23. Juli 2008: Bernhard Kohl führt das Feld der Tour de France Richtung Bergankunft in L'Alpe d'Huez. Das Trikot des besten Kletterers sitzt.

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Wo Bernhard Kohl draufsteht, steht auch Bernhard Kohl drin. Wer das Geschäft des Ex-Radrennfahrers in der Wiener Triester Straße betritt, hat gute Chancen, den 38-jährigen Niederösterreicher hinter der Budel anzutreffen: "Ich bin jeden Tag im Verkauf, das überrascht viele Kunden." Auf einer Fläche von rund 3.000 Quadratmetern werden alle Sparten des Radsports abgedeckt. Vom Kinder- bis zum Rennrad, vom Gepäckträger bis zum Nahrungsergänzungsmittel. Kohl beschäftigt rund 40 Mitarbeiter, das Geschäft floriert, E-Bikes sind ein Renner: "Ich bin dankbar, dass ich diese zweite Chance bekommen habe."

Die erste Chance war der Profisport. Und das endete für Kohl unrühmlich. "Das Kontrollsystem im Radsport ist auf einem sehr hohen Niveau. Wenn einer betrügt, wird er auch erwischt", hatte der Prophet im September 2008 im Chat des STANDARD geschrieben. Er sollte recht behalten. Einen Monat später berichtete die französische Sporttageszeitung "L'Équipe", dass Kohl bei einem Nachtest das Epo-Mittel Cera nachgewiesen wurde. Im Juli hatte der Österreicher die Tour de France auf dem dritten Rang beendet und obendrein das Bergtrikot nach Paris geführt: "Wenn die Seifenblase zerplatzt, ist es ein Schock."

Der Unternehmer Bernhard Kohl: "Im Leben kommt alles, wie es kommen soll. Es ist gut, so wie es passiert ist."
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Kohl hatte sich zeit seiner Karriere nicht nur von Eiweißpräparaten ernährt. Er wollte oben mitspielen. Und er wusste, wie man das möglich machen konnte. Inspiration holte er sich unter anderem in einem Buch des belgischen Physiotherapeuten Willy Voet: "Das war eine Anleitung zum Doping, das hat wohl jeder Radprofi gelesen." Wirklich jeder? War es tatsächlich unmöglich, als sauberer Sportler in die Weltspitze vorzudringen? "Ich habe gesehen, wie bereits im nationalen Bereich nachgeholfen wurde. Man wusste, was gespielt wird. Es gibt Leistungen, die kann ein Mensch so nicht zusammenbringen."

Reiner Tisch

Kohl war in Sachen Doping wahrlich kein Einzelfall. Die Fahrer wurden der Reihe nach aus dem Feld gefischt. Lance Armstrong, dem sieben Siege bei der Tour de France abhanden kamen, wurde kriminelle Energie nachgesagt. Zu Recht? Kohl gibt nicht den Scharfrichter: "Ein Sportler will Erfolg haben. Dass man nicht nachweisbare Anschuldigungen zurückweist, ist nachvollziehbar." Der US-Amerikaner sei nicht nur ein schlechter Kerl gewesen: "Er hat mit seiner Geschichte vielen Leuten Kraft im Kampf gegen den Krebs gegeben."

Als Kohl schlussendlich überführt wird, macht er sofort reinen Tisch. Er verzichtet auf die Öffnung der B-Probe, er spricht weder über verunreinigte Zahnpasta noch über das Weihwasser der Putzkraft. "Mir war sofort klar, dass ich im Profisport nichts mehr verloren hatte. Ich wollte das Kapitel abschließen, also musste ich nichts abstreiten." Hatte der damals 26-jährige Kletterer kein schlechtes Gewissen? "Doch, natürlich. Ganz Österreich hat mitgefiebert. Ich habe die Öffentlichkeit getäuscht, ich habe die Fans enttäuscht. Glauben Sie mir, das ist kein angenehmes Gefühl. Aber ich war selbst schuld, keiner hat mich gezwungen."

Der Triumphzug, der samt Bergtrikot zum Treffen mit Landeshauptmann Erwin Pröll führte, ist Geschichte.
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Die Öffentlichkeit hat den Schock überwunden. Verdaut sind die Bilder, als sich Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll ein gepunktetes Trikot überzog. Man kennt Bernhard Kohl und seine Geschichte, die Kunden lassen sich trotzdem von ihm beraten: "Ich kann mich wieder blicken lassen, das zeigt auch der Erfolg unseres Betriebs." Im Grunde sei das abrupte Karriereaus ein Segen gewesen: "Was man dem Körper als professioneller Radsportler antut, ist schon ohne Doping nicht vernünftig. Wäre ich nicht erwischt worden, hätte ich weitergemacht. Und das wäre nicht gesund gewesen."

Gekratzte Kurve

Kohl hat die Kurve gekratzt. Er lebt mit seiner Ehefrau, zwei Kindern und Hund an der Grenze zu Wien: "Wir sind mitten im Grünen, und trotzdem ist alles da. Wenn nicht gerade Schnee liegt, fahre ich meist mit dem Rad oder mit dem E-Bike ins Geschäft." Zur Triester Straße sind es zwei Kilometer. Ein Mont Ventoux liegt nicht am Weg. "Mit dem Geschäft und meiner Familie ist alles gut ausgegangen. Im Leben kommt alles, wie es kommen soll. Es ist gut, so wie es passiert ist."

Den Radsport verfolgt der Ex-Profi nach wie vor, "aber aus einer anderen Perspektive. Ich bin zum Fan geworden." Wird im Hause Kohl also der Fernseher laufen, wenn am 29. August in Nizza die Tour de France gestartet wird? "Ich sitze nicht jeden Tag fünf Stunden davor, dazu fehlt mir die Zeit. Die Zusammenfassung am Abend werde ich mir aber ansehen." Haben sich die Voraussetzungen geändert? Glaubt Kohl mittlerweile an ein sauberes Peloton? "Das Ganze sieht gesäuberter aus. Aber was weiß man schon? Ich habe zu viel gesehen." (Philip Bauer, 20.7.2020)