Joe Biden hat sich nie gegen die Maske gewehrt.

Foto: Olivier DOULIERY / AFP

Eigentlich war der Vorhang bereits gefallen. Die Corona-Taskforce des Weißen Hauses, gebildet, um auf die Epidemie zu reagieren, gab es zwar noch, aber eben nicht mehr in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit. Donald Trump hielt es nicht mehr für ratsam, sich, flankiert von Virologen, im Briefing Room des Weißen Hauses vor die Reporter zu stellen, wie er es im März und April noch fast täglich getan hatte. Nun die Kehrtwende: Nach drei Monaten Pause trat er am Dienstag erneut an das wappengeschmückte Pult in dem bemerkenswert kleinen Saal, und wie er die Lage einschätzte, klang für seine Verhältnisse ungewohnt nüchtern.

"Wahrscheinlich wird es leider schlimmer, bevor es besser wird", orakelte der Präsident. Er sage das nicht gern, aber so sei es nun mal. Irgendwann zog er sogar einen Mund-Nasen-Schutz aus der Tasche seines Jacketts. Nicht, um ihn sich vors Gesicht zu binden, wohl aber, um Landsleuten, die in Masken ein Zeichen von Schwäche sehen, ins Gewissen zu reden. "Ob Sie die Masken nun mögen oder nicht, sie haben eine Wirkung", mahnte er, nachdem er lange Zeit das Gegenteil behauptet hatte. Bereits zuvor hatte er seine Anhänger in einem Tweet auf den Schwenk eingestimmt. "Viele Leute sagen, es ist patriotisch, eine Maske zu tragen, wenn ‚social distancing‘ nicht möglich ist. Es gibt niemanden, der patriotischer ist als ich, euer Lieblingspräsident."

Es sagt viel über einen Präsidenten, der angesichts miserabler Umfragewerte langsam nervös zu werden scheint, dass er es nach drei Monaten Pause wieder aufleben lässt. Offenbar will Trump einen Eindruck verwischen, der sich zuletzt mit Macht aufgedrängt hat. Während die Zahl der bestätigten Infektionen in Kalifornien, Texas und Florida auf alarmierende Höchststände kletterte, wirkte er, als gehe ihn das alles nichts mehr an. Als habe er das Kapitel Corona bereits abgehakt.

Interview als Desaster

Am Wochenende hatte er ein mediales Desaster erlebt. Da gab er dem ebenso unaufgeregt wie beharrlich nachfragenden Fernsehmann Chris Wallace, der beim ansonsten überaus Trump-freundlichen Sender Fox News für kritischen Journalismus steht, ein Interview, das er im Nachhinein bereut haben dürfte. Man saß im Garten des Weißen Hauses, bei 37 Grad im Schatten traten ihm Schweißperlen auf die Stirn. Als er sich über die Hitze beschwerte, konterte Wallace kühl, Trump habe doch selber darauf bestanden, das Gespräch statt in klimagekühlten Räumen im Freien zu führen.

Das Interview mit Chris Wallace in voller Länge.
Fox News

Irgendwann prahlte der Präsident damit, er habe einen Test seiner kognitiven Fähigkeiten ausgezeichnet bestanden, worauf Wallace erwiderte, den Test kenne er, er sei ziemlich einfach. Zum Beispiel müsse man einen Elefanten als Elefanten identifizieren und sieben von 100 subtrahieren. Und als Trump behauptete, die USA hätten nur deshalb weltweit die meisten Ansteckungen zu verzeichnen, weil sie mit Abstand am intensivsten testeten, blamierte er sich ein weiteres Mal, weil ihm sein Gegenüber mit Fakten kam.

Schwenk bei der Maske

Es hat wohl auch an dem Fiasko bei Fox News gelegen, dass Trump, der das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes monatelang abgelehnt hatte, als sei dies etwas für Schwächlinge, plötzlich umschwenkte. "Viele Leute sagen, es ist patriotisch, eine Maske zu tragen, wenn 'social distancing' nicht möglich ist", schrieb er, an seine Fans gewandt, in einem Tweet. "Es gibt niemanden, der patriotischer ist als ich, euer Lieblingspräsident."

