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Viktor Orbán darf sich freuen: Von den Rechtsstaats-Bedingungen ist wenig geblieben.

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Es ist ein Schauspiel, das sich seit Jahren regelmäßig wiederholt: Die nationalpopulistischen Regierungen in Ungarn und Polen greifen die Unabhängigkeit von Gerichten und Medien an, handeln gegen EU-Regeln beim Asyl – und die Union, sie schaut zu. Ihr sind, von schwer durchzusetzenden Maßnahmen einmal abgesehen, die Hände gebunden. Genau damit sollte jetzt Schluss sein – wer den EU-Prinzipien zuwiderhandelt, sollte einen teureren Preis zahlen. Das jedenfalls war der hehre Plan, den Kommission und nationale Regierungen bei den Budgetplanungen für 2021 bis 2027 gerne präsentierten.

Dienstagnacht kam es dann anders. Fast alle vorgesehenen Mechanismen, um die Auszahlung von EU-Mitteln an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit zu binden, sind wieder gefallen. Schon im Vorfeld des Gipfels hatte sich Ratspräsident Charles Michel den ärgerlichen Beschwerden aus Warschau und Budapest ein erstes Mal gebeugt. Ursprünglich war im Plan vorgesehen gewesen, dass die Kommission bei mutmaßlichen Verstößen gegen rechtsstaatliche Grundregeln tätig werden und dabei auch Sanktionen aussprechen könne. Der Rat der Europäischen Union würde diese nur mit qualifizierter Mehrheit (55 Prozent der Mitgliedsstaaten, 65 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner) stoppen können.

Angeblicher Ungarn-Hass

Das drehte Michel schon vor dem Gipfel um – vorgesehen war nun, dass der Prozess mit einer qualifizierten Mehrheit bestätigt werden müsste. Das wäre weniger. Aber es wäre immerhin gegen den Willen von Polen und Ungarn noch machbar gewesen.

Und genau deshalb wiesen die betroffenen Staaten auch dieses Vorhaben zurück. Polens Regierung fürchtete, die Regelung könnte genützt werden, um kleinere EU-Mitglieder mit dem Entzug von Geldern "zu erpressen". Ungarns Premier Viktor Orbán drohte mit einem Veto. Als der niederländische Premier Mark Rutte die Wichtigkeit des Mechanismus betonte, sagte Orbán in einem Interview, dieser "hasst Ungarn oder mich". Man werde einem Budget mit einer solchen Klausel niemals zustimmen.

Am Ende sollte er recht behalten. Der Kompromissvorschlag, dem die Staats- und Regierungschefs nach ihrer Marathonsitzung zustimmten, kommt ganz ohne eine Bindung der Rechtsstaatlichkeit an Zahlungen aus. Festgehalten ist nur, dass die Unterzeichnenden deren Bedeutung "hiermit unterstreichen" würden. Zudem haben Ungarn und Deutschland vereinbart, das aktuell laufende Verfahren gegen Budapest nach Artikel sieben des EU-Vertrags bis zum Ende des Jahres zu beenden. Dafür müssten aber beide noch Schritte setzen. (Manuel Escher, Thomas Mayer, 22.7.2020)