Urlaubsreisen mit der Bahn werden mit dem Sommerfahrplanwechsel 2021 deutlich billiger – sofern die Fahrgäste die neue 1-2-3-Jahreskarte für alle Öffis kaufen.

Foto: APA / Herbert Pfarrhofer

Wien – Das Herzensprojekt von Verkehrs- und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) kommt in die Gänge. Zumindest auf dem Papier nimmt das 1-2-3-Ticket konkrete Formen an. Der erste Schritt zum österreichweiten Jahresticket um 1.095 Euro, mit dem alle öffentlichen Verkehrsmittel in allen Bundesländern benutzbar sind, ist die Herauslösung des ÖBB-Ticketsystems aus der ÖBB-Personenverkehr AG in eine dem Ministerium nachgelagerte Gesellschaft. Deren Name wurde beim Kick-off-Meeting im Juni kommuniziert, berichten Teilnehmer der Sitzung.

Das Vehikel mit dem klingenden Namen "One Mobility" wird mit dem Vertrieb des neuen Fahrkartensystems beauftragt und Millionen von Kundendaten verwalten, Verträge mit Kunden und Vertriebspartner übernehmen bzw. neue schließen und den künftigen Einheitsticketshop betreuen. Die im Hintergrund laufenden, durchaus sensiblen Aufgaben wie IT-Dienstleistung und Zahlungssysteme sollen von den operativen Einheiten "One Mobility Operations Unit" und "One Mobility Payment GmbH" bewerkstelligt werden, wobei Kundenservice und Kartenmanagement vom ÖBB-Personenverkehr zu erbringen sein werden.

ÖBB verliert Hoheit

Dass die ÖBB die Hoheit über ihren "Ticketshop 2.0" (Kosten: 131 Millionen Euro) an One Mobility abgibt und am One-Vehikel nicht die Mehrheit hat, "ist ein großer Schritt für uns", räumt ÖBB-Chef Andreas Matthä im Gespräch mit dem STANDARD ein. Aber es sei ein sensationeller Anreiz zum Umstieg, um 1095 Euro alle Öffis in Stadt und Land nützen zu können, wirbt der ÖBB-Chef für das Ö-Ticket, auf das irgendwann Bundesländerfahrkarten zu je 365 Euro folgen sollen.

Wer die 1-2-3-Jahreskarte für alle Öffis in Österreich kauft, erspart sich den Weg zu Fahrkartenautomaten.
Foto: Imago images / Skata

Starten soll das neue Öffiticket, wie berichtet, nicht mit 365-Euro-Netzkarten pro Bundesland, sondern "im ersten Halbjahr 2021" mit der dritten, österreichweiten Stufe, wie es im Ministerium heißt. Da sind freilich nur die "Pioniere" an Bord: die Verkehrsverbünde von Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg, ist den Papieren aus der Versammlung im Juni zu entnehmen. Erst 2023 wird mit dem "Beitritt weiterer interessierter Partner" gerechnet.

Noch einige Hürden

Bis es so weit ist, sind allerdings noch einige Hürden zu nehmen. Allein beim One-Ticketshop dürfte das letzte Wort noch nicht gesprochen sein. Denn die bis dato mit diesen Aufgaben beauftragten Verkehrsverbünde werden sich nicht ersatzlos auf Verkehrsplanung und Verkaufsschalter reduzieren lassen. Bei ihnen geht die Angst vor dem größten, vom Bund kontrollierten und finanzierten Verkehrsträger um, der auch in der Planung das Heft an sich reißen könnte: die ÖBB. Die Verbünde fürchten, von der Staatsbahn überrollt zu werden, das wird in Einzelgesprächen rasch klar.

