Eine Frau wurde verurteilt, weil sie trotz Infektion Geld am Schalter überwies. Darüber, ob sie dabei eine Maske trug, herrscht Uneinigkeit.

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Es war österreichweit der erste Fall dieser Art, der am Dienstag am Landesgericht Klagenfurt verhandelt wurde. Eine 49-Jährige war trotz Covid-Infektion und Quarantäne im Supermarkt, um an einem Postschalter Geld zu überweisen. Dafür wurde sie zu 100 Tagessätzen und sechs Monaten bedingter Haft verurteilt – ein Urteil, das abschrecken soll, wie der Richter betonte.

Die Frau bekannte sich schuldig. Sie habe Geld an ihre kranke Enkelin in Bosnien überweisen wollen, sagte sie. Nachdem nicht funktioniert habe, dass eine Kollegin das für sie erledige, sei sie selbst außer Haus gegangen. Darüber, ob sie eine Maske trug oder nicht, herrscht Uneinigkeit: Die Angeklagte sagte Ja, die Bankangestellte Nein. Mit dem Urteil – es ist nicht rechtskräftig – war die Angeklagte einverstanden, der Staatsanwalt gab keine Erklärung ab.

Anzeigen mehr als verdoppelt

Die sogenannte Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten ist im Strafgesetzbuch (StGB) durch die Paragrafen 178 und 179 geregelt und mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe zu ahnden – bei Fahrlässigkeit drohen bis zu ein Jahr Freiheitsstrafe oder 720 Tagessätze. Anzeigen wegen der beiden Paragrafen gab es heuer zuhauf: Im ersten Halbjahr 2020 gingen bei Österreichs Staatsanwaltschaften 167 Fälle zu Paragraf 178 StGB (Vorsatz) ein, 84 Fälle schlugen zu Paragraf 179 StGB (Fahrlässigkeit) auf. Im Vorjahr gingen insgesamt nur 69 derartige Anzeigen bei den Staatsanwaltschaften ein.

Die Verhandlung ist österreichweit die erste dieser Art im Zusammenhang mit dem Coronavirus. Und wohl nicht die letzte, in Kärnten ist etwa noch ein weiterer Fall anhängig, wie die "Kleine Zeitung" berichtet. Darüber, wann und in welchen Fällen die entsprechenden Paragrafen im Zusammenhang mit Corona anwendbar sind, zerbrechen sich seit Wochen Juristinnen und Juristen den Kopf.

Ob tatsächlich jemand angesteckt wurde, ist irrelevant

So schreibt etwa Juristin Lisa Cohen in einem Aufsatz im "Journal für Strafrecht", es erfülle schon den Tatbestand, wenn eine Person den "nahen und ungeschützten Kontakt zu anderen Menschen sucht", egal ob sie wegen einer Erkrankung oder auch nur wegen eines Verdachts isoliert wurde. Dabei spiele auch nur eine untergeordnete Rolle, ob die Absonderung behördlich angeordnet wurde.

Unerheblich ist auch, ob tatsächlich eine Ansteckungsgefahr bestanden hatte – was zählt, ist, wie gefährlich das Verhalten war. "Erhärtet sich der Corona-Verdacht letztlich nicht", könne der Täter aber "trotz seines gefährlichen Verhalten" nicht wegen der besagten Paragrafen bestraft werden. Übrigens: Auch wer gesund ist und wissentlich eine Person in häuslicher Isolation besucht, kann sich strafbar machen – immerhin nimmt man damit in Kauf, selbst infiziert und damit ansteckend zu werden.

Doch auch Arbeitgeber können zur Verantwortung gezogen werden. Teresa Bogensberger, selbstständige Rechtsanwältin, und Philip Marsch, Rechtsanwalt bei Soyer Kier Stuefer Rechtsanwälte, schrieben schon Ende April in einem Gastbeitrag in der "Presse" über die Thematik. Darin betonen sie, dass auch ein Arbeitgeber dazu verpflichtet ist, seine Arbeitnehmer vor Covid-19 zu schützen. Macht er das nicht, könne auch er sich nach §§ 178 f StGB strafbar machen – und zwar unabhängig davon, ob sich tatsächlich jemand am Arbeitsplatz infizierte. "Bei konkreten (Neu-)Infektionen kommen sogar Delikte gegen Leib und Leben infrage", schreiben die beiden.

Wegweisendes Urteil im Lockdown

Bis zur Corona-Pandemie kamen die Paragrafen 178 und 179 StGB vor allem im Zusammenhang mit sogenannten Masernpartys oder dem HI-Virus zum Einsatz. In Bezug auf HIV wurde Mitte März, also zur Hochphase der Pandemie, ein möglicherweise wegweisendes Urteil gefällt. Das Oberlandesgericht (OLG) Graz kippte ein Urteil des Landesgerichts Klagenfurt, das einen HIV-positiven Mann wegen ungeschützten Geschlechtsverkehrs verurteilt hatte. Sein mehrmaliger Sexualpartner hatte ihn angezeigt.

Der Verdächtige argumentierte, dass seine Virenlast durch Therapiemaßnahmen so gesenkt wurde, dass eine Übertragung beim Sexualverkehr extrem unwahrscheinlich war. Die erste Instanz sah dennoch einen "Gefährdungsvorsatz", das OLG Graz stellte jedoch klar, dass ein solcher nicht vorliege, wenn der Täter "davon ausgeht, dass er nicht ansteckend sei", wie der Anwalt und Strafrechtsprofessor Richard Soyer im "Journal für Strafrecht" erklärt.

Allerdings kann der Sachverhalt rasch verkompliziert werden: Was ist, wenn der Angeklagte beispielsweise ein-, zweimal vergessen hat, die Medikamente zu nehmen? Soyer empfiehlt, die Safer-Sex-Empfehlungen des Gesundheitsministeriums zu aktualisieren, um hier für Rechtsklarheit zu sorgen. Eine erfolgreiche antiretrovirale Therapie samt regelmäßigen Kontrollen solle künftig strafrechtliche Konsequenzen ausschließen. (Gabriele Scherndl, Fabian Schmid, 22.7.2020)