Verkabelt, getrackt, sediert – ist das gesund?

Illustration: Fatih Aydogdu

Die Selbstoptimierungswelle ist über die Bettkante geschwappt. Fitness-Tracker und smarte Waagen vermessen uns, Apps erinnern uns daran, Wasser zu trinken, Gemüse zu essen, zu meditieren, ein Buch zu lesen oder positiv zu denken – das sind alles längst keine Neuheiten mehr.

Jetzt soll auch eines der grundlegendsten Bedürfnisse des Menschen optimiert werden: der Schlaf. Apps und spezielle Geräte protokollieren unsere Schlafphasen, smarte Wecker sollen selbst Morgenmuffel sanft in den Tag holen, und sedierende Säfte sollen uns ohne Probleme durchschlafen lassen. Die britische Hotelkette Travelodge hat den Futuristen Ian Pearson einen Bericht zur "Future of Sleep" ausarbeiten lassen, auch die IT-Riesen haben den Trend erkannt: Apple hat sich mit Beddit etwa ein Sleep-Tech-Unternehmen ins Portfolio geholt.

Die schlaflose Mehrheit

Das Problem, das die Branche lösen will, ist definitiv vorhanden: Zwei Drittel aller Erwachsenen in Industrieländern bekommen weniger als die optimalen acht Stunden Schlaf, die Schlafforscher empfehlen. Nur die Hälfte der Österreicher schläft richtig gut, in den letzten Jahren haben Schlafprobleme weltweit zugenommen. Aber nur wenige Betroffene suchen medizinische Hilfe.

Smart schlafen – auf diesen Trend setzen auch IT-Konzerne.
Foto: EPA/ETIENNE LAURENT

Gadget-Entwickler behaupten, bei der Selbstdiagnose und -behandlung helfen zu können. Sensormatten unter der Matratze zeichnen Bewegungen, Herzfrequenz und Schnarchen auf und berechnen daraus die Schlafphasen. Aber was wäre Selbstoptimierung schon ohne Gamification? Viele Apps dampfen diese Daten auf "Sleep Score" ein und geben Ziele vor, die es zu erreichen gilt und die auf Social Media geteilt werden können.

"Die Ergebnisse von Schlaf-Trackern sind meist relativ weit davon entfernt, was sich wirklich im Gehirn abspielt", sagt Birgit Högl, Neurologin an der Med-Uni Innsbruck und Präsidentin der Welt-Schlaf-Gesellschaft. Momentan gelte nur die Videopolysomnographie im Schlaflabor als GoldStandard. Dabei werden mittels aufwendiger Gerätschaften Hirnstromkurven, Augen- und Muskelbewegungen aufgezeichnet – was im allnächtlichen Heimgebrauch wohl wenig praktikabel wäre.

Besser lang als smart

Schlaf-Tracker arbeiten hingegen mit Algorithmen, die höchstens Näherungswerte auswerfen. Für gesunde, junge Menschen seien diese noch einigermaßen zuverlässig. Wer hingegen an Schlafproblemen leidet, sollte sich nicht auf die Daten verlassen – obwohl gerade Letztere die Zielgruppe für derartige Gadgets sind. Gerade Apps, die Schlafphasen nur mit dem Smartphone-Mikrofon zu erkennen versuchen, seien besonders unzuverlässig, so Högl.

Sleep-Tracker sollen unsere Nächte optimieren. Laut Forschern arbeiten sie aber nur ungenau.
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Die Schlaf-Apps und -Tracker bieten oft auch die Funktion, einen in der Leichtschlafphase in einem bestimmten, vorher definierten Zeitraum zu wecken. Dort, so das Versprechen, soll das Aufstehen besonders leicht fallen. Das ist laut Högl aber wissenschaftlich nicht belegt. Eher sei es so, dass diese Wecker den Schlaf unnötig abkürzen. Sie rät: "Besser so lange wie möglich schlafen!"

In den letzten Jahren hat es auch der Nachtmodus, welcher den Blauanteil des Bildschirms verringert, als Standardfunktion in Handy-Betriebssysteme geschafft. Er soll dafür sorgen, dass das letzte Newsfeed-Scrollen des Tages nicht zum Schlafkiller wird. "Licht ist ein enorm wichtiger Faktor beim Schlafen", weiß Brigitte Holzinger, die an der Med-Uni Wien zu Schlaf forscht und dort auch einen dreisemestrigen Lehrgang zum Schlafcoach anbietet. Schon das Deckenlicht oder die Nachttischlampe beim nächtlichen Toilettengang kann etwa den Hormon- und Neurotransmitterhaushalt für den Rest der Nacht stören und ein Weiterschlafen erschweren.

