Auch Ex-Geheimdienstkoordinator Fritsche warb für das mittlerweile insolvente Unternehmen Wirecard.

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Die Bafin habe im Fall Wirecard versagt, sagt Lisa Paus, die finanzpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion.

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Verhaftet, dann auf Kaution frei, jetzt wieder verhaftet: Ex-Wirecard-Chef Markus Braun.

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Berlin/Aschheim – Im Betrugsskandal beim Dax-Konzern Wirecard hat die Münchner Staatsanwaltschaft drei Haftbefehle gegen frühere Führungskräfte gestellt. Dabei gehe es unter anderem um gewerbsmäßigen Bandenbetrug und Marktmanipulation in mehreren Fällen, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft am Mittwoch in München. Ex Wirecard-Chef Markus Braun, der sich gestellt hatte und dann auf Kaution frei kam, muss nun doch in Untersuchungshaft.

Braun, der frühere Finanzvorstand Burkhard Ley und andere Wirecard-Manager hätten sich schon 2015 entschlossen, Geschäfte mit Drittpartnern in Asien zu erfinden, um das Unternehmen erfolgreicher aussehen zu lassen, so die Sprecherin. Der Konzern habe nämlich Verluste geschrieben. Den Schaden für Banken und andere Investoren beziffern die Ermittler auf 3,2 Milliarden Euro. Für sie und die übrigen Gläubiger werde nicht viel übrig bleiben.

Kronzeuge packte aus

Ein Kronzeuge hat offenbar umfassend ausgepackt, wie Reuters schon in der vergangenen Woche berichtet hatte. Der Chef der Wirecard-Tochter CardSystems Middle East war aus Dubai nach München eingeflogen und hatte sich den Ermittlern gestellt. Diese werfen der ehemaligen Wirecard-Führungsriege nun auch gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor. Auch gegen Ley und seinen ehemaligen Chef-Buchhalter wurden Haftbefehle ausgestellt.

Die Staatsanwälte rätseln noch, wie der Betrug so lange unentdeckt geblieben sein konnte, obwohl die Wirtschaftszeitung "Financial Times" und andere seit Jahren über Unregelmäßigkeiten berichtet hatten. Dort waren auch früh Zweifel an der Existenz der Partnerfirmen geschürt worden. Vor zwei Jahren war Wirecard sogar in den Leitindex Dax aufgestiegen, zeitweise war das Unternehmen fast 25 Milliarden Euro wert und galt in der Finanztechnologie als deutsches Aushängeschild. "In Vernehmungen wird von einem streng hierarchischen System, geprägt von Korpsgeist und Treueschwüren gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden als Führungsperson berichtet", sagte die Sprecherin.

Geschäfte erfunden

Wirecard sollte durch die erfundenen Geschäfte wertvoller und finanzkräftiger erscheinen, glaubt die Staatsanwaltschaft. Auf dieser Basis hätten Banken und andere Investoren insgesamt 3,2 Milliarden Euro bereitgestellt. Das Geld sei voraussichtlich verloren.

Brauns Verteidiger war nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Ley, der Ende 2017 als Finanzvorstand gegangen war, aber als Berater an Bord blieb, stand bisher nicht im Zentrum des Skandals. Die Staatsanwaltschaft erklärte, er sei am Mittwoch in München festgenommen worden und habe sich nicht von sich aus gestellt. Sein Anwalt widersprach: "Mein Mandant hat sich dem Verfahren gestellt und tut dies weiterhin. Er weist die Vorwürfe zurück." Ley habe bereits freiwillig ausgesagt. Der Haftbefehl sei deshalb nicht nachvollziehbar. Noch in Untersuchungshaft befindet sich der frühere Chef der Wirecard-Tochtergesellschaft Cardsystems Middle East.

Für Braun kam die neuerliche Inhaftierung wahrscheinlich überraschend: Die Ermittler setzten ihn am Mittwochmorgen fest, als er sich wie vorgesehen bei der Polizei meldete.

