Der Wissenschafter und Autor Mouhanad Khorchide erwartet, dass Akteure des politischen Islam viel Druck auf die Grünen machen werden, um einen Spalt in die Koalition zu treiben.

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Die Dokumentationsstelle Politischer Islam von Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) ist noch nicht eingerichtet, und schon hagelt es Kritik. Auch von den Grünen. Der Islamtheologe Mouhanad Khorchide unterstützt die Regierung beim Aufbau und hofft, dass Politik und Gesellschaft bald einsehen, dass hier zu viel auf dem Spiel steht, um sich jetzt im Parteigeplänkel zu verlieren.

STANDARD: Sie mussten die Dokumentationsstelle bereits gegen Kritik verteidigen. Was macht Sie so sicher, dass sie etwas bewirken wird?

Khorchide: Weil wir endlich über den politischen Islam reden, und zwar auf einer sachlichen Ebene. Davor haben wir das ausschließlich über den Jihadismus, Salafismus und den gewalttätigen Extremismus getan, und dabei aus den Augen verloren, dass es mit dem politischen Islam ein weiteres Phänomen gibt, das im Gegensatz zu Europa viele islamische Länder bereits als große Gefahr erkannt haben. Als Wissenschafter kann man nur froh sein, dass sich durch die Dokustelle Dinge erschließen können, über die wir noch sehr wenig wissen.

STANDARD: Worüber reden wir überhaupt, wenn wir den politischen Islam meinen?

Khorchide: Das ist eine der ersten und zentralsten Fragen, die die Dokustelle präzisieren muss. Im Grunde beschreibt der Begriff eine menschenfeindliche Ideologie, die die Herrschaft im Namen des Islam anstrebt. Die Religion dient als Mittel, um Gläubige zu manipulieren. Der politische Islam richtet sich gegen uns alle und ist viel gefährlicher als der Jihadismus und Salafismus, weil er viel subtiler, nämlich in Krawatte und Anzug, auftritt. Das durchschauen viele Politiker noch nicht, mit denen ich rede.

STANDARD: Die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) mahnt eine stärkere Einbindung in der Dokumentationsstelle ein. Ihr Präsident Ümit Vural wird mit der islamistischen Millî-Görüş-Bewegung in Verbindung gebracht. Inwieweit kann die IGGÖ überhaupt einbezogen werden?

Khorchide: Ausgeschlossen soll sich niemand fühlen. Ich bin dafür, dass die IGGÖ einbezogen wird. Allerdings nicht in die wissenschaftliche Arbeit. Das lehne ich ab, denn wenn der Verdacht bestehen sollte, dass Teile der IGGÖ mit Organisationen sympathisieren, die dem politischen Islam nahestehen, muss man sich die Frage stellen, wie frei und unabhängig die Dokustelle ist, wenn die IGGÖ zu stark involviert ist. Man muss unbedingt im Dialog bleiben. Aber die Wissenschaft muss frei sein, von der Politik wie auch von der IGGÖ. Wir müssen aufpassen, dass die IGGÖ mit "involviert sein" nicht meint, Studien und Ergebnisse der Dokustelle mitbestimmen zu können. Das macht die wissenschaftliche Unabhängigkeit sonst unglaubwürdig.

STANDARD: Sie haben in Wien studiert. Mit welchen Problemen haben wir es in Österreich zu tun, und was kann die Dokustelle hierzulande leisten?

Khorchide: Das weniger deutliche Beispiel: Wir wissen, dass die Muslimbruderschaft stark vertreten ist, aber wenig über deren Strukturen. Das greifbarere Beispiel: Ich war in den 1990er-Jahren IGGÖ-Religionslehrer. Der Ex-Koordinator für den Unterricht, Hisham Al Baba, war 25 Jahre lang Islamlehrer und gehörte schon damals dem Teil des politischen Islams an, der ein Kalifat errichten will. Er war die Hauptfigur im islamischen Religionsunterricht in Österreich, keiner wusste um diese Gefahr. Die IGGÖ hat sich spät distanziert. Aus diesem naiven Eck müssen wir herauskommen. Wir dürfen nicht warten, bis die Bombe explodiert, und uns danach fragen, was man hätte tun können.

STANDARD: Die Wiener Grünen kritisieren, dass mit dieser Stelle nur eine Religion im Fokus steht. Inwieweit ist das problematisch?

Khorchide: Das stimmt absolut nicht. Nicht die Religion, sondern eine menschenfeindliche Ideologie steht im Fokus. Eine Strategie der Islamisten wird es jetzt sein, Druck auf die Grünen aufzubauen und die Koalition zu spalten. Hier geht es aber nicht um Parteipolitik, der Extremismus des politischen Islam gefährdet uns alle. (Jan Michael Marchart, 21.7.2020)