Ursula von der Leyen nennt die Einigung zwar "historisch", aber zeigt sich auch enttäuscht über Einschnitte.

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Brüssel – In ersten Reaktionen feierten die Staats- und Regierungschefs die Einigung zum Finanzpaket nach einem fünftägigen Verhandlungsmarathon als historisch und zeigten sich ob des Ergebnisses zufrieden. Immerhin einigte man sich auf rund 1,8 Billionen Euro, die sich aus dem Aufbaufonds "Next Generation EU" und dem Budget der Jahre 2021 bis 2027 zusammensetzen. Der schuldenfinanzierte Aufbaufonds ist 750 Milliarden Euro schwer. Das Volumen der Zuschüsse beträgt 390 Milliarden Euro (in Preisen von 2018). 360 Milliarden Euro sind als Kredite vorgesehen.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron begrüßten die Beschlüsse
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Doch nach wenigen Stunden mehrten sich kritische Stimmen zu dem Paket. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat Einschnitte bei einigen von ihr vorgeschlagenen neuen Haushaltsinstrumenten bedauert. Kürzungen bei Themen wie Gesundheit, Migration und Außenpolitik seien "bedauerlich", so von der Leyen. Besonders hob sie hervor, dass die Staats- und Regierungschefs ein von ihr vorgeschlagenes Finanzinstrument zur Unterstützung von insolvenzbedrohten Unternehmen unter den Tisch hätten fallen lassen. Zwar werde weiterhin über die Hälfte der gesamten Budgetmittel aus dem mehrjährigen Finanzrahmen und Corona-Hilfsfonds für "moderne Politik" zur Verfügung stehen. Aber der "innovative Anteil des Haushalts" sei gesunken, sagte von der Leyen.

Frankreich: Spaltung der EU

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat eingeräumt, dass sich beim Gipfel eine gewisse Spaltung der Union gezeigt hat. "Diese lange Verhandlung war geprägt von Schwierigkeiten, manchmal von Gegensätzen, von unterschiedlichen Auffassungen von Europa", sagte Macron am Dienstagmorgen in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel.

Er sei aber erfreut darüber, dass er mit Merkel stets auf der "Seite der Ambition und Kooperation" gestanden habe. Macron spielte mit seinen Äußerungen offensichtlich auf den erbitterten Widerstand an, den Politiker wie Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte gegen die Pläne für das riesiges Corona-Hilfspaket geleistet hatten. Ihnen war es dabei vor allem darum gegangen, so wenig wie möglich an Zuschüssen zu vergeben. Die Summe dafür wurde letztlich von 500 auf 390 Milliarden Euro reduziert.

Merkel ausweichend bei Thema Rechtsstaatlichkeit

Merkel äußerte sich nur ausweichend auf die Frage, ob künftig EU-Mittel gekürzt werden können, wenn EU-Staaten gegen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verstoßen. "Sie wissen ja, dass ein Rechtsakt beraten wird, den die Kommission vorgeschlagen hat im Rat", sagte Merkel Dienstagfrüh nach Ende de EU-Gipfels in Brüssel.

"An diesem Rechtsakt muss jetzt weitergearbeitet werden", betonte Merkel. Eventuell werde man sich mit Fragen zum Thema auch noch einmal bei einem EU-Gipfel beschäftigen, so die CDU-Politikerin.

Viele EU-Staaten hatten einen Mechanismus gefordert, der härtere Sanktionen bei Verletzung von Rechtsstaatlichkeit bringt. Polen und Ungarn wiesen die Idee hingegen als Erpressung zurück. Sie waren zuletzt mehrfach Ziel von Kritik und Verfahren geworden, weil sie gegen die Rechtsstaatlichkeitsprinzipien verstoßen hatten.

System der Konditionalität

Der Europäische Rat unterstreicht in einem neuen Text dazu die Bedeutung des Schutzes der finanziellen Interessen der EU und des Respekts der Rechtsstaatlichkeit. Vor diesem Hintergrund werde nun ein System der Konditionalität zum Schutz des Budgets und des Corona-Plans eingeführt – an die Vergabe von Geld sollen also Bedingungen geknüpft werden können. In diesem Kontext soll die Kommission dann bei Verstößen Maßnahmen vorschlagen können, die dann vom Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit angenommen werden.