Eine Buchungsmaschine für alle

Für Irritation sorgt insbesondere, dass die sieben Verkehrsverbünde an One Mobility Anteile erwerben sollen, um das Vertriebssystem nutzen zu können. Zwar sind Länder wie Tirol längst an die "ÖBB-Buchungsmaschine" angedockt, Regionen und vor allem Stadtwerke fürchten allerdings, neben der Tarifhoheit auch noch den direkten Draht zum Kunden zu verlieren, auf lokale Teilbereiche reduziert zu werden. Man habe selbst Millionen in Vertriebs- und Bezahlsysteme investiert, die wären abzuschreiben, bringt es ein Tarifmanager aus dem Westen, der nicht genannt werden will, auf den Punkt. "Entscheidend ist, wie viele ÖBB-Mitarbeiter in die One Mobility transferiert werden. Die im Rechnungshofbericht genannten 169 ÖBBler im Ticketshopsystem werden es wohl nicht alle sein können."

Die 500 Millionen Euro, die Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) für ÖBB-Nachzüge locker macht, vermögen den Mangel an Nahverkehrszügen nicht auszugleichen.
Foto: APA / Herbert Neubauer

Im Verkehrsministerium sucht man, Bedenken zu zerstreuen. Es würden alle Partner gleichberechtigt behandelt. Die Mindereinnahmen der One-Partnerverbünde würden natürlich ausgeglichen. Die Finanzierung sei mit 245 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket gesichert und weitere 300 Millionen für den Bahnausbau.

Mindereinnahmen beträchtlich

Ob das reichen wird, bleibt abzuwarten. Allein die Einnahmenverluste bei dem mit Abstand größten Verkehrsverbund Ostregion (VOR) für Wien, Niederösterreich und das Burgenland werden auf rund hundert Millionen Euro pro Jahr taxiert. Davon entfällt ein Teil auf den Tarifpartner ÖBB, der Rest auf hunderte Buslinien. Das flächenmäßig größte Bundesland hat die größte Abwanderung hin zum neuen Dreierticket des 1-2-3-Tickets zu erwarten, denn bereits die tägliche Fahrt von Wiener Neustadt nach Wien wird mit der neuen Netzkarte um gut 400 Euro billiger als die vergleichbare aktuelle VOR-Jahreskarte (bei Einmalzahlung). Wer täglich an die 50 Kilometer hin- und zurückpendelt, ist gut beraten, seinen Tarif zu prüfen, denn ein Wechsel lohnt. Auch eine mögliche Diskriminierung der Burgenländer, wie sie Landeshauptmann Hans Peter Doskozil befürchtet, ist noch nicht aus dem Weg geräumt. Er sieht seine Landsleute benachteiligt, weil sie für den Weg nach Wien immer das Dreierticket brauchen, um Niederösterreich zu durchqueren.

Geld allein reicht nicht

Nicht mit Bundesgeld für die Länder umsetzen lassen sich weitere, für den Erfolg des 1-2-3-Tickets essenzielle Komponenten: die Anschaffung von Triebfahrzeugen für die versprochene Ausweitung des Verkehrsangebots samt Taktverdichtung sowie notwendige Infrastrukturausbauten. Da die Bombardier-Züge für Vorarlberg bereits mehr als ein Jahr Verspätung haben, können aus dem riesigen Rahmenvertrag kaum weitere Züge der Problemserie abgerufen werden.

Züge, Signale und Bahnsteige

Eine Neuausschreibung und -vergabe dauert gut ein Jahr – dabei ist noch nicht einmal die Vergabe neuer Doppelstockzüge abgeschlossen. Die Folge: Die zur Ausmusterung bestimmten mehr als 30 Jahre alten S-Bahnzüge Typ 4020 werden revitalisiert. Um den erhofften Fahrgastzuwachs stemmen zu können, braucht es darüber hinaus längere Züge, längere Bahnsteige. Auf der S-Bahn-Stammstrecke in Wien sind die Stationen Handelskai und Traisengasse in Schuss zu bringen – und, nicht zu vergessen, die Signalanlagen auf das elektronische ETCS aufzurüsten. Diesbezüglich ist der Corona-bedingte Fahrgastschwund übrigens ein Vorteil, sonst wären die Züge überfüllt und die Fahrgäste enttäuscht, sagen mit der Materie vertraute Eisenbahner.

(Luise Ungerboeck, 18.7.2020)