschen viel gesagt: eine Novelle. Grundsätzlich Neues wird es wohl erst nach der Generaldirektorenwahl 2021 geben.

STANDARD: Die Novelle im Herbst ist laut Kanzleramt vor allem ein sogenanntes Digitalpaket, also mehr Möglichkeiten für Bewegtbild online, keine Sieben-Tage-Beschränkung, fürs Web produzieren, um auch die Streamingplattform ORF-Player zu erleichtern. Aber auch das Thema Zugang zum ORF-Archiv für Privatsender scheint den Medienbeauftragten des Kanzlers sehr zu beschäftigen.

Blimlinger: Das ist rechtlich eigentlich alles längst geregelt: Das ORF-Archiv fällt unter das Bundesarchivgesetz. Dafür gibt es eine Benutzerordnung – die aber eigentlich rechtswidrig ist.

STANDARD: Inwiefern?

Blimlinger: Die Benutzerordnung behauptet, das ORF-Archiv wäre ein "reines Arbeitsarchiv", zu dem nur ein definierter Personenkreis Zugang hat. Es gibt kein Arbeitsarchiv, es ist einfach ein Archiv. Das Bundesarchivgesetz schreibt aber öffentlichen Zugang vor. Jeder Mensch kann da rein – und eine Benutzerordnung regelt die Bedingungen, zum Beispiel Gebühren auch für die Veröffentlichung. Der ORF könnte all das schon längst machen. Wolfgang Fellner könnte zum Beispiel hineingehen, sagen, er möchte diese oder jene Sendung auf Oe24.TV zeigen, und der ORF könnte ihm dafür eine bestimmte Gebühr verrechnen, wenn die Rechte geklärt sind.

STANDARD: Aber wollen die Privatsender tatsächlich Archivmaterial? Privatsender wollen doch offenbar alles Rohmaterial, das der ORF dreht, etwa für eigene Infosendungen verwenden können. Was halten Sie davon?

Blimlinger: Nichts. Das ist ja, vor allem im Sport, auch eine Rechtefrage.

STANDARD: Im Hintergrund geht es bei der Novelle offenbar auch um eine Aufteilung von Online-Werbeeinnahmen zwischen ORF und privaten Medienunternehmen.

Blimlinger: Die Optimalvariante aus der Sicht der Privatsender wäre: Es gibt keine Werbung mehr im ORF. Da kommen Vorschläge wie: Im Fernsehen nur noch Werbung zwischen neun und 15 Uhr. Es ist ein Irrglaube, dass Werbegelder, die im ORF nicht mehr gebucht werden können, zu den Privaten wandern, sie wandern zu Youtube und Co. Reden Sie mal mit den Marketingschefs von großen Unternehmen, die buchen ohnehin schon kaum mehr in ORF 1.

STANDARD: Die Privatsender wollen zudem, dass der ORF keine oder nur sehr beschränkte Rabatte auf Werbebuchungen gewähren kann.

Blimlinger: Das halte ich nicht für sinnvoll.

STANDARD: Im Regierungsprogramm steht ein "gemeinsamer ORF-Player zwischen ORF und Privaten", nun wird es ein ORF-Player. Was haben Private davon?

Blimlinger: Ihre Inhalte sollen auch auf diesem Player verfügbar sein. Mir ist auch sehr wichtig, dass nichtkommerzielle Sender auf dem ORF-Player präsent sind. Oder auch ein Uniflix.

"Die Universitäten brauchen so etwas wie ein Uniflix"

STANDARD: Was ist das denn?

Blimlinger: Die Universitäten brauchen so etwas wie ein Uniflix. Vorlesungen muss sich niemand im Audimax anhören. Sie sollten über Streaming öffentlich zugänglich sein. Da geht es um die qualitätsvolle Vermittlung valider Information. University goes public.

STANDARD: Was sagen die Unis dazu – und wie wollen Sie das organisieren?

Blimlinger: Einige Rektoren, mit denen ich schon gesprochen habe, finden das gut. Die Unis könnten zum Beispiel gemeinsam eine GmbH gründen und das anbieten. Das könnte das Bild der Universitäten in der Öffentlichkeit stark und grundsätzlich verändern.

STANDARD: Und die kommerziellen Privaten können dann auch Sendungen im ORF-Player platzieren? "Fellner Live" im ORF-Player?

Blimlinger: Ja. Wenn man das möchte. Und wenn sie sich auf eine Werbeeinnahmen-Aufteilung einigen.

ORF-Gesetz und nächster ORF-Chef "müssen Anstalt ins nächste Jahrhundert führen"

STANDARD: Sie haben eine weitere ORF-Novelle oder ein neues ORF-Gesetz nach der Bestellung der ORF-Führung 2021 erwähnt. Was erwartet uns da?

Blimlinger: Da sollte schon noch etwas nachkommen. Lassen Sie sich überraschen, aber der ORF muss strukturell in die nächsten Jahrzehnte geführt werden

STANDARD: Und wer wird nächster ORF-General? Noch einmal Alexander Wrabetz? Roland Weissmann, der ORF-Vizefinanzdirektor und neue Player-Chef? Rainer Nowak von der "Presse"? Richard Grasl vom "Kurier"? Gerold Riedmann von den "Vorarlberger Nachrichten"? ORF-1-Chefin Lisa Totzauer? Oder womöglich Reinhard Scolik, derzeit TV-Direktor beim Bayerischen Rundfunk? Pius Strobl, der frühere grüne Stiftungsrat? Vielleicht gar Gerhard Zeiler (Warner Media)? Oder Hans Mahr, früher RTL und "Krone"? All diese Namen kursieren, wie ernst auch immer. Haben Sie einen Wunschkandidaten?

Blimlinger: Das entscheidet der ORF-Stiftungsrat – die nötige Mehrheit dort ist der ÖVP zuzurechnen, wie Sie wissen, und selbstverständlich werden Sie von mir keinen Namen für einen Wunschkandidaten oder Wunschkandidatin hören. Aber was ich mir wünsche, ist, dass auch hier eine Person gewählt wird, die diese öffentlich-rechtliche Anstalt ins nächste ... fast möchte ich sagen: Jahrhundert bringt – ich weiß, da ist noch bisserl Zeit.

STANDARD: Und wie geht es mit der "Wiener Zeitung" weiter – wenn die Pflichtinserate von Unternehmen tatsächlich gestrichen werden wie im Regierungsprogramm vereinbart? Eine Onlinezeitung?

Blimlinger: Uns ist es sehr wichtig, dass diese älteste Zeitung Europas, ich glaube sogar der Welt, jedenfalls erhalten bleibt – Print und Digital. Die Streichung der Pflichtinserate ist so in der Koalition nicht vereinbart. Aber selbstverständlich müssen wir überlegen, was ein zukunftsträchtiges Geschäftsmodell sein kann, das den Erhalt der "Wiener Zeitung" absichert. (Harald Fidler, 17.7.2020)