Brüssel – Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hat Kompromissbereitschaft im Streit um den EU-Aufbauplan angedeutet, aber zugleich hohe Hürden für eine Einigung auf einen Plan gegen die Corona-Krise aufgebaut. Als Bedingung für Wiederaufbauhilfen an EU-Staaten forderte Rutte am Freitag vor dem EU-Gipfel eine "absolute Garantie", dass die Empfänger Reformen nicht nur versprochen, sondern bereits umgesetzt haben. Zugleich schätzte Rutte die Wahrscheinlichkeit einer Einigung auf einen Wiederaufbaufonds beim EU-Gipfel auf "weniger als 50 Prozent".

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Niederlands Premier Mark Rutte (rechts) mit seinem italienischen Kollegen Giuseppe Conte. Italien besteht beim Corona-Aufbauplan der EU auf Zuschüssen und möglichst wenig Konditionalität. Ruttes Position könnte kaum gegensätzlicher sein.
Foto: Stephanie Lecocq, Pool Photo via AP

Die Niederlande hegen vor allem Bedenken gegenüber dem Plan, 750 Milliarden Euro für den "Next Generation EU" genannten Aufbaufonds als Schulden im Namen der EU aufzunehmen und dann zum Großteil als Zuschuss an Krisenstaaten zu vergeben. (DER STANDARD erklärt den EU-Plan hier). "Wir glauben nicht an dieses zuschussbasierte System", sagte Rutte in Brüssel. "Wenn Kredite bis zu einem gewissen Grad in Zuschüsse umgewandelt werden müssen, dann sind Reformen umso wichtiger und die absolute Garantie, dass sie wirklich stattgefunden haben." Er müsse die Hilfen der niederländischen Öffentlichkeit schließlich auch erklären können.

Kanzler Kurz sieht Verbesserung der Vorschläge

Damit erscheint eine Einigung im Rahmen des EU-Gipfels zumindest als möglich. Es heißt, dass vor allem die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron extremen Druck machen, dass "diese Sache" spätestens Ende Juli bei den Regierungschefs vom Tisch ist. Macron wollte sich mit Rutte vor dem Gipfel am Freitag noch treffen.

Der belgische Ratspräsident Charles Michel glaubt an eine Einigung.

Der Niederländer gilt jedenfalls als härteste Nuss, die es auf dem Weg zum milliardenschweren Aufbauprogramm zu knacken gibt. Er ist aber nicht der einzige Opponent beim Thema Zuschüsse. Neben den Niederlanden gehört neben Dänemark und Schweden auch Österreich zu der "die Sparsamen Vier" genannten Gruppe von Nettozahlerländern. Auch Wien will vermehrt auf Kredite setzen – oder zumindest eine gute Balance zwischen Zuschüssen und Krediten finden.

In einigen Bereichen seien die Vorschläge seit dem letzten Gipfel besser geworden, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Freitag. Er hofft auf einen Kompromiss: "Wenn nicht bei diesem Gipfel, dann bei einem nächsten", so Kurz. "Wir können uns schon nächste Woche wieder treffen." Auch in zwei Wochen könnte ein neuerliches Treffen stattfinden. "Die relevante Frage" sei aber, in welche Bereiche das Geld fließe. Es müsse in Zukunftsinvestitionen und Reformen gehen.

Mehrere Streitpunkte

Beim Gipfel geht es neben dem Corona-Aufbauplan auch um den nächsten siebenjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union im Volumen von mehr als 1.000 Milliarden – beziehungsweise mehr als 1.000.000.000.000 Euro. Nötig für einen Beschluss ist die Einstimmigkeit aller 27 Länder.

Auch die deutsche Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hält eine Einigung für möglich.

Als Knackpunkt bei den Verhandlungen gilt aber nicht nur das Verhältnis von Zuschüssen und Krediten im EU-Aufbauprogramm. Auch Rabatte für Nettobeitragszahler dürften bei den Verhandlungen zum EU-Budget 2021 bis 2028 eine entscheidende Rolle spielen – genauso wie das Vorhaben der tschechischen EU-Kommissarin Vera Jourova, EU-Gelder an Kriterien der Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen.

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sagte am Freitag vor dem Gipfel nicht nur, dass er Rabatte für reiche EU-Länder ablehne, sondern eben auch Kriterien der Rechtsstaatlickeit. Ungarns Premier Viktor Orbán hatte letzthin dieselbe ablehnende Haltung zum Ausdruck gebracht. (APA, Reuters, red, 17.7.2020)