Mental Load

Ratgeber* sind meistens ein zweischneidiges Schwert. Manche wollen uns zu zeigen, wie man sich von gesellschaftlichen Normen und Anforderungen freimacht oder sie überlistet. Was sie aber in vielen Fällen tatsächlich tun: Sie erzeugen zusätzlichen Stress. Zum Beispiel Erziehungsratgeber, die uns mehr Lockerheit beibringen wollen, und dann stellt die im Grunde schon lockere Leser*in fest, dass der eigene Stil offenbar einen Tick zu laissez-faire ist.

Das geht dann sinngemäß so: Machen Sie sich keinen Stress, wenn Ihr Kind mal phasenweise jeden Tag eine Stunde fernsieht, das ist schon hin und wieder okay – es wird es überleben." Was also pädagogisch ambitionierte Eltern beruhigt, kann andere stressen, weil sie schon immer der Meinung waren, dass das okay war – zumindest bis man solche ehrgeizigen Ratgeber liest und merkt, auf welcher Höhe offenbar die Latte bei anderen liegt.

Viele kleine Aufgaben sind keine Kleinigkeit

Deshalb sind Empfehlungen für Ratgeber ganz schön heikel. Trotzdem ist das Buch "Raus aus der Mental-Load-Falle" von Patricia Cammarata interessant und wichtig. Die Autorin beschäftigt sich mit einem Begriff, der tatsächlich noch viel zu unbekannt ist. Und das, obwohl sehr viele – vorwiegend Frauen – sofort wissen, was mit ihm gemeint ist. Man braucht ihnen nur ein paar Schlagworte nennen wie "endlose To-do-Listen" oder dass der Mental Load diese vielen kleinen Dinge und Themen sind, die eine*n am Abend nicht einschlafen und am Morgen viel zu früh hochschrecken lassen, schreibt Cammarata.

Genau davon ist die Rede. Oft ist der Mental Load das Gesamtpaket all dieser Dinge, die der Partner mit "Stress dich nicht so" kommentiert, wenn man sie ihm gegenüber erwähnt. Den Termin bei der Kinderärztin einhalten, das Wechselgewand im Kindergarten austauschen, die Sonnencreme in den Rucksack geben – und auch benutzen –, die fünf Euro fürs Kindertheater beim Herrn Lehrer abgeben, die Koordination von Treffen mit anderen Kindern, Lebensmittel kaufen, putzen ... und so weiter.

Foto: Imago images/Westend61

Jedenfalls zeigt Cammarate all diese kleinen und deshalb als Kleinigkeiten abgewerteten Arbeiten auf und erklärt, warum sie so zermürbend sind: Weil es nicht nur darum geht, sie zu erledigen, sondern weil in halbwegs modern ausgerichteten Beziehungen ja bitte schön der Anspruch da ist, sich das alles aufzuteilen.Außerdem sind diese Aufgaben nicht nur irgendwie da, sie müssen auch verteilt werden, und in vielen Fällen muss der andere immer wieder daran erinnert werden oder braucht Beratung, wenn er eine Aufgabe in die Hand nimmt. Stichwort Kindergeburtstag: Ein Geschenk mitbringen? Wenn ja, welches? Wo muss das Kind hin? Wann muss es abgeholt werden – viele Frauen springen ihrem Partner mit all diesen Details helfend zur Seite, er bringt das Kind letztlich nur mehr hin.

Angeblich gleichberechtigt

Auseinandersetzungen über diese Alltagssituationen sind keine Kleinigkeiten, auch das zeigt das Buch. Vielmehr zeigen sie die Tatsache auf, dass Frauen oft im Schein einer nach außen hin angeblich so gleichberechtigten Beziehung im Stich gelassen werden. Mit der Verteilung und dem Streit um den Mental Load geht es also mitunter ans Eingemachte in einer Beziehung. Das Buch bestärkt darin, es nicht gut sein zu lassen und nicht vieles selber zu erledigen, weil es ad hoc einfacher erscheint.Im mittleren Teil kommt dann die Liebe der Autorin zum Projektmanagement durch. Da wird empfohlen, Listen zu schreiben, "Mental-Load-Maps" zu erstellen, um zu sehen, wer an Aufgaben denkt und wer sie durchführt. Das sieht tatsächlich nach viel unbezahlter Arbeit aus. Anders scheint es aber laut Cammarate zumindest am Anfang nicht zu gehen, um sich längerfristig mehr Zeit zu verschaffen. Schließlich liefert die Autorin aber auch den Lohn für all die Mühe und zählt die Vorteile einer gerechten Arbeitsteilung in der Familie auf. Es sind ziemlich viele.

