Die Ratten sind los: Kaum hinterließ Banksy in der Londoner U-Bahn seine Botschaft, wurde sie von einem Putztrupp entfernt.

Foto: banksy.co.uk

Der Hype rund um Banksy nimmt dieser Tage kein Ende. Ein Medienbericht jagt den nächsten, und wer sich hinter dem Pseudonym verbirgt, wissen wir noch immer nicht. Egal. Denn an seinem Status als berühmtester Street-Art-Künstler britischer Herkunft ändert das nichts. Die Identität des mutmaßlich 1974 in Bristol Geborenen ist für seine Kunst nicht von Relevanz, allenfalls für Behörden, die ihn für seinen "Vandalismus" gerne bestrafen würden.

Am Mittwoch machte Banksy seinen jüngsten Akt über Instagram publik: Mithilfe vorgefertigter Schablonen hatte er auf den Wänden und Fenstern eines Londoner U-Bahn-Waggons seine charakteristischen Protagonisten gesprayt: Ratten, die einen Mund-Nasen-Schutz als Fallschirm nutzen oder ohne dieses Corona-Accessoire beim Niesen eine Armada an Viren verteilen.

"Wenn du keine Maske trägst, kapierst du es nicht", kommentierte Banksy das Video, das seine Aktion dokumentierte und zeitgleich verewigte. Denn die Graffitis wurden vom Putztrupp der Londoner Verkehrsbetriebe längst wieder entfernt.

Chronist des Weltgeschehens

Inhaltlich bezog er sich auf die im Juni in England eingeführte Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln. Die visuelle Botschaft ist jedoch an alle in seiner Reichweite adressiert: an seine 9,9 Millionen weltweit verteilten Follower und an seine Community aus dem analogen Kosmos.

Seine "Tatorte" verteilen sich geografisch auf mehrere Kontinente. Garagentore oder Mauern sind seine Leinwand, die Welt ist seine Bühne, in der er als Chronist politische und soziale Entwicklungen kommentiert.

Die Dokumente dazu füllen seinen Instagram-Account: Mal prangert er den Overtourism in Venedig an oder kritisiert die Flüchtlingspolitik der Franzosen in Paris. Black Lives Matter? "Zuerst dachte ich, ich sollte einfach die Klappe halten und den Schwarzen in dieser Sache zuhören. Aber warum sollte ich das tun? Es ist nicht ihr Problem, es ist meins", merkte er zur Szene einer Mahnwache an, in der die Flammen einer Kerze an der amerikanischen Flagge züngeln.

Im April hat er erstmals einen "privaten" Einblick gewährt und ließ die Rattentruppe während des Lockdowns in seinem Badezimmer randalieren: Zahnpasta an den Wänden und Klopapier im Raum verteilen oder an der Klomuschel vorbeipinkeln. "Meine Frau hasst es, wenn ich von zu Hause aus arbeite", merkte er ironisch an. Ein humoristischer Trost, der 2,68 Millionen Likes generierte.

Mitten im Mainstream

Die Street-Art-Bewegung ist längst im Mainstream angekommen, und das bestätigt sich in seinem Fall auf mehreren Ebenen. Etwa auch auf dem Kunstmarkt, dem Vehikel der Kommerzialisierung schlechthin.

Banksy, für den die Zerstörung seiner Kunst durch Übertünchen oder Entfernen zum Alltag gehört, lieferte 2018 ein entsprechendes Statement. Keine Minute nachdem sein Girl with Balloon für rund 1,2 Millionen Euro bei Sotheby’s versteigert wurde, begann es sich selbst zu schreddern.

Das Publikum, die Mitarbeiter des Auktionshauses und die Käuferin waren geschockt. Bevor Banksy das Bild 2006 verkaufte, hatte er einen Mechanismus in den Rahmen eingebaut, der sich auf mysteriöse Weise im Auktionssaal aktivierte. Übrig blieb ein Fragment, das von ihm autorisiert und umbenannt wurde: Als Love is in the Bin hängt es nun als Dauerleihgabe in der Staatsgalerie Stuttgart.

Anfang Oktober 2019 wechselte Banksys-Gemälde Devolved Parliament, das Schimpansen statt menschlicher Abgeordneter im britischen Parlament zeigt, für fast elf Millionen Euro den Besitzer. Banksy kritisierte dies damals indirekt über ein Zitat des bekannten Kunstkritikers Robert Hughes, wonach Kunst zum "speziellen Eigentum" jener geworden sei, die es sich leisten könnten.

