Die Oma macht es, der hippe Enkel tut es und auch Mama und Papa. Alle wählen sie den jungen adretten Kanzler mit guten Manieren, höflichem Auftreten und einem dezenten Touch christlich-konservativer Werte. Garniert wird das Ganze mit einer gehörigen Portion Leistung und Fortschrittsdenken bis hin zu Besuchen im modernen Silicon Valley bei Vertretern der Tech-Branche. Das ist das Storyboard aus dem die Träume der ÖVP-affinen Wähler gemacht sind. Der einzige, wenn auch zu vernachlässigende Makel ist, dass für menschliche Mankos und Defizite in der hochglanzpolierten Leistungsgesellschaft wenig Platz bleibt. 

Die Schwarze Madonna der ÖVP

Als Schwarze Madonna wird in der Marienverehrung das Bild oder die Statue einer Madonna bezeichnet, deren Gesicht schwarz ist und die von großen Teilen der Gläubigen als besonders wundertätig verehrt wird. Den aktuellen Bundeskanzler kann man irgendwie - aufgrund der Kanzlerverehrung - als Art “Schwarze Madonna“ des christlich-sozialen Lagers sehen. Obwohl Kritiker dieses spirituellen politdynamisch-projektiven Prozesses eher der Formulierung des verstorbenen jesuitisch geprägten Generalsekretärs der CDU Heiner Geißler, wonach die Berühmtheit mancher Zeitgenossen eher mit der Blödheit der Bewunderer zusammenhängt, zustimmen würden.

Vom Gelde, das dem Menschen dient

Die große Frage, die sich im Zusammenhang mit der neuen Volkspartei und deren aus der Evolution resultierenden Politikertypologie mitsamt den aktuellen Proponenten wie Kurz und Co stellt, ist, welches Wert- und Weltbild sich hinter diesen verbirgt, geschweige denn, ob ein derartiges latentes Konstrukt im mentalen Hintergrund der ÖVP 4.0 überhaupt existiert. Ist das gerne nach außen demonstrierte christliche Wertefundament prägend oder geht es um einen sublimierten Wachstumsfetischismus im Deckmantel von guten alten Werten der 50er- und 60er-Jahre und den dazugehörigen Peter-Alexander-Filmen? Heute allerdings gepaart mit einem ökonomisch erworbenen, aufgesetzten Kompensationslifestyle von Yoga und Meditation. Am Ende wird dies alles aber nichts helfen. Es ist offen, ob die neue Typologie des ÖVPlers der Neuzeit für die kleinen Leistungsträger wie Klein- und Mittelbetriebe steht oder ihr Fokus und persönliches Ziel auf die oberen Zehntausend ausgerichtet ist.

Der Heilige Sebastian.
Foto: AP Photo/Ronald Zak

Herr vergib ihnen nicht, denn sie wissen, was sie tun

Die CDU-Legende Geißler führte in diesem Rahmen griffig an, dass die Kirchen Widerstand gegen die Mächtigen dieser Erde leisten müssten, denn in der Welt des Kapitalismus, der Investmentbanker und einer gigantischen Finanzindustrie mit ihren gesellschaftlichen Leitbildern Egoismus, Gier, Geiz, Erfolg, Dividende, Konsum, Rang und Titel wäre Jesus eine totale Provokation und die Verkörperung von Menschlichkeit und Barmherzigkeit. Laut Geißler müsse der Kapitalismus dem Menschen dienen, jedoch wäre es heute genau umgekehrt und das ist eine Todsünde. Der entfesselte Kapitalismus verletze die menschliche Würde. Spannend ist, dass die Erkenntnis aus den Reihen einen CDUlers stammt. Heute wird man derartige Töne eher seltener hören. 

Verehren kann man nach außen hin von Politikern, über Marienstatuen und den lieben Gott bis hin zum schnöden Mammon vieles. Oft funktioniert einiges davon auch parallel und in Wechselwirkung, wie bei manchen Vertretern in der Politik. Die spannende Frage ist immer jene nach der Bedeutung sprich was wirklich dahinter steckt. Die einen geben vor christlich-sozial zu sein und verwenden es nur als Tarnfassade für ihr Streben nach Geld und Macht. Andere wiederum laufen dem Gelde hinterher und sehnen sich jedoch in ihrem Unbewussten nach ganz anderen “Werten“. Ab einem bestimmten Punkt beginnt für viele Menschen der Glaube an mehr als eine materielle Welt, wie der Fall des geläuterten, einst mehrere hundert Millionen Euro schweren Hedgefonds-Managers Florian Homm, welcher nun laut eigenen Angaben ein gläubiger Christ ist, belegt.

Beim Phänomen Kurz wird sich weisen, ob die moderne Form der politischen Marienverehrung die Suche nach einem besseren Staat darstellt oder inwiefern der aktuelle Kanzler nur eine Projektionsoberfläche für erfolgshungrige Kapitalisten ist. Wie formulierte es Kurz' Parteikollege und Vordenker Andreas Khol so treffend: "Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit". Man wird sehen, ob die Verehrung einer neuen Bewegung zukünftig auch zu politischen Wundern führen wird. (Daniel Witzeling, 27.7.2020)