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Ferrari ist seit dem Schließen einiger Regel-Schlupflöcher verdächtig langsam – als würde ein Einserschüler zum Fünferkandidaten, wenn bei der Schularbeit der Sitznachbar krank ist.

Foto: HOCH ZWEI/Pool/Getty Images via imago

Budapest/Maranello – Vielleicht ist Sebastian Vettel in diesen Tagen ganz froh, dass es bald vorbei ist. Am Ende der Saison "muss" er Ferrari verlassen, hieß es bislang stets – doch mit jeder desolaten Vorstellung der Scuderia wird deutlicher, dass die Wertung auch anders ausfallen kann: Vettel "darf" dieses Team verlassen, das wirkt wie ein sinkendes Schiff.

Und er wird wohl nicht der einzige prominente Abgang sein. Italiens Presse beschwor nach dem erniedrigenden Rennen in Ungarn schon das Stühlerücken herauf. "Wieder eine Demütigung für Ferrari – bald werden in Maranello Köpfe rollen", urteilte die "Gazzetta dello Sport", "nichts kann Ferrari in dieser Phase retten."

Vettel holte mit Rang sechs noch das Maximum heraus, genau wie sein Teamkollege Charles Leclerc (als 11. ohne Punkte) wurde er vom herausragenden Sieger Lewis Hamilton im Mercedes überrundet.

"Serie B", "katastrophal"

"Tuttosport" sieht Ferrari daher schon in der "Serie B der Formel 1" und geht ebenfalls von "einem Personalwechsel" aus, der "Corriere della Sera" sieht ein "katastrophales" rotes Auto und kommt zum selben Schluss: "In Maranello werden jetzt drastische Änderungen auf Management-Ebene erwartet."

In den Fokus rückt dabei immer mehr Teamchef Mattia Binotto. Mittlerweile scheint fraglich, ob er nicht sogar schon vor Vettel das Feld räumen muss.

Denn auf der einen Seite ist da ja diese sportliche Krise, Vettel machte mit einem einfachen Satz das ganze Ausmaß deutlich: "Uns war vor dem Rennen klar, dass wir überrundet werden." Denn diese deutliche Niederlage war nicht Ergebnis eines unglücklichen Rennverlaufs, sondern simple Mathematik: Mercedes ist so viel schneller als Ferrari, dass die Überrundung kaum zu vermeiden war.

Der Motorentrick

Mindestens genauso schwer wiegt aber, wie diese Krise zustande kam – und auch, wie sie moderiert wird. Ferrari war im vergangenen Sommer plötzlich beängstigend schnell – und zwar genau so lange, bis der Weltverband FIA einige Schlupflöcher im Reglement mit Klarstellungen stopfte. Seither ist der Motor nicht mehr konkurrenzfähig.

Nicht nur die Gegner gehen daher davon aus, dass Ferrari die Prüfsensoren austrickste und dem Motor dadurch zeitweise mehr Benzin zuführte als erlaubt. Offiziell bewiesen wurde das nie – doch es scheint, als habe Maranello bewusst die Regeln umgangen, und ohne diesen Vorteil steckt Ferrari nun in der Sackgasse.

Die Scuderia, vor allem Binotto, gibt sich angesichts der erdrückenden Faktenlage allerdings wenig demütig. Die Klarstellungen der FIA zum Antrieb seien ein Grund für Ferraris Probleme, sagt der Italiener, aber jedes Team sei ja in gewisser Weise davon betroffen.

Wolff: "Bullshit-Geschichte"

Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff reagierte am Wochenende in Ungarn gereizt. Binottos Einlassungen seien "eine weitere komplette Bullshit-Geschichte", sagte der Österreicher, "es gibt ja ein klares Motorenreglement. Natürlich gab es Klarstellungen, die waren auch wichtig, aber sie waren in keiner Weise überraschend. Denn wenn man sich an die Regeln gehalten hat, dann war das alles sowieso klar."

Fast zwangsläufig wissen alle Beteiligten, dass den dominanten Lewis Hamilton auf dem Weg zum siebenten WM-Triumph in der Corona-Notsaison niemand außerhalb von Mercedes aufhalten kann. Auf die Frage, wie der 35-Jährige überhaupt noch davon abzuhalten sei, antworte Vettel: "Wenn Valtteri Weltmeister wird." Gemeint war Hamiltons Teamkollege Bottas, doch auch den hat der 86-fache Grand-Prix-Gewinner und 90-fache Polesetter nach dessen Auftaktsieg schon wieder im Griff.

"Ein Auto, das Fahrer mögen"

"Das Auto und der Motor sind ein bisschen ein Biest, genau was wir brauchten. Es ist ein Auto, das Fahrer mögen", meinte Mercedes-Teamchef Toto Wolff zum schwarz lackierten Silberpfeil, von dessen Qualität der Ferrari meilenweit entfernt ist.

"Wir können die Lücke erst dann schließen, wenn wir verstanden haben, warum unser Auto so langsam ist", lautete Binottos fast schon verzweifelter Kommentar. Und dazu soll alles und jeder nach der Rückkehr in die Heimat offensichtlich auf den Prüfstand kommen. "Jeder wird seine Arbeit analysieren und den Mut haben müssen, den Kurs zu wechseln, wenn das notwendig ist, denn die aktuelle Dynamik ist nicht akzeptabel", stellte der Ferrari-Teamchef klar. (sid, red, APA, 20.7.2020)