Im Gastkommentar warnt Ronald S. Lauder, der Präsident des World Jewish Congress, vor grassierendem Antisemitismus auf der Plattform Tiktok. In einem weiteren Gastkommentar begrüßt die Rechtsextremismusexpertin Natascha Strobl das Deplatforming der Identitären.

Über die vor allem bei Jugendlichen beliebte Plattform Tiktok werden immer mehr Videos mit antisemitischer Hetze oder Leugnung des Holocausts verbreitet. Dieser Trend wird durch aktuelle Studien belegt und muss so schnell wie möglich gestoppt werden.

Tiktok ist vor allem bei Jugendlichen beliebt.
Foto: Imago / Rob Engelaar

Uns liegt ein Querschnitt unerträglicher Postings vor: Da erklingt etwa in einem Video ein Lied mit dem Refrain "Wir machen einen Ausflug nach Auschwitz, es ist Zeit zu duschen!". Zu diesen Tönen sieht man einen skorpionartigen Roboter, der mit einem Hakenkreuz Menschen tötet. Laut einer Untersuchung der BBC erreichte dieses Video bereits mehr als sechs Millionen Zugriffe weltweit.

In einem anderen Video trinkt ein junger Mann eine milchartige Flüssigkeit. Als er sich über den seltsamen Geschmack beschwert, klärt ihn ein Freund auf, dass er gerade aus einer Büchse die Asche von Anne Frank in sein Getränk geleert habe. Der Tiktok-Nutzer mit dem Profilnamen "bigmacdaddywac" erzielte damit 1,3 Millionen Likes. Ein anderer Tiktok-Nutzer lässt einen sonnengebräunten jungen Mann zu fröhlicher Musik aus der Dusche steigen. Eine Person, die als "Auschwitz guard" bezeichnet wird, sieht ihn überrascht an. Damit soll suggeriert werden, dass es den KZ-Häftlingen gut ergangen sei. Eine klare Verharmlosung der Shoah und ihrer Opfer.

Unhaltbarer Zustand

Damit werden Nutzer der in China beheimateten Social-Media-Plattform straflos mit antisemitischen Stereotypen vertraut gemacht. Ich bin erschüttert, dass diese Videos in der EU bisher frei und ohne Gegenmaßnahmen verbreitet werden dürfen. Dazu kommt, dass Tiktok vor allem bei Jugendlichen sehr beliebt ist, etwa 40 Prozent der weltweit 1,5 Milliarden Nutzer sind zwischen 16 und 24 Jahre alt.

Am Institut für Terrorismusbekämpfung (ICT) an der Universität Haifa wurden von Februar bis Mai 2020 viele Tiktok-Videos untersucht. Dabei wurden 200 Postings entdeckt, die eindeutig rechtsextreme Inhalte aufwiesen, vor allem durch die Leugnung oder Verhöhnung der Shoah.

Wir wollen diese weltweite Zunahme solcher Inhalte nicht länger hinnehmen und fordern Politikerinnen und Politiker in den EU-Institutionen und in den Mitgliedsstaaten auf, umgehend rechtliche Schritte gegen diese Hetze im Internet zu unternehmen. Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass eindeutig antisemitische Inhalte auf einer Social-Media-Plattform frei zugänglich sind, vor allem auch für minderjährige Nutzer. Denn Kinder werden nicht als Antisemiten geboren, sie werden zu Antisemiten erzogen.

Rechtsfreier Raum

Für den World Jewish Congress ist es unerträglich, dass es in den meisten EU-Staaten zwar klare Verbote rechtsextremer Inhalte samt empfindlichen Strafen gibt, dann aber über einen Internetbetreiber in China die schlimmsten Hasstiraden gleichsam im rechtsfreien Raum verbreitet werden können. Wir fordern, dass diese gesetzliche Lücke umgehend geschlossen wird, und zwar mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, sowohl rechtlicher als auch politisch-diplomatischer Art. (Ronald S. Lauder, 19.7.2020)