Der Patrioten-Tweet.

Zuwächse für Biden

Wie rasant es in den Popularitätskurven abwärts geht für ihn, zeigen aktuelle Umfragen. "Washington Post" und ABC News sehen seinen Kontrahenten Joe Biden bei der Wahl mit 15 Prozentpunkten Vorsprung durchs Ziel gehen. Im Mai hatte der Amtsinhaber um zehn, im März nur um zwei Punkte hinter dem Herausforderer gelegen. In den Swing States, in denen es traditionell auf Messers Schneide steht, fällt der Rückstand zwar kleiner aus, aber auch dort hätte Trump nach heutigem Stand das Nachsehen. In den Rust-Belt-Staaten Michigan, Pennsylvania und Wisconsin, ehemaligen Hochburgen der Demokraten, in denen er den Wettlauf mit Hillary Clinton überraschend für sich entschieden hat, würde er klar verlieren, würde heute gewählt – immer vorausgesetzt, dass sich die Demoskopen nicht irren.

Auch in Florida, North Carolina und selbst in Arizona, einem lange von den Konservativen beherrschten Staat, müsste er seinem Rivalen den Vortritt lassen, während es in Ohio und Georgia auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hinausliefe. Der "Economist" schätzt die Chancen, dass Trump im Weißen Haus abgelöst wird, auf 93 Prozent und hält sogar einen Erdrutschsieg Bidens für möglich. Sechs Prozent der Trump-Wähler des Jahres 2016, haben wiederum "New York Times" und Siena College ermittelt, würden ihm keinesfalls noch einmal den Zuschlag geben.

Nur eine Momentaufnahme

Es ändert nichts an der Tatsache, dass es sich bei alledem nur um einen – letztlich irrelevanten – Zwischenstand handelt. Meinungsumfragen im Juli können logischerweise nicht mehr als Momentaufnahmen sein, Schnappschüsse, die am Tag des Votums keinen mehr interessieren. Auch Clinton lag im Sommer vor vier Jahren, dem Politbarometer nach zu urteilen, deutlich vor dem Immobilientycoon, nur um im Herbst zu verlieren. Duellieren sich Trump und Biden im September und Oktober bei den obligatorischen Fernsehdebatten, könnte sich der Herausforderer, der bekannt ist für bisweilen peinliche Versprecher, erneut blamable Ausrutscher leisten. Manche Wähler könnte es bestätigen in ihrer Skepsis gegenüber einem 77-jährigen Kandidaten, der mitunter den Eindruck erweckt, als sei er tatsächlich zu alt für das Oval Office.

Zudem neigen Amerikaner eher nicht dazu, einen Präsidenten nach nur einer Amtszeit durch einen anderen abzulösen. Der Letzte, der mit seiner Ausnahme die Regel bestätigte, war 1992 George Bush senior gewesen. Kein Wunder, dass gerade unter den Demokraten viele nicht an die Prognosen des Hochsommers glauben, zumal ihnen die Erfahrung von vor vier Jahren noch in den Knochen steckt. "Einige Leute sagen, schaut euch doch nur die Zahlen an. Nun, ich vertraue den Zahlen nicht", sagt Debbie Dingell, eine Kongressabgeordnete aus Michigan.

Und doch, eines steht außer Zweifel: Eine klare Mehrheit der Wähler, Anhänger wie Gegner Trumps, sieht in dem Votum am 3. November ein Referendum über das Krisenmanagement des Präsidenten. Solange die Pandemie nicht eingedämmt wird, scheint er – bei allen angebrachten Relativierungen – gegen heftigen Gegenwind anzukämpfen haben. (Frank Herrmann aus Washington, 22.7.2020)