Kanzler Kurz beim Modifizieren der österreichischen Europapolitik im kleinen Kreis.

AFP/Francois Walschaerts

Beim EU-Gipfel zu Budgetrahmen und Corona-Wiederaufbau passierte in der Nacht von Samstag auf Sonntag etwas, was es in 25 Jahren EU-Mitgliedschaft von Österreich, Schweden und Finnland so wohl noch nie gegeben hat. Eine Gruppe kleiner Nettozahlerländer lehnte sich gegen die mächtige deutsch-französische Achse auf. Diese gibt seit Jahrzehnten den Ton an, wenn essenzielle Entscheidungen in Zukunftsfragen anstehen. Es kam zur direkten Konfrontation. Aber nicht "die Zwerge", wie sie im Jargon von Paris und Berlin gern genannt werden, gaben nach. Die deutsche Kanzlerin und der französische Staatspräsident verließen den Tisch, etwas entnervt, wie Teilnehmer berichteten.

Was war passiert? Bis dahin hatte man 38 Stunden zäher Verhandlungen aller 27 Mitglieder hinter sich. Die Hoffnungen von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dass man sich relativ rasch auf das seit Monaten vorbereitete Finanzpaket einigen könnte, wurden nicht erfüllt.

Angela Merkel und Emmanuel Macron wollten also mit den Regierungschefs der "Sparsamen Vier" in kleiner Runde klar Schiff machen. Dazu zählt neben den Regierungschefs aus den drei genannten Ländern auch der Niederländer Mark Rutte. Als Fünfte schloss sich die Finnin Sanna Marin an, die ebenso eine "Redimensionierung" des hunderte Milliarden Euro schweren Corona-Hilfsfonds forderte.

Vor allem Rutte als "bad guy" und der Schwede Stefan Löfven beharrten darauf, dass die Zuschüsse an die Südländer deutlich verringert werden und die Vergabe streng kontrolliert wird. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz ließ in öffentlichen Auftritten keinen Zweifel daran, wie froh er darüber, die Linie der "Sparsamen Vier plus eins", sei.

Neue Gruppe

Tags darauf war dieser Eklat weit nach Mitternacht das Gesprächsthema des Gipfels. Das Treffen wurde zunächst trotzdem nicht abgebrochen, obwohl auch Ungarns Premier Viktor Orbán querschoss. Er akzeptierte Rechtsstaatlichkeit als Bedingung für das Empfangen von EU-Subventionen nicht.

Wenn nicht sofort, dann werde es eben in ein paar Tagen oder Wochen am Ende zu einem Kompromiss kommen, waren Diplomaten sicher. Aber ein politisches Ergebnis stand da schon fest, was immer von dem ursprünglichen Plan eines Wiederaufbaufonds erhalten bleibt: Die Abläufe, die bisherige Machtverteilung, die Entscheidungsfindung auf EU-Ebene haben sich verändert. Die "alte" EU-Ordnung ist tot. Bisher waren Großbritannien und Deutschland jene EU-Staaten, die bei Budgetverhandlungen den Ton angaben – für Sparsamkeit, Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit.

Durch Merkels Corona-Pakt mit Macron ist Deutschland davon etwas zurückgetreten. Ihre "alte" Rolle nimmt nun diese neue (lose) Gruppe moderner wohlhabender Kleinstaaten ein, angeführt von einer bunten Truppe relativ junger Premiers, die die Welt vor allem pragmatisch sehen und auf eigene Vorteile bedacht sind: drei Sozialdemokraten, ein Liberaler, ein Christdemokrat. Was Österreich betrifft, setzt sich durch Kurz nun definitiv eine Linienänderung durch: Seit 1995 haben sich Bundesregierungen im Zweifel an Berlin orientiert, war Europapolitik eher konsensorientiert, vor allem im Inland, von ÖVP und SPÖ breit getragen.

Das ist vorbei. Der türkise Kanzler kann mit der 34-jährigen linken Finnin Sanna Marin manchmal besser als mit der 66-jährigen konservativen Merkel. (Thomas Mayer, 19.7.2020)