Europas "große zwei" – Emmanuel Macron und Angela Merkel – drangen mit ihrem Papier letztlich nicht ganz durch. Zu groß war der Widerstand anderer Regierungschefs.

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So sieht bei Ratspräsident Charles Michel – flankiert von Mark Rutte, Ursula von der Leyen und Emmanuel Macron (v. li.) – erschöpfte Zufriedenheit in Corona-Zeiten aus.

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Die Erfolgsnachricht kam via Twitter kurz nach fünf Uhr früh, und sie war kurz und bündig: "Deal." Knapp 90 Stunden lang mussten die europäischen Bürger, die Märkte, die Weltöffentlichkeit darauf warten, bis der Ständige Ratspräsident Charles Michel vom EU-Gipfel in Brüssel Dienstagfrüh offiziell bestätigen konnte, dass die Staats- und Regierungschefs sich auf das größte Budget einigen konnten, das die Europäische Union je gehabt hat.

1,82 Billionen Euro macht das Volumen auf sieben Jahre von 2021 bis 2027 nun aus, wenn man den regulären Rahmen für die "klassischen" EU-Politiken – vor allem Agrar- und Kohäsionsförderung – und den neuen Wiederaufbaufonds zur Überwindung der Schäden für die Wirtschaft der Mitgliedsstaaten durch die Corona-Krise zusammenrechnet. Ersterer wird 1074 Milliarden Euro betragen, ein Jahresbudget von rund 150 Milliarden Euro also, das etwas mehr als einem Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung aller Staaten entspricht.

Milliardenschwere Zahlenspiele

Der "Corona-Fonds" wird am Ende doch mit 750 Milliarden Euro dotiert: Allerdings werden nur 390 Milliarden Euro in Form nicht rückzahlbarer Zuschüsse verteilt, die restlichen 360 Milliarden in Form extrem günstiger gemeinschaftlicher Kredite an jene Staaten vergeben, die das brauchen, weil sie aufgrund deutlicher Überschuldung auf den freien Märkten schwer leistbare Risikoaufschläge zahlen müssten.

Vor allem darüber, über Gesamtvolumen und das Ausmaß der Zuschüsse, hatten sich die Regierungschefs vier Tage und vier Nächte lang ein hartes Verhandlungsmatch geliefert. Der Streit zwischen den "Sparsamen Vier", den Nettozahlerstaaten Österreich, Niederlande, Dänemark und Schweden, die den Vorschlägen von Deutschland und Frankreich nicht folgen wollten, überschattete den Gipfel, bis zum Rande des Abbruchs.

Die Freude über das glimpfliche Ende, Erschöpfung und Erleichterung mögen mit ein Grund gewesen sein, warum der Kompromiss in den Erklärungen der Staatenvertreter sehr positiv ausfiel. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach von einem "wahrhaft historischen" Ereignis. Italiens Außenminister Luigi di Maio sah ein "fundamentales Resultat für die Zukunft". Auch Kanzler Sebastian Kurz erklärte sich "sehr, sehr zufrieden", er hatte im letzten Moment einen großen Beitragsrabatt für Österreich erhalten (siehe Seite 3).

Auch Ungarn macht mit

Selbst Ungarns Premier Viktor Orbán, der lange mit Veto gedroht hatte, sollten EU-Subventionen wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit gestrichen werden können, war zufrieden: Der Gipfel hat das heikle Thema an die Kommission zurückgespielt. EU-Ratspräsident Charles Michel war sichtlich glücklich. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kritisierte, dass man vorgeschlagene Ausweitung von Förderungen im Bereich Forschung und Entwicklung sowie Gesundheit wieder zusammengestrichen hat. Auch ein von ihr vorgeschlagener Fonds, der Firmen bei Eigenmitteln unterstützen sollte, wurde gestrichen. Aber: Ein "Signal des Vertrauens" sei gelungen, meinte von der Leyen. Die Reaktion der Märkte, der Börsen in Europa, schien sie zu bestätigen: Sie reagierten mit Kursgewinnen, der Euro wurde stärker.

Anders als beim Rahmenbudget nahmen die Regierungschefs beim Corona-Fonds deutliche Änderungen vor. Statt wie ursprünglich vorgeschlagen wird nicht mehr nur die Arbeitslosigkeit als Kriterium für die Vergabe von Zuschüssen herangezogen. Ab 2023 sollen sich die Projektzusagen am Ausmaß des Corona-bedingten Wirtschaftsabschwunges orientieren. 30 Prozent aller Projekte müssen Klimaschutzzielen dienen, nicht nur 25 Prozent.

Es wurde festgelegt, dass der Fonds zeitlich bis 2024 begrenzt sein muss und kein Einstieg in eine Transfer- oder Schuldenunion darstelle. Der niederländische Premier Mark Rutte setze durch, dass einzelne Staaten Subventionen stoppen können, wenn Reformauflagen nicht eingehalten werden. Der Rat muss darüber entscheiden, nicht nur die EU-Kommission.

Auf relativ schwachen Beinen steht die Finanzierung des Ganzen. Laut Plan soll die Kommission den Fonds mit Krediten abdecken, die Tilgung soll ab 2028 auf 30 Jahre beginnen. Und diese soll durch künftige EU-Einnahmen in Form von Abgaben, etwa einer Plastik- oder Digitalsteuer, erfolgen. Die Mitgliedsstaaten garantieren für die Kredite, sollen den Wiederaufbau nicht mit Beiträgen ins Budget abdecken müssen. (Thomas Mayer, 21.7.2020)