Der Wirecard-Krimi erhält ein neues Kapitel.

Foto: Photo by Christof STACHE / AFP

Aschheim/Hamburg – Der Vizechef des pleitegegangenen Zahlungsdienstleisters Wirecard, Jan Marsalek, soll nach Weißrussland geflüchtet sein. Nach gemeinsamen Recherchen des Hamburger Magazins "Der Spiegel", der Investigativplattformen "Bellingcat" und The Insider sowie des US-amerikanischen McClatchy Report führe Marsaleks Spur nach Weißrussland (Belarus), schreibt "Spiegel Online" am Samstag.

Ankunft in Minsk am 19. Juni

Im russischen Ein- und Ausreiseregister, das mangels Kontrollen an der Binnengrenze zwischen beiden Staaten auch Weißrussland umfasst, sei für Marsalek eine Eintragung nur Stunden nach seiner Freistellung bei Wirecard zu finden. Demnach reiste der 40-Jährige in der Nacht vom 18. Juni auf den 19. Juni über den Flughafen der Hauptstadt Minsk nach Weißrussland ein, genau zwei Sekunden nach Mitternacht. Der Wiener benutzte dafür einen der Reisepässe, den er bereits zuvor bei Reisen an andere Ziele verwendet hatte.

Die Daten des Dokuments seien dem "Spiegel" und seinen Kooperationspartnern bekannt, so das Hamburger Magazin. Eine Wiederausreise sei in den Datenbanken bisher nicht verzeichnet, was darauf hindeute, dass sich Marsalek noch immer in Weißrussland oder in Russland befinde.

Zuvor falsche Fährte

Zunächst war spekuliert worden, Marsalek halte sich auf den Philippinen auf. Er sei dort auf der Suche nach insgesamt 1,9 Milliarden Euro, die in den Büchern der Wirecard AG fehlten, wurde bei Bekanntwerden des Skandals zunächst kolportiert. Laut der Datenbank der philippinischen Einwanderungsbehörde war Marsalek am 23. Juni in das Land eingereist und hatte es am 24. Juni Richtung China wieder verlassen. Wenig später verkündete der philippinische Justizminister Menardo Guevarra jedoch, dass Einwanderungsbeamte die Daten frisiert hätten, um eine falsche Spur zu legen.

Spuren zum Geheimdienst

Die neuen Erkenntnisse würden die These nähren, Marsalek habe mit russischen Geheimdiensten kooperiert oder für sie gearbeitet, so der "Spiegel". Marsalek soll immer wieder mit derartigen Verbindungen geprahlt haben, um bei britischen Börsenhändlern Eindruck zu schinden. Er soll Dokumente im Zusammenhang mit russischen Geheimdienstaktivitäten in Großbritannien präsentiert haben. Das berichtete die Financial Times (FT), die laut eigenen Angaben die Dokumente geprüft hat – darin soll sich die Formel für das Nervengift Nowitschok befunden haben.

Bilanzskandal

Wirecard hatte eingestanden, dass in der Jahresbilanz 1,9 Milliarden Euro fehlen und das Geld bei zwei philippinischen Banken vermutlich gar nicht existiert. Der Börsenkurs des Dax-Konzerns stürzte ab, das Unternehmen meldete Insolvenz an. In dem Fall ermittelt laut AFP die Staatsanwaltschaft München I. Marsalek hat über seinen Anwalt erklären lassen, sich nicht der Justiz stellen zu wollen.

Ex-Wirecard-Chef Markus Braun hat sich dagegen inzwischen der deutschen Justiz gestellt. Der Österreicher will nach eigenen Angaben kooperieren. (APA, Reuters, red, 18.7.2020)