Ungarns Regierungschef Viktor Orbán feierte den Kompromiss als großen Erfolg. "Jeder Versuch, der darauf abzielte, zwei wichtige Fragen – die der EU-Gelder und die der Rechtsstaatlichkeit – miteinander zu verbinden, wurde erfolgreich zurückgewiesen", sagte er nach dem Gipfel. Es sei "inakzeptabel", dass diejenigen, denen die Rechtsstaatlichkeit gewissermaßen in den Schoß gefallen sei, jene "freiheitskämpferischen Völker belehren und kritisieren", die gegen die kommunistischen Regime gekämpft hätten, fügte er hinzu.

Tweet von Othmar Karas.

Enttäuschung bei Karas

Der Vizepräsident des EU-Parlaments, Othmar Karas, zeigte sich enttäuscht: "Von den Staats- und Regierungschefs habe ich mir mehr erhofft: Zukunftsinvestitionen in Forschung, Bildung und Sicherheit werden gekürzt, der Rechtsstaatlichkeitsmechanismus verwässert", schrieb er auf Twitter. "Verhandlungen mit dem EU-Parlament, auch über die parlamentarische Kontrolle, werden herausfordernd."

Auch in Österreich äußerten sich Politiker kritisch zu dem Gipfel-Ergebnis. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) hat den Deal als "in der Tendenz ein positives Ergebnis" gewürdigt. In einer Stellungnahmebeklagte er die "falschen Kürzungen" beim geplanten Klimafonds. Mehr Geld für diesen wäre ihm "lieber gewesen als das eine oder andere Prozent am Rabattbazar", so Kogler und übte damit Kritik an der Gruppe der "sparsamen Vier", der auch Österreich mit Bundeskanzler Kurz angehört.

Widerstand der Opposition

Auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hat die Einigung prinzipiell als "überfälligen Schritt" bezeichnet, aber "die Kürzungen im EU-Budget bei den Programmen für Gesundheit, Forschung und Klimaschutz, während die Bereiche Rüstung und Verwaltung mehr Mittel bekommen, sind kurzsichtig und falsch", teilte sie am Dienstag mit.

FPÖ-Chef Norbert Hofer machte sich in seiner Reaktion über die "blamierten Vier" lustig, weil nun doch mehr Zuschüsse als Kredite ausbezahlt werden. Der höhere Beitragsrabatt für Österreich sei eine "Mogelpackung" und "Marketingschmäh". "Die Preise werden erst massiv erhöht, ehe es dann einen kleinen Abschlag gibt, der groß gefeiert wird", verwies er auf den infolge des Brexit viel höheren österreichischen EU-Nettobeitrag.

Kritik von Klimaschutzaktivisten

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger übte vor allem scharfe Kritik an Kanzler Kurz, dem sie eine "Erpressungstaktik" vorwarf. Österreich sei unter Kurz "endgültig kein pro-europäischer Player mehr", beklagte sie. Die Neos kritisierten ebenso, dass "die Auszahlung der Mittel des geplanten Klimafonds auch ohne Bekenntnis zum Ziel der Klimaneutralität bis 2050 möglich sein soll". Das sei ein großer Fehler, der auf Kosten des Klimaschutzes und der kommenden Generationen gehe.

Auch die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg hält die Einigung der Staats- und Regierungschefs mit Blick auf das Klima für völlig unzureichend. De EU-Sondergipfel habe lediglich ein paar "nette Worte" sowie einige vage und unvollständige Klimaziele zustande gebracht, schrieb die 17-Jährige am Dienstag auf Twitter.

Thunbergs Kritik auf Twitter

"Solange die Klimakrise nicht als eine Krise behandelt wird, bleibt das notwendige Handeln außer Sichtweite", so Thunberg. Mit ihrer deutschen Fridays-for-Future-Mitstreiterin Luisa Neubauer hatte Thunberg die EU kurz vor dem Brüsseler Sondergipfel gemeinsam mit den beiden Belgierinnen Anuna de Wever und Adélaïde Charliér zu klaren Maßnahmen gegen die drohende Klimakatastrophe aufgerufen. (red, APA, 21.7.2020)