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Premierminister Benjamin Netanjahu, der persönlichen Korruption verdächtigt, ist schwer angeschlagen.

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Die internationalen Zahlen bestätigen die ungebremste Ausbreitung der Pandemie. Die Vereinigten Staaten, Brasilien und Indien melden Rekordzahlen. Verglichen mit der dramatischen Lage weltweit erscheinen die Meldungen über die täglichen Neuinfektionen etwa in Österreich oder Deutschland kontrollierbar und deshalb beruhigend trotz der ständigen Warnungen, dass der Kampf gegen das Coronavirus noch lange nicht vorbei ist.

Dass übereilte und oft politisch motivierte Lockerungen blitzschnell die Rückkehr zum Ausnahmezustand bewirken können, sehen wir in Israel und in einigen Balkanländern. Angesichts der fragilen Lage wird die Entwicklung der Infektionsrate und die Gefahr einer möglichen neuen Infektionswelle im Herbst auch von den regionalen Behörden unterschiedlich beurteilt.

Die viel zu schnelle und offensichtlich von persönlichen Interessen diktierte allgemeine Lockerung der Schutzmaßnahmen durch raffinierte Machtpolitiker löste zum Beispiel in Jerusalem und Belgrad nach dem rasanten Ansteigen der Infektionen und in Folge der widersprüchlichen Handlungen der Regierungen leidenschaftliche und massive Protestdemonstrationen aus. Premierminister Benjamin Netanjahu und Präsident Aleksandar Vučić, beide der persönlichen Korruption verdächtigt, sind schwer angeschlagen.

Schwankende und verspätete Reaktionen

Auch in Großbritannien und Frankreich haben die schwankenden und verspäteten Reaktionen der Regierungen starke Einbußen an Ansehen des Premierministers Boris Johnson und des Präsidenten Emmanuel Macron bewirkt. Die Ablöse seines populären Regierungschefs wird die niedrigen Beliebtheitswerte Macrons ohne Wirtschaftserfolge kaum steigern können. Johnson versucht die weit verbreiteten Sorgen wegen der umstrittenen Lockerungen der Corona-Maßnahmen durch seine übliche Rhetorik zu zerstreuen: "das Beste hoffen und auf das Schlimmste vorbereitet sein". Bis Weihnachten sei der Alltag wieder nah an Normalität. Am Vortag hatte allerdings der wissenschaftliche Chefberater seiner eigenen Regierung noch gegen eine Lockerung ausgesprochen.

Überhaupt sind dieser Tage Gesundheitsminister, die sich in der Corona-Krise als kompetent, vertrauenswürdig und beruhigend erweisen, nicht nur in Österreich hoch im Kurs. So rangiert der junge deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn laut dem jüngsten Politbarometer als der beliebteste CDU-Politiker nach Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Im Gegensatz zur Wahl 2018 tritt Spahn bisher nicht als Kandidat für den CDU-Vorsitz an und hatte sich im Februar für den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet als neuen Parteichef ausgesprochen. Dieser hat sich allerdings in den knapp vier Monaten des Kampfes gegen die Coronavirus-Pandemie als ein zögerlicher und nicht sehr überzeugender Kommunikator erwiesen. Kein Wunder, dass ihm nur jeder fünfte CDU-Anhänger die Kanzlerschaft zutraut. Der große politische Gewinner der Krise ist überraschend der bayerische Ministerpräsident und CSU-Parteichef Markus Söder.

Je länger das Virus wütet, desto klarer wird, dass seine politischen Auswirkungen vom Land zum Land unkalkulierbar sind. (Paul Lendvai, 20.7.2020)