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Einmal fröhlich gurrend, ein anderes Mal giftig-gallig: Chrissie Hynde über toxische Männlichkeit und das einsame Heulen auf einer Parkbank.

Foto: AP/Rebecca Blackwell

Zuletzt übte sich Chrissie Hynde im Altersfach der den Jazz guten Mutes im Bigband-Format streifenden Beserlschlagzeug-Ballade. Auf ihrem Soloalbum Valve Bone Voe von 2019 interpretierte sie Klassiker wie Wild Is The Wind, bekannt gemacht durch Johnny Mathis in den 1950er-Jahren, oder How Glad I Am von Nancy Wilson.

Der kristalline digitale Sound der im Original meist schön verschlurft mit nur einem einzigen Raummikro aufgenommenen Musik raubte zwar den Songs etwas Charme. Chrissie Hyndes süffisanter und manchmal etwas schneidender Gesangsvortrag irgendwo in der Mitte zwischen abgelebter Barfly und fröhlicher junger Frau blieb allerdings erhalten.

Schlanker, schneidiger Rock

Mit Ende 60 hat die seit beinahe einem halben Jahrhundert in London lebende US-Amerikanerin nun nach zuletzt zwei umfangreichen Geldbeschaffungstourneen im Vorprogramm von Phil Collins und Stevie Nicks wieder einmal ihre alte Band The Pretenders auch im Studio reaktiviert.

Das neue Album Hate For Sale knüpft dabei nahtlos an jene wilde Zeit an, in deren Nachwehen The Pretenders als klassisches Rockquartett Ende der 1970er-/Anfang der 1980er-Jahre berühmt wurden. Beeinflusst vom Punk und diversen Rückschauen auf die Sixties und den Rockabilly aus der Gründungszeit der Popkultur spielte man damals während der New-Wave-Zeit und spielt auch heute noch schlanken, sparsamen Rock, der immer auch Richtung Mainstreamradio, Melodie und Eingängigkeit schielt.

The Pretenders

Seine Zeitlosigkeit verdankt sich der Tatsache, dass Hyndes gurrende, giftige, gallige, zwischendurch noch immer glockenhell jubilierende und unverkennbare Stimme das Geschehen dominiert. Im Hintergrund arbeiten The Pretenders zielorientiert, dem Song dienend. Sie machen zweckmäßige Musik zum Autofahren mit Verbrennungsmotoren und für den Fließverkehr.

Das Album Hate For Sale mag zwar dem alten Glanz nichts Neues hinzufügen, und Großtaten wie Brass In Pocket, Back On The Chain Gang, Don’t Get Me Wrong oder Balladen wie I’ll Stand By You oder die Kinks-Coverversion von Stop Your Sobbing sucht man 2020 vergeblich. Mit dem Originaldrummer Martin Chambers und den jüngeren Kräften Nick Wilkinson am Bass und Co-Songwriter James Walbourne an der Gitarre, der geboren wurde, als The Pretenders gegründet wurden, hält man allerdings die einmal bewährte Form und Formel.

Der Grundton ist freundlich

Produziert von Stephen Street, einem der Veteranen der großen Britpopzeit der 1980er- und 1990er-Jahre (The Smiths, Morrissey, Blur, The Cranberries, Suede und eben auch The Pretenders ...) hören wir im Song You Can’t Hurt A Fool schöne autobiografische Zeilen wie: "Look at her now/ She’s centre stage/ Too old to know better/ Too young for her age." In Crying In Public heult sich die Protagonistin ihren Kummer von der Seele: "Feminists claim we are all the same/ But I don’t know a man who has felt the same shame."

The Pretenders

Chrissie Hynde erlebte übrigens 2015 einen Shitstorm wegen einer unglücklichen Interviewaussage. (Britische) Frauen, die vergewaltigt werden, seien selber Schuld. Sie müssten ja nicht leicht bekleidet und betrunken in der Öffentlichkeit herumtorkeln.

Zeitlebens verfolgt von Suchtproblemen – ihr alter Gitarrist James Honeyman-Scott und Bassist Pete Harndon starben 1982 und 1983 an Kokain und Heroin, Mitmusiker Richard Swift 2018 am Alkohol –, wird das Thema in Lightning Man und Junkie Walk entsprechend rau verhandelt: "Every junkie has to die."

Wenn man nicht genau zuhört, und das soll bei englischsprachiger Musik ja vorkommen, bleibt der Grundton der Pretenders jedoch weitgehend freundlich, wenngleich etwas ruppiger und wilder als zuletzt. (Christian Schachinger, 21. 7. 2020)