Dass man autorisierte Werke des Künstlers bereits um wenige Hundert Euro kaufen kann, sei erwähnt. Ebenso, dass Banksy über gedeckelte Folgerechtstantiemen von hohen Verkaufspreisen profitiert: 12.500 Euro flossen aus dem Erlös des Schimpansenparlaments an ihn.

In einer rechtlichen Grauzone hat sich im Laufe der Jahre ein strittiger Nebenschauplatz entwickelt. Dort, wo Werke dem öffentlichen Raum entzogen werden und im Handel oder in Privatbesitz landen. Zu den aktuellsten Beispielen gehört ein Graffiti, das Banksy im Sommer 2018 auf dem Notausgang der Pariser Konzerthalle Bataclan hinterließ, durch die viele Zuschauer während des Terroranschlags 2015 entkommen waren.

Die junge Frau mit gesenktem Kopf und Trauerschleier war ein Tribut an jene 90 Opfer, die es nicht geschafft hatten. Sie war ein Symbol der Erinnerung, das allen gehören sollte, den Ortsansässigen, den Parisern und Angehörigen von Terroropfern auf der ganzen Welt.

Im Jänner vergangenen Jahres wurde die Tür eines Nachts einfach aus den Angeln gefräst und mit einem Lkw abtransportiert. Ermittlungen verliefen vorerst ergebnislos, bis die italienische Polizei im Juni in einem Bauernhaus in der Region Abruzzen fündig wurde. Acht Personen wurden verhaftet, teils Anklage erhoben. Am Dienstag übergaben italienische Behörden anlässlich des französischen Nationalfeiertags dem Botschafter in Rom die Banksy-Tür.

Wiener Fake-Gastspiel

Ein gänzlich anderes Kapitel sind Ausstellungen, die unautorisiert und ohne Absprache mit Banksy veranstaltet werden. Sie haben keinen musealen Anspruch, allenfalls einen dokumentarischen. Die Organisatoren liefern Banksy aus der Retorte und schlagen aus seiner Bekanntheit Kapital.

Der Künstler bezeichnet sie als "Fake" und listet die Stationen samt Eintrittspreis auf seiner Website. Bislang gab es 27 solcher "Events", in denen Fotos seiner Graffitis und unautorisierte Reproduktionen gezeigt wurden, garniert mit "originalen" Drucken.

Darunter waren elf The Art of Banksy titulierte Schauen der türkischen Veranstaltungsagentur Istanbul Entertainment Group, die sie laut eigenen Angaben konzipierte und kuratierte. Seit 2016 tingelt dieses Jahrmarktformat durch diverse Länder. Nun steht Wien auf dem Programm, ab 23. Juli (bis 4. Oktober) findet das Gastspiel in den Sofiensälen statt. Als Co-Produzent fungiert ein rumänisches Unternehmen.

Angekündigt sind "mehr als 100 Werke des Künstlers". Welche, will man im Vorfeld partout nicht preisgeben. Erwartet werden "einige Zehntausend" Besucher, seit 2016, dem Beginn der Tour, verzeichnete man insgesamt 770.000. Bei Ticketpreisen von bis zu 30 Dollar (Melbourne) ist das wohl ein einträgliches Geschäft. In Wien sind im Vorverkauf 15 Euro und ab Ausstellungsbeginn 19 Euro veranschlagt.

Ein Teil des Gewinns soll als Spende an eine soziale Einrichtung zur Unterstützung syrischer Flüchtlinge fließen. Das wird Banksy wohl milde stimmen. Die fehlende Autorisierung erklärt der Veranstalter übrigens mit der Anonymität des Künstlers. Eine freie Interpretation des Ausstellungsrechts. Warum der Brite tatsächlich nicht dagegen vorgeht?

Die Antwort findet sich, erraten, auf seinem Instagram-Account, der jene Authentizität liefert, die in den Sofiensälen nicht aufkommen wird. Demnach sei er ja wohl nicht die geeignete Person, sich über Leute zu beschweren, die Bilder ohne Erlaubnis zeigen. Für Graffitis holen sich Street-Art-Künstler bekanntlich vorab auch keine Genehmigung. (Olga Kronsteiner, 18.7.2020)