Kleine Truppe, dennoch großer Eindruck: Miriam Kutrowatz als Zerlina in der Grazer Helmut-List-Halle.


Foto: Nikola Milatovic

Ein richtiger Impresario muss improvisieren können. Da "die truppe klein ist, so mus der Impreßario immer in Sorgen leben, und seine leute so viel möglich schonen, damit er nicht, durch eine unvermuthete unpässlichkeit in die unter allen krittischen allerkrittischste laage versetzt wird, gar kein Spektakl geben zu können", schrieb Mozart im Oktober 1787 aus Prag an seinen Freund von Jacquin in Wien.

Mozarts Überlegungen zu den Tücken des künstlerischen Unternehmertums bezogen sich auf die – mehrfach verschobene – Uraufführung seines Don Giovanni. Auch in Graz hatte der Oberimpresario der Styriarte, Mathis Huber, seine liebe Not mit dem Stück über den umtriebigen "Sendboten der Lust", welche "die Bürger sich schnell genug verbieten" (Theodor W. Adorno). Erst musste er die Oper wegen der veranstaltungstechnischen Corona-Restriktionen radikal kürzen und in einem "szenischen Arrangement" (von Adrian Schvarzstein) zeigen.

Gehaltleerer Rahmen

Ein paar Tage vor der Premiere hatte der Dirigent dann plötzlich Rücken, und dann wurde auch noch Don Ottavio krank. Huber improvisierte, fand in Michael Hofstetter einen Fünf-Sterne-deluxe-Ersatz für Andrés Orozco-Estrada und in Daniel Johannsen einen für Angelo Pollak. Und so konnte der Don Giovanni in Nöten doch noch über die Bühne der Grazer Helmut-List-Halle gehen.

Als ein "Spektakl" der gehaltleeren Art entpuppte sich lediglich die Rahmenhandlung, die Karl Böhmer für das gekürzte "dramma giocoso" ersonnen hatte. Zwar stopfte Harry Lampl als hektischer Leporello die Handlungslöcher mit erklärenden Wortschwallen, doch leider schwankten manche der Witzigkeiten, die der Styriarte-Dramaturg ersonnen hatte, vom Niveau her zwischen Maturaball und Musikantenstadl.

Ganz anders die Musik. Von prachtvollem Glanz, tragfähig und elegant wie eine marmorne Säule, aber auch energisch und dringlich wie ein Rufzeichen war der Sopran von Tetiana Miyus (als Donna Elvira) gleich in ihrer ersten Arie Ah! Chi mi dice mai. Daniel Johannsen bot als Don Ottavio sowohl fesselnde Piano-Kultur wie auch quengelige Schärfe, etwa bei Dalla sua pace. Schlank und jung der Sopran von Miriam Kutrowatz (als Zerlina). Damien Gastls Gentleman-Giovanni hatte von butterweichem Timbre (im Duett mit Zerlina Là ci darem la mano) bis zu druckvoller Klangmacht variable Verführungskünste zu bieten. Auf eine Donna Anna, einen Masetto, einen singenden Leporello und einen Chor musste an der Mur verzichtet werden.

Schlichtweg Weltklasse

Schlichtweg Weltklasse war es, was Michael Hofstetter und das historisch informiert musizierende Styriarte-Festspiel-Orchester zur Begleitung der vier Sänger boten: filigrane Hintergrundmalereien wie etwa die mannigfaltigen seelischen Schattierungen bei Donna Elviras Accompagnato-Rezitativ In quali eccessi. Mal erinnerten die Klänge des Orchesters an eine blühende Frühlingswiese, über die sanfte Winde strichen (bei Zerlinas Arie Batti, batti, o bel Masetto), mal an luftig-leichte Salzburger Nockerln (bei Zerlinas Grazioso Vedrai carino).

Der gebürtige Münchner Hofstetter, aktuell Intendant der Gluck-Festspiele Nürnberg, darf wohl als Genie bezeichnet werden. Man ertappte sich bei dem Gedanken, Mozart für lange Zeit nur noch von ihm hören zu wollen. Jubel in der Grazer Bahnhofsbanlieue. (Stefan Ender, 20.7.2020)