1,9-Milliarden-Loch

Wirecard hatte vor dem Insolvenzantrag eingeräumt, dass 1,9 Milliarden Euro, die angeblich auf philippinischen Treuhandkonten verbucht waren, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht existieren. Bei diesen 1,9 Milliarden Euro handelte es sich um die angeblichen Erträge von Geschäften mit Subunternehmern, die für Wirecard Kreditkartenzahlungen in Südostasien und im Mittleren Osten abwickelten. Nach derzeitigem Stand war dieses Drittpartnergeschäft entweder in Gänze oder zum allergrößten Teil erdichtet.

Von den insgesamt 45 Tochtergesellschaften der Muttergesellschaft Wirecard gab es überhaupt nur drei, die nennenswert profitabel waren. Über die Cardsystems in Dubai liefen die mutmaßlichen Scheingeschäfte, diese Firma steuerte 2018 mit 237 Millionen einen großen Anteil des Wirecard-Gewinns bei.

Immer unangenehmer für Regierung

Auch für die Bundesregierung wird der Skandal immer ungemütlicher. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) warb 2019 in China noch für Wirecard, als bei der Finanzaufsicht (BaFin) die Vorwürfe gegen das Unternehmen längst bekannt waren. Als Fürsprecher von Wirecard betätigte sich auch der Ex-Geheimdienstkoordinator der Regierungszentrale. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags rückt näher. Innerhalb der Koalition ist ein Streit über Verantwortlichkeiten ausgebrochen.

Das Bundeskanzleramt bestätigte, dass es seit Ende 2018 mehrmals Kontakt mit Wirecard-Managern und Beratern gab. Unter anderem wandte sich der von 2014 bis zum Frühjahr 2018 für die Geheimdienste zuständige Ex-Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche an das Kanzleramt und bat um einen Gesprächstermin für Wirecard. Zur Vorbereitung bat das Kanzleramt beim Finanzministerium um Informationen zum Unternehmen. Das Finanzressort schickte dann "öffentlich verfügbare Informationen" ans Kanzleramt – darunter Antworten der Regierung auf Anfragen der Opposition, bei denen es um Vorwürfe gegen Wirecard ging, etwa zu Unregelmäßigkeiten bei der Rechnungslegung.

Auf ihrer China-Reise im September 2019 sprach Merkel bei der Pekinger Führung das Thema der geplanten Übernahme des chinesischen Unternehmens Allscore Financial durch Wirecard an. Merkel habe zum Zeitpunkt der Reise "keine Kenntnis von möglichen schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten bei Wirecard" gehabt, so der Sprecher. Dass deutsche Spitzenpolitiker einschließlich Kanzlerin auf Auslandsreisen für deutsche Firmen werben, ist Usus. Laut Kanzleramt hat Ex-Vorstandschef Braun auch bei diesen Kontakten in die deutsche Regierungszentrale noch die Fälschungsvorwürfe bestritten.

Insolvenzverwalter will Kerngeschäft verkaufen

So undurchsichtig der Wirecard-Skandal mittlerweile ist: Insolvenzverwalter Michael Jaffe versucht jedenfalls, das verbliebene Kerngeschäft und die Wirecard Bank als Ganzes zu verkaufen, wie Insider berichten. Die von der Finanzaufsicht BaFin beaufsichtigte und abgeschirmte Bank-Tochter solle zusammen mit der zugehörigen Technik des Zahlungsabwicklers angeboten werden.

Beim Verkauf des US-Geschäfts ist er bereits einen Schritt weiter. Die Investmentbank Moelis erwartet bis Freitag die ersten Gebote für die ehemalige Citi Prepaid Card Services, die Wirecard 2016 gekauft hatte. Der Verkauf sei eilig, weil die Kunden angesichts der Schlagzeilen abzuspringen drohten. Doch mögliche Bieter fürchteten die Risiken, die mit einer Übernahme verbunden sein könnten. (APA, Reuters, red, 22.7.2020)