Der Ratgeber-DownerAllerdings gibt es da noch diese Sache mit dem Druck, der auch bei diesem Buch ein wenig aufkommt. Die Autorin geht fast immer von einer Familie mit Vater, Mutter oder zumindest mit zwei erziehungsberechtigten Menschen im Haushalt aus, die gleich mehrere Kinder haben. Wer "nur" ein Kind und so schon zu wenig Zeit für sich hat, den wird das Buch nicht wirklich mitnehmen – vielleicht sogar frustrieren.Zum Beispiel, wenn Patricia Cammarata auf den ersten Seiten des Buches von der Zeit erzählt, in der sie ständig müde war. Auf dem Weg zu ihrem Job hatte sie oft das Gefühl, sich jetzt einfach mal kurz auf die Straße legen zu müssen, um die Augen zu schließen, nur zwei oder drei Minuten. Nun ja, Patricia Cammarata hat aber in Wahrheit ziemlich lange durchgehalten. Auf die Straße legen wollte sie sich nämlich erst beim dritten Kind. Die Latte hängt also ziemlich hoch. (Beate Hausbichler, 29.7.2020)

*Update: In einer ersten Version wurde nur der zweite Teil des Artikels angezeigt. Inzwischen wurde dieser Fehler behoben.

Patricia Cammarata, Raus aus der Mental-Load-Falle. Wie gerechte Arbeitsteilung in der Familie gelingt", 18,50 Euro / 224 Seiten, Beltz-Verlag

Foto: Beltz Verlag

Lesen und lernen

Es ist ja alles so wahnsinnig kompliziert! Geht es um Rassismus und Sexismus, zeigt man sich schnell überfordert. Es ist einer der wenigen Bereiche, bei denen man sich offenbar gern dumm stellt. Auch wird suggeriert, es würden exzessiv neue Begriffe geschaffen und alte unnötig problematisiert. "Exotisch" zum Beispiel, ein Wort, das Alice Hasters hasst. Verstehen Sie nicht? Nun, vielleicht wurden Sie auch noch nie als "exotisch" bezeichnet.

Alice Hasters zeigt in ihrem Buch "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten", wie bedenklich wenigen Menschen bewusst ist, dass und in welchem großen Ausmaß Rassismus Teil unserer Gesellschaft ist. Und wie viele weiße Menschen auch gar nichts davon wissen wollen.

Kompliziert, diese Ausrede kann man nach Lektüre von Alice Hasters' Buch ad acta legen. Hasters erzählt von vielen konkreten Situationen, die sie oft und überall erlebt. Das ungefragte In-die-Haare-Grapschen, die "lieb" gemeinten Komplimente über ihren Körper, die Fragen, wie sich ihre Haut in der Sonne verhält, die von ihr selbst entwickelte Selbstkontrolle, wenn man als Vertreterin eines ganzen Kontinents wahrgenommen wird. Nicht zu vergessen die Zweifel in einer noch frischen Beziehung mit einem weißen Mann, die Blicke und beängstigenden Vorstellungen, warum er sich gerade in eine schwarze Frau verliebt hat.

Foto: H. Henkensiefken

Und natürlich die vielen Fragen, die einem viel zu intim und zu persönlich erscheinen, wenn man sie nach wenigen Minuten nach dem Kennenlernen einem weißen Menschen stellen würde: Wie pflegen Sie Ihre Haare? Woher kommen Sie, also "ursprünglich"? Woher die Mutter? Woher der Vater? Davon erzählt Hasters eindrücklich und liefert noch eine Analyse über unseren Entwicklungsstand in Sachen Rassismus dazu. Und so viel sei verraten: Es sieht nicht gut aus. Dass man gerade in Europa geneigt ist, Rassismus in die USA abzuschieben und die noch immer völlig unterbelichtete koloniale Geschichte Europas zu ignorieren, machen es alles andere als besser.

Kompliziert ist der Umgang mit Rassismus also nur für die davon Betroffenen, aber sicher nicht das Lernen einiger Begriffe wie "Intersektionalität" oder "BIPoC", die Hasters in einem Glossar auch kurz und bündig erklärt.

Alices Hasters muss es gar nicht explizit ansprechen, trotzdem ist ihr Buch auch ein Kommentar zu den Debatten über die vermeintlich übertriebene Political Correctness, die so gern im fast durchgängig weißen Feuilleton geführt wird. Angesichts dessen, was eine schwarze Frau im Jahr 2020 erlebt, will man eigentlich nur mehr eines wissen: Habt ihr wirklich keine anderen Probleme? (Beate Hausbichler, 21.7.2020)

Alice Hasters, "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen". 17 Euro / 208 Seiten. Hanser, 2020

Foto: Hanserblau Verlag