Im Gastkommentar fordert der ehemalige Oberstaatsanwalt Georg Krakow öffentliche Sitzungen. Würde man diese per Livestream übertragen, so würden manche Unsitten sofort aufhören, ist Krakow überzeugt.

Ein "Jammertal": So beschrieb der umstrittene Sektionschef im Justizministerium, Christian Pilnacek, den Ibiza-U-Ausschuss nach seiner Befragung.
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Die "Schönheit und Eleganz" der österreichischen Bundesverfassung wurde bereits vom Bundespräsidenten beschworen: In der Ibiza-Krise habe sie alle Mittel geboten, eine Staatskrise zu vermeiden. Rund ein Jahr später hilft ein anderes Instrument der Bundesverfassung bei der Aufarbeitung des Skandals.

Dass die Opposition auch ohne Regierungsmehrheit Untersuchungsausschüsse einsetzen kann, ist ein fundamentaler Fortschritt. Aber dieses Minderheitenrecht macht einmal mehr deutlich, dass es sich bei einem Untersuchungsausschuss um ein politisches Instrument handelt. Dabei hat der Gesetzgeber dem Ausschuss eine überaus gerichtliche Anmutung verpasst: Es gibt Ladungen mit Zwangsandrohung, Wahrheitspflicht mit Strafandrohung, Aufträge an jedwede Bundesbehörde zu Erhebungen, einen "Verfahrensrichter" und einen "Verfahrensanwalt". Die Rolle der Geschworenen nehmen die Abgeordneten ein.

Überforderte Abgeordnete

Vielleicht ist es diese Zwitterstellung zwischen politischem Tribunal und gerichtlichem Verfahren, die zu der massiven Überforderung beiträgt, die viele Mitglieder des Ibiza-Untersuchungsausschusses derzeit zur Schau stellen. Da wirft die Verfahrensrichterin ihr Amt hin, weil "unsachliche und persönliche Angriffe stattgefunden haben" und "einem Mörder bei einer Gerichtsverhandlung mehr Respekt widerfährt als einer Auskunftsperson im U-Ausschuss". Da beschwert sich ein sturmerprobter Sektionschef nach seiner Befragung in deftigen Worten über die erlebten Umgangsformen.

Nun mag Ilse Huber nicht alles geglückt sein in ihrer neuen Rolle als Verfahrensrichterin. Nun mag mancher Christian Pilnaceks Auftreten als arrogant empfunden haben. Nun mögen sich Abgeordnete über die provozierenden Erinnerungslücken vieler Zeugen geärgert haben. Aber die Respektlosigkeit, die viele Abgeordnete an den Tag legen, hat das Potenzial, nicht nur den laufenden Untersuchungsausschuss nachhaltig zu beschädigen. "Oasch"-Sager, demonstrativ verspeiste Wurstsemmeln, substanzlose Fragen, um Zeit zu schinden – ein derartiges Verhalten beschädigt den Parlamentarismus als Ganzes.

Wie gut täte auch hier die Orientierung an der Justiz: Die ritualisierte Förmlichkeit, die manchen aus der Zeit gefallen zu sein scheint, trägt wesentlich zum Ansehen des Gerichts bei. Die meisten Richter erwerben durch ihr Auftreten Respekt für sich und für die "res publica", die sie repräsentieren. Ausgestattet mit der Macht des Ausschusses tragen Abgeordnete dieselbe Verantwortung für das Ansehen des Rechtsstaates.

Wer untersucht, muss offen sein

Ein Christian Pilnacek lässt sich durch unhöfliche Abgeordnete nicht aus der Fassung bringen. Aber wer schon einmal als Zeuge vor Gericht aussagen musste, kennt die Anspannung, wenn man durch seine Aussage über das Schicksal eines anderen Menschen entscheidet. In dieser Situation ist der Griff zur Wurstsemmel vollkommen unangebracht.

Der mangelnde Respekt vieler Abgeordneter zeigt sich aber auch am demonstrativen Desinteresse an der Wahrheitsfindung: Noch bevor ein Zeuge das Parlamentsgebäude betreten hat, wird er bereits vor den anwesenden Journalisten herabgewürdigt. Anstatt in tausenden Aktenseiten nach der "Smoking Gun" zu suchen, werden lieber politische Blendgranaten geworfen.

Mit kühlem Kopf und sachlichen Fragen könnte ein Untersuchungsausschuss beachtliche politische Arbeit leisten. Aber wer untersucht, muss offen sein: Steht das Ergebnis schon von vornherein fest, wird die Untersuchung zur Farce. Mit Suggestiv- und Fangfragen lässt sich nur politisches Kleingeld, aber keine Erkenntnis gewinnen. Wer wirklich an sachlicher Aufklärung interessiert ist, muss zuerst einmal alles sichten und allen zuhören. Wer wirklich nach Erkenntnis sucht, darf sein Urteil erst sprechen, wenn er alle Beweise bewertet hat. Denn die Befragung dient nicht der Bestrafung und auch nicht der Bloßstellung der Auskunftsperson – das wird gerne vergessen.

Es braucht einen Neuanfang

Dass es Verbesserungsbedarf gibt, hat auch das Parlament erkannt. Die neuen Funktionen des Verfahrensanwalts und des Verfahrensrichters haben bereits kleine Fortschritte bewirkt. Aber die letzten Ausschusstage haben klar gezeigt, dass Österreich noch lange nicht dort ist, wo andere Länder bereits sind.

Um aus rufschädigenden Ritualen und damit einhergehenden Erinnerungslücken auszubrechen, braucht es einen radikalen Neuanfang: Sitzungen des U-Ausschusses müssen künftig öffentlich sein und als Livestream übertragen werden. Die Untersuchung findet schließlich im Namen des Volkes statt – warum sollte man den Souverän ausschließen? Die öffentliche Übertragung der Sitzungen führt dazu, dass sich die Bürger ohne Mediator ein Bild machen können – von den Auskunftspersonen und ihrer Glaubwürdigkeit, von der Arbeit des Ausschusses und seiner Mitglieder.

Ich bin davon überzeugt, dass ein Livestream die Qualität der Ausschussarbeit wesentlich heben würde: Viele Respektlosigkeiten würden in der Sekunde aufhören, ebenso das Stellen von Alibifragen. Und die Aussagen der Zeugen würden substanzvoller. Das kommende Transparenzpaket wäre der richtige Anlass, das umzusetzen. (Georg Krakow, 18.7.2020)