Nachtmodus: Nicht das Gelbe vom Ei

Ein Allheilmittel ist der Nachtmodus aber nicht, wie auch Forscher der University of Manchester vergangenes Jahr herausgefunden haben. Denn neben der Lichtfarbe spielt auch die Helligkeit eine Rolle, Texte seien mit dem höheren Rotanteil zudem schwieriger – und damit anstrengender – zu lesen. Besser sei es, das Handy ein bis zwei Stunden vor dem Schlafengehen auf Flugmodus zu stellen und gar nicht mehr zu verwenden.

Neben Gadgets und Apps gibt es immer öfter Schlafoptimierung aus der Dose. Mit dem "Good Night Drink" und "Snooze" mischen gleich zwei österreichische Hersteller am Markt für liquide Einschlafhilfen mit. Beide Getränke arbeiten mit natürlichen Kräutern und Aromen, denen teilweise schon lange zugesprochen wird, den Schlaf zu fördern, etwa Hopfen, Baldrian oder Passionsblume.

Gute Nacht aus der Dose

"Ich wollte das Gegenteil von Red Bull erfinden" sagt Johann Sbüll, der den "Good Night Drink" 2016 auf den Markt brachte und laut eigenen Angaben seitdem schon über eine Million Dosen verkauft hat. Seine Inspiration waren Klöster, wo aus Nebenprodukten der Bierherstellung schon seit Jahrhunderten schlaffördernde Getränke gemischt wurden. Wissenschaftliche Studien, die die Wirksamkeit seines Gebräus beweisen, kann er keine vorweisen, aber das gute Kundenfeedback sei für ihn "die beste Studie".

Von den Drinks sollte man sich höchstens eine schwache Wirkung erhoffen, sagt Schlafforscherin Holzinger. Und wie beim ebenfalls frei verkäuflichen Schlafhormon Melatonin sei das richtige Maß angebracht. Macht man Letzteres etwa zur täglichen Routine, könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Körper beginnt, selbst weniger davon zu produzieren.

Effektiver für einen guten Schlaf bleiben die allbekannten Low-Tech-Lösungen: Ein dunkler, kühler Schlafplatz, viel Bewegung und eine leichte Mahlzeit am Abend. Wer die eigenen Träume oder das subjektive Schlafempfinden erfassen will, kann das auch ohne Tracker mit Programmen wie "Sleep.io" oder "Dream Sense Memory". Bei ernsthaften Problemen hilft ein Experte besser als eine App. In einem sind sich die beiden Schlafforscherinnen einig: Der Boom an Gadgets, die uns besser schlafen lassen sollen, schafft Bewusstsein für das sonst stiefmütterlich behandelte Thema Schlaf.

Schlafen 2050

Am Akt des Schlafens selbst wird sich auch in Zukunft wenig ändern. Eine Pille, die den Schlaf komplett ersetzt und uns zu Effizienzmaschinen im Dauerbetrieb macht, wird es wohl auch 2050 nicht geben. "Das wäre altmodisch gedacht", sagt Holzinger. "Je weiter wir als Gesellschaft fortschreiten, desto wertvoller wird der Schlaf werden." Schlaf werde zunehmend wieder als Erlebnis wahrgenommen – dafür spreche auch der Trend zum Klarträumen.

Was sich hingegen ändern kann, sind kulturelle Bedingungen. Weil die Mehrheit der Menschen acht Stunden pro Tag an einem Platz arbeitet, der nicht ihr Zuhause ist, hat sich der monophasische Schlaf in der Nacht durchgesetzt, sagt Högl. Sollten wir in Zukunft mehr von zu Hause aus arbeiten, könnte der Mittagsschlaf wieder an Bedeutung gewinnen – auch im Kontext von weltweit steigenden Außentemperaturen.

Am Schlaf selbst gibt es hingegen wenig zu optimieren. "Für die Gesundheit gibt es einfach nichts Effizienteres als genügend Schlaf", so die Forscherin. Und im Gegensatz zu den Gadgets ist er auch gratis. (Philip Pramer, 19.7.2020)