Söhne berühmter Männer haben es nie leicht, sie werden stets an ihren Vätern gemessen. Das gilt auch für Charles Michel: Viele Jahre lang galt der Sohn des ehemaligen belgischen Außenministers und EU-Kommissars Louis Michel bloß als "der Kleine".

Tatsächlich kann der heute 44 Jahre alte EU-Ratspräsident aber eine politische Vita fernab von Protektion und Nepotismus vorweisen: Mit nur 18 Jahren wurde er Abgeordneter im Regionalparlament in Wallonisch-Brabant, fünf Jahre später war er EU-Parlamentarier – ein Auslandsjob, obwohl sein Wohn- und Arbeitsort Brüssel blieb.

EU-Ratspräsident Charles Michel konnte "seinen" EU-Gipfel doch noch retten.
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Ämter als Bürgermeister sowie als Minister in mehreren belgischen Regierungen folgten. Als der Liberale 2014 mit 38 Jahren Ministerpräsident wurde, war er der jüngste Premier seines Landes seit 1845. In seiner fünfjährigen Amtszeit bewährte er sich auch als umsichtiger Krisenmanager infolge einer Terrorserie in Belgien.

Der Jus-Absolvent der Université libre de Bruxelles und der Universität von Amsterdam gilt als Mann für Details, Genauigkeit und Geduld – das machte sich auch in seinem noch recht neuen Job als EU-Ratspräsident bezahlt. Erst seit 1. Dezember vergangenen Jahres im Amt, wurde er fast sofort ins kalte Wasser gestoßen, als zu Jahresbeginn die Briten mit ihrem Abschied aus der Union ernst machten. Michel hatte als Gastgeber heikle EU-Gipfeltreffen zu organisieren und zum Erfolg zu bringen.

Master of Ceremony

Mit dem Ausbruch der Corona-Krise wurden Michel und mit ihm die gesamte neue EU-Kommission sowie die nach dem Brexit 27 verbliebenen EU-Staats- und -Regierungschefs vor völlig neue Herausforderungen gestellt. In denkbar kurzer Zeit musste der mit einer Politikberaterin liierte Vater zweier Töchter nicht nur ein EU-Budget für sieben Jahre, sondern auch einen Corona-Wiederaufbaufonds auf die Beine stellen. Volumen des Gesamtpakets: über 1,8 Billionen Euro. In diesem Vertragswerk musste er die Interessen der "Großen", der "Sparsamen", der "Opfer" und aller anderer Akteure berücksichtigen und für einen einhelligen Beschluss sorgen.

Dieser kam in der Nacht auf Dienstag nach vier Tagen und vier Nächten bei einem der bisher längsten EU-Gipfel tatsächlich zustande. Wäre dieser gescheitert, hätte auch Michel politisch Schaden genommen, so aber hat er die Feuertaufe bestanden. Und vielleicht findet er jetzt sogar ein bisschen Zeit für seine private Leidenschaft: Motorradfahren. (Gianluca Wallisch, 21.7.2020)