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Die deutsche Kanzlerin hat sich im September 2019 in China für den inzwischen insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard eingesetzt, obwohl das Kanzleramt über Sonderermittlungen der Bankenaufsicht informiert war.

Foto: ap/Matthias Schrader

Der mutmaßliche Betrugsskandal beim Dax-Konzern Wirecard bringt die deutsche Bundesregierung zunehmend in Erklärungsnot. In der Bilanz des Dax-Konzerns fehlen 1,9 Milliarden Euro, weswegen das Unternehmen mittlerweile Insolvenz anmelden musste. Zentrale Fragen sind, wann genau die deutsche Regierung von den Vorgängen bei Wirecard wusste und ob sie zu wenig dagegen unternommen hat.

Am Montag räumte eine Sprecherin von Kanzlerin Angela Merkel ein, dass sich die Bundeskanzlerin im Rahmen einer China-Auslandsreise im September 2019 für den deutschen Zahlungsabwickler Wirecard eingesetzt hatte. Merkel habe zu diesem Zeitpunkt aber keine Kenntnis von Ungereimtheiten bei Wirecard gehabt.

Altmaier sagt vor Finanzausschuss aus

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will in der kommenden Woche persönlich dem Finanzausschuss des Bundestags Rede und Antwort zum Skandal um den insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard stehen. Er wolle den Abgeordneten "alle Auskünfte geben, die gewünscht werden", sagte Altmaier am Dienstag in Berlin. Die Einladung in den Ausschuss werde er "gerne wahrnehmen".

Altmaiers Ministerium hat die Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer, die Bilanzfälschungen bei Wirecard offenbar lange nicht entdeckten. Auch Finanzminister Scholz wurde in die Sitzung eingeladen. Er plant offenbar ebenfalls, persönlich teilzunehmen.

Finanzministerium informierte Kanzleramt über Ermittlungen

Deutsche Medienberichte vom Dienstagmorgen stellen diese Angabe infrage: Zumindest das Kanzleramt war über Sonderermittlungen der Bankenaufsicht informiert, schreiben der "Spiegel" und die "Süddeutsche Zeitung" unter Berufung auf Angaben des deutschen Finanzministeriums.

Das Ministerium habe "am 23. August auf Anfrage des Kanzleramts per E-Mail verschiedene Informationen zum Fall Wirecard weitergegeben". Etwa dass Wirecard in den Fokus diverser Aufsichtsbehörden gerückt war. Übermittelt worden seien zusätzlich unter anderem Bundestagsdrucksachen mit Parlamentsanfragen zu den Anschuldigungen gegen Wirecard.

Die konkreten Informationen, die das Ministerium dem Kanzleramt bereitstellte, nannte es nicht. Der "Spiegel" zitierte aus Regierungskreisen, dass auch Unterlagen über laufende Untersuchungen der deutschen Finanzaufsichtsbehörde Bafin über ein mögliches Fehlverhalten von Verantwortlichen der Wirecard AG weitergeleitet wurden.

Druck auf Merkel

Grundsätzlich ist es nichts Ungewöhnliches, dass sich die deutsche Kanzlerin oder Minister in China für deutsche Unternehmen einsetzen. Fragwürdig wird diese Unterstützung allerdings, wenn ein Verdacht über grobe Verstöße und entsprechende Ermittlungen bekannt waren.

Linken-Chefin Katja Kipping hat Angela Merkel aufgefordert, dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestags Rede und Antwort zum Skandal um den insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard zu stehen. Merkel müsse in der für kommende Woche angesetzten Sondersitzung des Ausschusses Auskunft darüber geben, "was genau sie gewusst hat" und "welche Konsequenzen sie daraus gezogen hat", erklärte Kipping am Dienstag in Berlin.

Wirecard-Pleite kann für Deutschland teuer werden

Zudem könnte der mutmaßliche Betrugsskandal den deutschen Staat teuer zu stehen kommen. Grund sind mögliche Steuerrückforderungen in Millionenhöhe. Denn da der Wirecard-Vorstand die Bilanzen mit sehr wahrscheinlich erdichteten Umsätzen und Gewinnen aufblähte, hat das Unternehmen auch zu hohe Steuern gezahlt.

Die nachträgliche Korrektur von Steuerbescheiden ist in solchen Fällen gängige Praxis, wie es bei Steueranwälten und Insolvenzverwaltern heißt. Insolvenzverwalter haben die Pflicht, die Masse zu wahren und nach Möglichkeit zu mehren, damit die Gläubiger eines insolventen Unternehmens so viel wie möglich von ihrem Geld wiedersehen. Steuerrechtsexperten verweisen auf Paragraf 41 Absatz 2 der Abgabenordnung: "Scheingeschäfte und Scheinhandlungen sind für die Besteuerung unerheblich", heißt es dort. Salopp formuliert: Nicht existente Gewinne und Umsätze werden auch nicht besteuert. (fmo, Reuters, APA, 21.7.2020)